Politik

Krankenkasse schlägt verbindliche Ersteinschätzung vor jeder Terminvergabe vor

  • Donnerstag, 25. September 2025
/fizkes, stock.adobe.com
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Berlin – Die Techniker Krankenkasse (TK) plädiert für eine verbindliche, ärztlich entwickelte Ersteinschätzung des medizinischen Bedarfs vor jeder Terminvergabe. Wer diese vornehmen soll, dazu machte die Kasse keine Angaben. Es ist aber das zentrale Element eines eigenen Kassenkonzepts für ein Primärversorgungssystem, das auch eine zentrale Terminplattform und eine Reform der ambulanten Vergütung vorsieht.

Eine verbindliche Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfes für neue Behandlungsanlässe müsse neben der Notfall- auch für die Regelversorgung vorgeschrieben sein. „Dieser Weg muss zum neuen Standard der Regelversorgung werden“, heißt es in einem Positionspapier, das die Kasse heute vorgelegt hat. Auf diese Weise würden Patienten schneller in die richtige Versorgungsform gelangen.

Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der TK ist dies ein drängendes Problem. 58 Prozent sind demnach der Ansicht, dass sie „viel zu lange“ auf einen Facharzttermin warten müssen.

„Viel zu oft bestimmen Zufall und veraltete Strukturen, wer wann und wo einen Arzttermin bekommt“, erklärte TK-Vorstandschef Jens Baas. „Es fehlen gezielte Wege in und durch die ambulante Versorgung. Das zeigt sich in den Terminschwierigkeiten vieler Menschen mehr als deutlich.”

Die von der Bundesregierung geplante Einführung eines Primärarztsystems sei nicht ausreichend, um diese Probleme zu beheben. Vielmehr bedürfe es einer Reform des gesamten ambulanten Systems. „Patientensteuerung darf nicht nur innerhalb von Arztpraxen stattfinden. Sie muss bereits dann beginnen, wenn Patientinnen und Patienten wegen eines gesundheitlichen Anliegens nach Hilfe suchen“, sagt Baas.

Einschätzung vor Inanspruchnahme

Die Ersteinschätzung muss aus Sicht der TK deshalb prinzipiell vor der Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen greifen. Im Anschluss an die verbindliche Einschätzung könnten dann in leichten Fällen direkt Krankschreibungen ausgestellt oder unterstützende Angebote der Krankenkasse unterbreitet werden.

Wenn hingegen eine ärztliche Betreuung notwendig sei, könne eine direkte Weiterleitung zur Terminvermittlung bei einer geeigneten Praxis oder zu telemedizinischen Angeboten erfolgen. Dabei sei denkbar, dass Hilfesuchende im Zuge der Ersteinschätzung freiwillig Zugriff auf ausgewählte Patientendaten wie Vorbehandlungen oder Arzneimittel in der elektronischen Patientenakte (ePA) gewähren.

Das Ersteinschätzungsverfahren müsse standardisiert ablaufen und unabhängig vom Einsatzort sein, – ob online, telefonisch über die Terminrufnummer 116117, am Praxistresen oder im neu zu schaffenden Integrierten Versorgungszentrum (INZ), schreibt die TK.

Die Kriterien für das Einschätzungsinstrument sollten demnach die Bundesmantelvertragspartner „unter Einbindung medizinischer Expertise“ festlegen, heißt es in dem Papier weiter. Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) oder Arztpraxen sollen es dann in ihre Services und Anwendungen integrieren können. Weitere Details zu Trägerschaft und zum Personal, das die Ersteinschätzung vornehmen soll, nennt die TK nicht.

Zentrale Terminplattform für alle Patienten

Ein weiterer Baustein des TK-Konzepts ist eine zentrale digitale Terminplattform „als Konkretisierung des Sicherstellungsauftrags der KVen“, auf der Ärztinnen und Ärzte Terminkontingente tagesaktuell zur Verfügung stellen sollen. Die Plattform müsse an die Telematikinfrastruktur (TI) und die Praxisverwaltungssysteme angeschlossen werden.

