Politik

Koalitionsverhand­lungen gehen in die Details

  • Mittwoch, 27. Oktober 2021
/picture alliance, ZB, Z6944 Sascha Steinach
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Berlin – Rund einen Monat nach der Bundestagswahl steigen SPD, Grüne und FDP in die Detailverhand­lungen über die Bildung einer gemeinsamen Regierung ein. Dazu kommen ab heute rund 300 Politiker aus verschiedenen Fachrichtungen in 22 Arbeitsgruppen (AG) zusammen.

Sie sollen Pläne aufstellen etwa für einen „digitalen Aufbruch“, für Gesundheit, Pflege, Klimaschutz und soziale Sicherheit, lebenslange Bildung, für die Migrations-, die Sicherheits- und die Außenpolitik. In der Gesundheitspolitik – die Runde startet morgen – ist dem Sondierungspapier zufolge ein Wechsel des Versicherungssystems be­reits abgeräumt und damit vom Tisch.

„Die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung blei­ben erhalten“, heißt es in dem Papier. Eine Bürgerversicherung hatte in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen noch zum Wunsch für die neue Legislatur gehört. Die FDP wollte hingegen stets am bishe­rigen System festhalten und lehnte eine Bürgerversicherung ab.

Erwähnt in dem Papier sind zum Beispiel Vorsorge und Prävention als „Leitprinzip“ oder der Ausbau des Öffentlichen Gesundheitsdienst. Darüber hinaus steht in der stationären Versorgung das System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) auf der Agenda. Das soll insbesondere im Hinblick auf Sekto­ren wie Geburtshilfe und Notfallversorgung sowie Kinder- und Jugendmedizin verändert werden.

Ebenfalls auf dem Zettel: Mehr Kooperationen unter den Gesundheitseinrichtungen und den Gesund­heitsberufen, Zugang zu guter und verlässlicher gesundheitlicher Versorgung, eine Offensive für mehr Pflege­personal, Digitalisierung und Entbürokratisierung im Gesundheitswesen.

Wer bei den Parteien für Gesundheitspolitik verhandelt, steht seit der vergangenen Woche fest. Eine Än­derung hat es nach der Wahl von Bärbel Bas (SPD) gegeben, die nach ihrer Wahl zur Bundestagspräsiden­tin nun nicht mehr mit verhandelt. Für sie ist Ronja Endres, Co-Vorsitzende der SPD-Bayern, mit dabei.

Geleitet wird die Arbeits­gruppe „Gesund­heit und Pflege“ von Katja Pähle, der Vor­sitzenden der SPD-Frak­tion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Außerdem sollen Karl Lauter­bach und die niedersächsische Ge­sund­heitsministerin Daniela Behrens für die SPD vertreten sein.

Für die Grünen wird die Arbeitsgruppe von Maria Klein-Schmeink, der bisherigen gesundheitspolitischen Sprecherin der Fraktion, geleitet. Ebenso werden Janosch Dahmen, Arzt und Mitglied des Bundestages, sowie die Pflegeexpertin Kordula Schulz-Asche mit dabei sein. Aus den Bundesländern wird der Gesund­heitsminister von Baden-Württemberg, Manne Lucha, in den Verhandlungen sitzen.

Für die FDP wird die bisherige gesundheitspolitische Sprecherin Christine Aschenberg-Dugnus die Ver­handlungen führen. Mit im Team sind die Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann und Nicole Westig sowie der Gesundheitsminister aus Schleswig-Holstein, Heiner Garg.

Ehrgeiziger Zeitplan

Die AG sollen bis zum 10. November ihre Positionen erarbeiten. Diese sollen dann zu den Hauptverhand­lern rund um die Parteispitzen gehen, die gegebenenfalls offene Konflikte auflösen sollen. Bis Ende No­vember soll ein Koalitionsvertrag vorgelegt werden.

In der Woche ab dem 6. Dezember soll der neue Bundeskanzler gewählt und die neue Regierung gebildet werden. Nachfolger von Angela Merkel (CDU) soll SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz werden, bisher Vize­kanzler und Finanzminister.

Merkel und die Regierungsmitglieder hatten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gestern ihre Entlassungsurkunden aushändigt bekommen, führen die Regierungsgeschäfte aber weiter, bis ein neuer Kanzler gewählt wird. Die SPD war bei der Bundestagswahl stärkste Kraft geworden.

