Politik

Kommission: Mehr Anerkennung für Opfer von Gewalt in Heimen nötig

  • Dienstag, 17. Juni 2025
/ambrozinio, stockadobecom
/ambrozinio, stockadobecom

Berlin – Die Unabhängige Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs fordert mehr politische Aufmerksamkeit für die Schicksale von hunderttausenden Menschen, die als Kinder in der Heimerziehung Gewalt erfahren haben.

Viel zu wenige von ihnen hätten bislang eine staatliche oder finanzielle Anerkennung ihres Leids erfahren, sagte Kommissionsmitglied Heiner Keupp bei einer Pressekonferenz in Berlin. Hier gebe es ein „großes Defizit“.

Schätzungen zufolge hätten allein in Westdeutschland bis zu 800.000 Kinder in Einrichtungen der Heimerziehung Gewalt erfahren, bis zu 500.000 könnten es in der ehemaligen DDR gewesen sein, betonte Keupp.

Die Kommission geht davon aus, dass mindestens ein Drittel von ihnen neben psychischer Gewalt auch sexualisierte Gewalt erfahren hat. Angesichts dieser Dimension sei es absolut unzureichend, dass bislang nur etwa 40.000 von ihnen Hilfen aus staatlichen Entschädigungsfonds in Anspruch genommen hätten, sagte Keupp.

Von 2012 bis 2018 existierten zwei Fonds, um die Folgen repressiver Heimerziehung für ehemalige Heimkinder abzumildern. Allerdings seien die Betroffenen kaum über die Existenz dieser Fonds informiert worden, kritisierte Keupp.

Es habe keine Öffentlichkeitsarbeit gegeben – wohl auch aus der Sorge heraus, die Mittel könnten nicht ausreichen. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) wurden mit beiden Fonds insgesamt Hilfen im Wert von 485 Millionen Euro geleistet.

Viel zu wenig angesichts der hohen Zahl an Betroffenen, sagte Keupp, der sich für Deutschland ein Entschädigungsmodell wie in Österreich wünscht: Dort bekämen Betroffene der Heimerziehung jeden Monat eine Zusatzrente in Höhe von 300 Euro. „Warum schaffen wir das nicht?“, fragte er mit Blick auf den deutschen Staat.

Was Keupp ebenfalls kritisierte: Dass Betroffene sexualisierter Gewalt in Heimen nicht uneingeschränkt Zugang zum seit 2013 eingerichteten Fonds sexueller Missbrauch (FSM) hätten. Wer bereits Hilfen aus den vorherigen Fonds bezogen habe, habe keinen Anspruch mehr auf die Hilfen im Wert von maximal 10.000 Euro, die Betroffenen im FSM zustehen. Das sei „grotesk“, sagte Keupp.

Bis 2028 wird es die Hilfen aus dem FSM noch geben, dann läuft auch dieser Fonds aus. Die neue schwarz-rote Bundesregierung hat sich laut Koalitionsvertrag vorgenommen, ihn fortzuführen. Er hoffe, dass sie dieses Versprechen zeitnah einlöse, erklärte Keupp.

Die Kommission werde nicht nachlassen, eine gute Lösung einzufordern, und auch auf eine Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag für Betroffene sexualisierter Gewalt in der Kindheit pochen. „So könnte der Staat zeigen: Wir übernehmen Verantwortung dafür, dass wir diese Kinder nicht gut genug geschützt haben.“ Er hoffe dabei unter anderem auf die Unterstützung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, erklärte Keupp.

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung