Politik

Jahresbericht: Drogenpolitik setzt im Wesentlichen auf Prävention

  • Donnerstag, 26. November 2020
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Daniela Ludwig (CSU) präsentiert ihren Jahresbericht auf der heutigen Pressekonferenz. /picture alliance, Wolfgang Kumm
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Daniela Ludwig (CSU) präsentiert ihren Jahresbericht auf der heutigen Pressekonferenz. /picture alliance, Wolfgang Kumm

Berlin – Einen deutlichen Zuwachs an Kokain und synthetischen Drogen gibt es aktuell auf dem Schwarzmarkt. Den größten Schaden richten immer noch die legalen Drogen Al­kohol und Tabak an. Hoch ist auch weiterhin der Konsum illegaler Drogen wie zum Bei­spiel Cannabis. Glücksspiele und Sportwetten nehmen zu.

Das sind einige Schlaglichter, die die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, heute vor der Presse auf ihren Jahresbericht 2020 warf. „Ich will Ihnen heute keine Zahlen präsentieren – die stehen in dem Bericht –, sondern einen Blick auf die deutsche Drogenpolitik, insbesondere in Pandemiezeiten, werfen“, sagte Ludwig.

„Die Coronapandemie stellt alle Akteure vor immense Herausforderungen, schafft neue Suchtgefahren und erfordert schnelle und wirksame Entscheidungen. Elementar wichtig ist, dass Beratungsstellen, niedrigschwellige Hilfsangebote und Suchtkliniken für alle Be­dürftigen offenbleiben. Denn der Bedarf ist größer denn je“, erklärte die Drogenbeauf­tragte.

Gut sei während des Lockdowns gewesen, dass es mit Hilfe einer Eilverordnung gelungen sei, die Substitutionsversorgung für Opiatabhängige in der Krise zu sichern, sodass die Patienten unter anderem nur noch wöchentlich und nicht mehr täglich in die Substitu­tions­praxen kommen mussten, um etwa Methadon oder Buprenorphin zu erhalten.

Erfreulich sei darüber hinaus, dass während des Lockdowns im Frühjahr die Nachfrage von Heroinabhängigen nach Substitutionsmitteln gestiegen sei. „Das wissen wir aus der Suchthilfe“, berichtete Ludwig. Grund dafür sei auch das weggebrochene Angebot harter Drogen auf der Straße gewesen.

Nur knapp die Hälfte erhält derzeit eine Substitutions­behandlung

Problematisch sei in diesem Zusammenhang jedoch der Rückgang niedergelassener Ärzte, die eine Substitutionsbehandlung anbieten, was auch mit der Altersstruktur der Ärzte zusammenhängt.

Nur knapp die Hälfte der etwa 165.000 Opioidabhängigen in Deutschland erhält zurzeit eine Substitutionsbehandlung. Um die Versorgung zu verbessern, ist die Drogenbeauf­tragte am „Runden Tisch“ im Gespräch unter anderem mit der Bundesärztekammer und den Kassenärztlichen Vereinigungen im Gespräch.

Außerdem unterstützt Ludwig die aktuelle Kampagne „100.000 Substituierte bis 2022“, mit der der JES (Junkies, Ehemalige und Substitutierte) Bundesverband, Akzept und die Deutsche Aidshilfe gemeinsam dazu beitragen wollen, die Substitution zu stärken.

Ziel der Kampagne ist es, dass bis 2022 mindestens 60 Prozent der Opioidabhängigen behandelt werden. In vielen anderen europäischen Ländern wie in Frankreich, Spanien und Norwegen sei die Behandlungsquote deutlich höher als in Deutschland, heißt es von den Initiatoren.

Naloxon gegen Atemstillstand bei Überdosie­rungen

Darüber hinaus will sich die Drogenbeauftragte für den Ausbau lebensrettender Maßnah­men für schwer Opiatabhängige einsetzen, wie die bundesweite Verbreitung des Nasen­sprays Naloxon gegen Atemstillstand bei Überdosierungen. Hierdurch sollen Todesfälle verhindert werden.

Das Modellprojekt in Bayern zur Schulung von Angehörigen und Freunden von Betrof­fe­nen im Umgang mit Naloxon sei „super gelaufen“. Deshalb solle nun ein bundesweites Modellprojekt durchgeführt werden; die Ausschreibung laufe gerade.

Sorgen bereitet der Drogenbeauftragten die Zunahme von Kokainkonsumierenden. Die Droge sei „nicht mehr nur bei den Eliten verbreitet, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. Entsprechend sei spezielle Verhaltensprävention für diese Gruppen erfor­derlich. Dafür wolle sie sich einsetzen.

