Politik

Drogenpolitik sollte evidenzbasiert sein

  • Mittwoch, 7. Oktober 2020
/monticellllo, stock.adobe.com
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Berlin – Wissenschaftliche Evidenz und Erfahrungen von Experten und Betroffenen soll­ten stärker in der Drogenpolitik berücksichtigt werden. Darauf drängen Verbände der Sucht- und Drogenhilfe in ihrem heute vorgelegten „Alternativen Drogen- und Suchtbe­richt“.

Die Drogenpolitik habe „nicht Schritt gehalten mit aktuellen Entwicklungen und wissen­schaftlichen Erkenntnissen", kritisierte Holger Wicht, Sprecher der Deutschen Aidshilfe.

Der Alternative Drogen- und Suchtbericht schlägt daher einen drogenpolitischen Fach­beirat nach dem Vorbild der Schweiz vor. Dort sollen Kompetenzen aus Wissenschaft, Hilfsverbänden und Selbsthilfe gebündelt werden. Vertreter verschiedener Ministerien sollten eingebunden werden und könnten sich dann der Expertise bedienen.

Zugleich gilt es den Initiatoren zufolge einige regulatorische Veränderungen aus der Co­ronakrise zu erhalten. Um eine Überfüllung von Praxen und Ambulanzen zu vermeiden, dürfen derzeit zum Beispiel auch Drogenhilfeeinrichtungen und Apotheken – in Abspra­che mit einem behandelnden Arzt – die Medikamente für die Substitutionstherapie ver­ge­ben. Patienten können dadurch ihr Präparat zu Hause statt jeden Tag in der Arztpraxis einnehmen.

Das sei ein ungemeiner Vorteil für die Patienten, sagte der Internist und Suchtmediziner Till Kinkel. Viele könnten so ihre Suchtbehandlung besser in den Alltag integrieren. Eine sogenannte Take-Home-Abrechnungsziffer für die Abgabe der Substitutionsmedikamente gebe es jedoch bislang nicht in allen Bundesländern, was Ärzten die Therapie in der ak­tu­ellen Lage erschweren würde.

Die Aidshilfe und der Akzept Bundesverband befürworten zudem eine weitere Entkrimi­na­lisierung von Drogenkonsumenten. „Die Politik der Strafverfolgung ist nur noch ein schädlicher Kampf gegen Windmühlen“, erklärte der Akzept-Vorsitzende Heino Stöver. Be­troffene würden marginalisiert statt unterstützt.

Es müsse vermehrt auf „Schadensminimierung“ gesetzt werden, beispielsweise durch An­gebote wie Drogenkonsumräume, die jährlich hunderte Leben retten könnten. Solche Rück­zugsorte gebe es bisher in der Hälfte aller Bundesländer, obwohl viele weitere Städte darauf drängen würden.

Die Politik konzentriere sich bislang jedoch meist auf „staubtrockene Abstinenzaufrufe“, so Stöver. In Anlehnung an das beschlossene Tabakwerbeverbot dürfe man auch bei Al­kohol nicht die Präsentation der Werbung der Industrie überlassen.

Darüber hinaus sprachen sich die Experten für eine staatlich streng regulierte Abgabe bisher illegaler Substanzen, wie Cannabis und Amphetamine, aus. Dies könne den krimi­nellen Drogenhandel reduzieren und besonders in Kombination mit Drogenteststationen, an denen zum Beispiel Partygänger ihre Pillen überprüfen lassen könnten, Konsumenten vor gesundheitlichen Risiken schützen.

Der Bericht wird seit 2014 herausgegeben und versteht sich als kritische konstruktive Ergänzung des Drogenberichts der Bundesregierung.

afp/jff

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