Wohin die politische Reise in Deutschland gehen soll, hatten die möglichen Koalitionspartner Mitte Ok­to­ber in einem Sondierungspapier dargelegt. Kommen soll ein massiver Ausbau der erneuerbaren Ener­gien.

„Idealerweise“ soll bis 2030 aus der Kohleverstromung ausgestiegen werden – und nicht wie bisher ge­plant bis 2038. Der gesetzliche Mindestlohn soll im ersten Jahr auf zwölf Euro pro Stunde erhöht, das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden. Asylverfahren, Verfahren zur Familienzusammenführung und Rückführungen sollen beschleunigt werden.

Steuern wie die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer sollen nicht erhöht werden. Konkreter wollen SPD, Grüne und FDP nun in den Arbeitsgruppen werden. Zwischenstände der Verhandlungen sollen zunächst nicht nach außen dringen.

Zum Stopp der Erderwärmung wollen die Verhandler einen Rahmen für den deutlichen Ausbau von Wind- und Solarenergie setzen. Allzu viele staatliche Vorgaben will die FDP aber verhindern. Gerade wenn der Kohleausstieg bis 2030 klappen soll, schiebt sich die soziale Frage nach vorn – nicht nur mit Blick auf wegfallende Arbeitsplätze in Kohleregionen.

Es geht auch um einen wirksamen Ausgleich für steigende Energie- und Spritpreise. Die Abschaffung der EEG-Umlage dürfte alleine nicht reichen, um explodierende Kosten für Verbraucher zu verhindern. Ein weiterer Diskussionspunkt dürfte der Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen wie der Ver­zicht auf Mehrwertsteuer auf Kerosin oder die Pendlerpauschale sein.

Einen Knackpunkt haben SPD, Grüne und FDP schon abgeräumt: ein generelles Tempolimit auf Auto­bah­nen wird es in Deutschland nicht geben. Hier setzte sich die FDP bereits durch. Und noch eine wegwei­sen­de Entscheidung deutet sich an: das Aus für den Verbrennungsmotor aus fossilen Antrieben.

Im Sondierungspapier wird auf EU-Pläne verwiesen, dass alle Neuwagen ab 2035 emissionsfrei sein sollen. In Deutschland könnte das Aus für den fossilen Verbrenner sogar früher kommen. Ansonsten aber muss sich die Arbeitsgruppe Mobilität noch mit wichtigen Fragen wie den Schienenausbau befassen.

Finanzfragen ungeklärt

Wie groß die Sprünge werden, die die Ampelpartner in Sachen Zukunftsinvestitionen machen können, hängt vor allem von den Finanzen ab. Kredite will man keine aufnehmen, wichtige Steuern sollen nicht erhöht werden.

Im Gespräch ist zum Beispiel, dass man 2022 unter dem Deckmantel der Coronapandemie noch einmal kräftig Schulden machen – und dieses Geld für Investitionen zur Seite legen könnte. Außerdem könnten Investitionen in öffentliche Unternehmen ausgelagert werden, die außerhalb des Haushalts laufen und trotz Schuldenbremse Kredite aufnehmen dürfen.

Klar ist aber: In der Finanzpolitik liegen die politischen Ideale der drei Ampel-Parteien weit auseinander. Umstritten ist, ob die bisherigen Vereinbarungen nicht doch Schlupflöcher lassen etwa für die von SPD und Grünen angestrebte Entlastung von Geringverdienern.

In diesem Themenbereich haben SPD, Grüne und FDP im Sondierungspapier wenig Konkretes geliefert. Die dafür eingesetzte Arbeitsgruppe muss sich nun vor allem entscheiden, ob ein härterer Kurs gegen­über China und Russland eingeschlagen werden soll, um Menschenrechtsverletzungen entgegenzu­wir­ken.

Umstritten ist vor allem der Umgang mit der Gas-Pipeline Nord Stream 2 zwischen Deutschland und Russland. Die Grünen sind gegen das Projekt, die FDP ist zumindest skeptisch und die SPD will sich da raushalten. Geklärt werden muss auch der Umgang mit dem Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlands­produkts für Verteidigung auszugeben.

Auch die weitere Beteiligung an der nuklearen Abschreckung des Bündnisses steht auf dem Prüfstand. Nicht zuletzt muss eine Entscheidung über die Anschaffung bewaffneter Drohnen getroffen werden.

dpa/may/bee

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