Raucher haben doppeltes Risiko für schweren COVID-19-Verlauf

Weitere Maßnahmen will die Drogenbeauftragte zur Tabakentwöhnung auf den Weg brin­gen. Neueste Zahlen zeigten, dass in Deutschland jährlich 127.000 Menschen an den Fol­gen des Rauchens versterben, wenngleich die Konsumzahlen grundsätzlich rückläufig seien.

„Wir haben mittlerweile mehrere wissenschaftliche Belege dafür, dass Raucher sich einem doppelten Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf aussetzen“, berichtete Ludwig. Rauchen sei das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko, gerade in dieser Zeit.

Zunehmende Zahl medienabhängiger Kinder und Jugendlicher

Darüber hinaus will die Drogenbeauftragte auch einen Fokus auf die zunehmende Zahl medienabhängiger Kinder und Jugendlicher in Deutschland legen. Gerade während des ersten Lockdowns haben Jugendliche etwa 70 Prozent häufiger zu digitalen Spielen ge­griffen und soziale Netzwerke genutzt. „Damit steigen auch in diesem Bereich die Sucht­gefahren“, sagte Ludwig.

Zur Prävention hat die Drogenbeauftragte gemeinsam mit der Staatministerin für Digitali­sierung, Dorothee Bär, die Kampagne „Familie. Freunde. Follower“ gestartet.

Mit der neuen Cannabispräventionskampagne „Mach Dich schlau!“ will das Bundes­ge­sund­heitsministerium darüber hinaus den steigenden Konsumzahlen entgegenwirken und die Aufklärung junger Menschen fördern. In Bezug auf Legalisierungsbestrebungen zu Cannabis, wie von Grünen oder Linken gefordert, sagte die Drogen­beauftragte: „In dieser Legislaturperiode wird es keine Gesetzesänderung geben.“

Opposition fordert Ende der Prohibition

Kritik an der Arbeit der Drogenbeauftragten übt unter anderem die drogenpolitische Spre­cherin der Grünen, Kirsten Kappert-Gonther. „Die Drogenpolitik der Bundesregierung hat ihr Ziel verfehlt“, erklärte sie.

Der Anteil junger Erwachsener zwischen 18 und 25 Jahren, die innerhalb eines Jahres Can­nabis konsumiert haben, sei in nur vier Jahren um 57 Prozent gestiegen. „Die Drogen­beauftragte legt ihre Scheuklappen an und macht weiter wie bisher“, sagte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

Die Präventionskampagne „Mach Dich schlau!“ agiere „mit dem erhobenen Zeigefinger und werde genauso verstauben wie viele andere vorher. Sinnvoller seien Sachinforma­tionen, Kommunikation auf Augenhöhe und das Ende der Prohibition. „Kein Dealer fragt nach dem Ausweis, der illegale Markt lässt keinen Jugendschutz zu, aber auf dem Schwarzmarkt gibt es weder Jugend- noch Gesundheitsschutz“, betonte Kappert-Gonther.

„Der Schwerpunkt auf die Prävention blendet die negativen Folgen der Repressionspolitik fast gänzlich aus“, sagt auch Niema Movassat, drogenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. Prohibition und Repression helfe aber niemandem, sie verursachten nur zusätz­liches Leid. „Auf das Konto der Drogenbeauftragten geht, dass die Zahl der Drogen­toten nach wie vor auf einem hohen Niveau ist und 2019 sogar um fast 10 Prozent angestiegen ist“, berich­te­te Movassat.

Auch für das Jahr 2020 sei zu erwarten, dass im Zusammenhang mit der Corona­pandemie die Zahl der Drogentoten ansteigen werde. Denn die Pandemie habe nochmals die Schwä­chen der deutschen Drogenpolitik deutlich offenbart. „Wir brauchen flächendeckende Drogenkonsumräume, wir müssen Drug-Checking erlau­ben und etablieren und wir brauchen einen Ausbau der diamorphingestützten Behand­lung“, fordert der Linken-Politiker.

Als „Armutszeugnis für die Bundesregierung“ bezeichnete Wieland Schinnenburg, Sprecher für Drogen- und Suchtpolitik der FDP-Fraktion, den Drogen- und Suchtbericht. Es würden kaum belastbare Daten geliefert, zudem fehlten eigene Konzepte der Bundesregierung fast vollständig.

„Wenn 60% aller Rauschgiftdelikte auf Cannabis entfallen und auch Jugendliche beim Dealer alles bekommen, ist kein sinnvoller Jugendschutz möglich. Eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene würde die Gesundheitsgefahren mindern und durch Steuereinnahmen mehr Geld für eine wirksame Prävention bereitstellen“, so Schinnenburg.

PB

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