„Grundlage für die Terminvergabe muss stets die medizinische Dringlichkeit der Behandlung sein, die aus der Ersteinschätzung hervorgeht“, heißt es weiter in dem Papier. Dabei müssten neben Terminoptionen mit möglichst geringer Wartezeit auch Terminvorschläge bei Ärzten angeboten werden, bei denen die oder der Versicherte in der Vergangenheit bereits in Behandlung war.

Der Leitgedanke müsse sein: „Termine sollen dem medizinischen Bedarf folgen, nicht der dahinterstehenden Vergütung“, schreibt die TK. Statt eines Modells, bei dem ein spezifischer Arzt indikationsübergreifend jeden Behandlungsschritt koordiniert, brauche es eine indikationsspezifische Steuerung auf Basis der Ersteinschätzung.

Allerdings müsse es möglich sein, die Leistungen der digitalen Terminserviceplattform kassenindividuell auszuspielen, um so die Versicherten bei der Terminfindung optimal zu unterstützen.

Der Primärarzt käme in dem vorgeschlagenen Modell für die jeweilige Dauer der Behandlung aus der Fachrichtung, die in der Ersteinschätzung für den Anlass vorgeschlagen wurde. Bei neuen Behandlungsanlässen müsse dann erneut die Ersteinschätzung genutzt werden.

Zeitbasiertes Vergütungssystem

Die TK betont, dass ein Umbau der Vergütung erforderlich wäre – das Vergütungssystem müsse also grundsätzlich überarbeitet werden. „Mehr Koordination in einem Primärversorgungssystem kann nicht in einer ohnehin fehleranfälligen und zu komplexen vertragsärztlichen Vergütungsstruktur erreicht werden“, schreibt die TK.

So müssten das finanzielle Ungleichgewicht zwischen sprechender und Geräte-Medizin reduziert sowie die auf Kalenderquartale fixierte starre Vergütungslogik aufgelöst werden.

Die originäre ärztliche Arbeit müsse auf eine zeitbasierte Vergütung umgestellt werden, damit sich der individuell unterschiedliche zeitliche Aufwand je Versicherten direkt in der Vergütung widerspiegelt. Mehrkosten zum Status quo sollten dabei allerdings vermieden werden.

Eine Weiterentwicklung der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV), wie sie der Hausärztinnen- und Hausärzteverband fordert, lehnt die TK hingegen ab. Zwar zeige die in Auftrag gegebene Umfrage, dass die Wartezeiten auf einen Termin beim Hausarzt nur selten ein Problem seien.

Demnach gaben 67 Prozent an, diese seien in Ordnung. Lediglich 15 Prozent würden die Wartezeiten als „viel zu lang“ empfinden. Allerdings würden viele Hausärzte bereits heute von einer zu hohen Arbeitslast berichten, wendet Baas ein.

„Ein Primärversorgungssystem, in dem jeder Weg über die Hausarztpraxis führt, produziert neue Engstellen im System”, erklärte er. Mit einem Primärversorgungsansatz in der Regelversorgung brauche es aber ohnehin kein paralleles Steuerungssystem in Form der HzV mehr, heißt es im TK-Papier. Der Kontrahierungszwang müsse wegfallen.

Kritik von Hausärzten

„Das politische Vorhaben, auf primärärztliche Patientensteuerung zu setzen, war und ist der richtige Weg – doch die Umsetzungsideen vieler Akteure treiben mittlerweile skurrile Blüten“, kommentierte der Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Statt auf klare, verlässliche Versorgungsstrukturen zu setzen, verfielen einige Akteure in einen Überbietungswettbewerb „abstruser und vollkommen versorgungsfremder Konzepte“.

Die Bundesvorsitzenden Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier bezeichneten das TK-Papier als ein „Paradebeispiel für diese Entwicklung“. „Ein kurzer Abgleich mit der Versorgungsrealität hätte genügt, um festzustellen, dass das nicht funktionieren kann.“

lau

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