Ärzteschaft

Hausärzte drängen auf schnelle Einführung eines Primärarztsystems

  • Donnerstag, 18. September 2025
Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier. /Hannah Hübner
Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier. /Hannah Hübner

Berlin – Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hat die Bundesregierung aufgerufen, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Primärarztsystem zügig umzusetzen. Dabei solle sie sich möglichst eng an der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) orientieren.

Eine bessere Patientensteuerung sei auch angesichts des demografischen Wandels unverzichtbar, erklärte der Ko-Bundesvorsitzende Markus Beier heute beim Deutschen Hausärztetag in Berlin.

Bei den Debatten um Beitragserhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gerate aus dem Fokus, „dass wir erst am Anfang der finanziellen Herausforderungen sind“. Aufgrund der demografischen Entwicklung seien künftig noch weit größere Defizite zu erwarten.

Dabei sei die hausärztliche Versorgung nicht nur durch den Ruhestandseintritt vieler Ärztinnen und Ärzte in den kommenden Jahren betroffen, sondern vor allem durch die Alterung der Bevölkerung. „Die Auswirkungen, die das auf die Versorgung haben wird, werden noch glorreich unterschätzt“, betonte Beier.

2035 werde fast ein Viertel der Bevölkerung älter als 60 Jahre sein – das sei doppelt so viel wie im Jahr 2000. Die Statistik würde zeigen, was damit auf die Arztpraxen zukomme: Menschen zwischen 70 und 80 Jahre kämen auf 35 Arztbesuche im Jahr, bei Menschen über 80 Jahren seien es sogar 39. Fast alle Menschen in diesen Altersgruppen seien Chroniker oder multimorbide.

Insbesondere die Betreuung chronisch erkrankter und multimorbider Patienten komme jedoch in der öffentlichen Diskussion kaum vor. „Es wird eindimensional über Finanzierung, aber nicht genug über Versorgung debattiert“, kritisierte Beier. Politik und Krankenkassen müssten darüber viel mehr sprechen.

Dabei sei die Erkenntnis, dass grundlegende Reformen in der Versorgung notwendig sind, in der Bevölkerung längst angekommen. „Die Menschen merken, dass das System so nicht viel länger funktionieren wird“, sagte Beier.

Bereits am Morgen hatten Beier und die Ko-Bundesvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth von der Politik Reformen gefordert und zur Untermauerung sie eine Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Civey im Auftrag des Verbands bei einer Pressekonferenz präsentiert.

Hausärzte legen Umfrage vor

Demnach zeigten sich in einer repräsentativen Befragungen 62,9 Prozent der Menschen bereit, an einem Hausarztprogramm teilzunehmen und bei allen gesundheitlichen Fragen immer zuerst ihre Hausarztpraxis aufzusuchen, wenn dies zu einer besseren Versorgung führt. 25,6 Prozent lehnten dies ab.

Die Zustimmungsraten waren dabei Regionen mit sehr niedriger Bevölkerungsdichte höher (65,8 Prozent) als in sehr dicht besiedelten Gebieten (54,9 Prozent). Zudem zeigten sich die Befragten auch offen dafür, einfache Anliegen wie Erkältungen oder Routinehausbesuche ihrem Hausarzt, sondern von einer qualifizierten, nicht ärztlichen Fachkraft der Praxis betreuen zu lassen.

20,7 Prozent stimmten dem ohne Einschränkung zu, 50,1 Prozent unter der Bedingung, dass im Zweifel ein Arzt hinzugezogen werden kann. 26,1 Prozent lehnten dies ab. „Ich denke schon, dass wir die Menschen da auf unserer Seite haben“, sagte Buhlinger-Göpfarth. „Die Menschen wollen begleitet werden in einem immer komplexer werdenden System, in dem sie sich nicht zurechtfinden.“

Auch die Politik habe die Zeichen der Zeit erkannt und müsse nun entsprechend handeln. „Das Rad muss nicht neu erfunden werden“, betonte sie. In Süddeutschland habe man 17 Jahre gute Erfahrung mit der HzV.

Dort würden die Ergebnisse für sich sprechen: Insbesondere ältere, chronisch kranke und multimorbide Menschen würden von der HzV profitieren. Studien zufolge komme es etwa bei Diabetikern zu deutlich weniger Amputationen, Erblindungen und Krankenhauseinweisungen. Auch die Impfquoten seien in der HzV deutlich besser als in der Regelversorgung. „Hier gilt es, durch eine gezielte Stärkung anzusetzen.“

Das Primärarztsystem müsse deshalb möglichst nah an der bereits bestehenden HzV ausgerichtet werden. Diese habe sich etabliert. „Wir haben die Strukturen bereits und können aus zehn Millionen Patienten auch 20 oder 30 Millionen machen.“

Die Umfrage habe deutlich gemacht, dass „die Patienten reformbereit sind“. Nun komme es darauf an, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Schritte umgesetzt werden. „Die HzV ist hier auf Augenhöhe mit dem Kollektivvertrag ausdrücklich genannt“, betonte Buhlinger-Göpfarth erneut bei der Delegiertenversammlung des Verbands.

Andere Primärarztkonzepte, wie sie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) oder der Verband der Ersatzkassen (vdek) vorgelegt haben, sind aus Sicht des Hausärzteverbands ungeeignet. Die KBV hatte ein System unter Einbindung von Fachärzten und mit einer Patientensteuerung über die Terminrufnummer 116117 vorgeschlagen.

Erste Gespräche mit dem Bundesgesundheitsministerium würden sie aber zuversichtlich stimmen, dass die Bundesregierung den Forderungen des Verbands folgt und das Primärarztsystem in Form der HzV umgesetzt wird.

„Die Patienten sind zufrieden, die Praxen sind zufrieden, die wissenschaftlichen Outcomes sind hervorragend“, unterstrich Buhlinger-Göpfarth. Der Ausbau der HzV sei der einzige Weg, noch in dieser Legislaturperiode ein funktionierendes Primärarztsystem einzuführen. Viele Kassenvorstände hätten das schon lange erkannt.

„Unsere Hand ist ausgestreckt, unsere gebietsfachärztlichen Kolleginnen und Kollegen sind eingeladen, diesen Weg mit uns zusammen zu gehen.“ Die Evaluationsergebnisse der HzV seien da besonders gut, wo klar definierte Behandlungspfade vorliegen. „Irgendwelche Fantastereien von Facharztverbänden, dass man den Kontrahierungszwang anfassen könnte, sind deshalb abzulehnen.“

Eine besondere Bedeutung komme außerdem dem Ausbau von akademischen Berufen Physician Assitants (PA) oder Primary Care Managern (PCM) zu. „Die Zukunft der Versorgung ist die Teampraxis. Ohne akademisierte medizinische Fachkräfte wird es nicht gehen“, sagte Buhlinger-Göpfarth.

„Wir müssen wegkommen vom Arztkontakt hin zum Praxiskontakt“, forderte auch Beier. Der Verband sei hier mit seinem Konzept HÄPPI in Vorleistung gegangen und begonnen, den Teams mehr Verantwortung zu geben. Nun müssten andere Akteure im Gesundheitswesen nachziehen.

Entsprechende Anträge zur Einführung eines Primärarztsystems und der Stärkung nicht-ärztlicher medizinischer Berufe in den Praxen nahmen die Delegierten mit großer Mehrheit an.

Der Gesetzgeber müsse gezielte Maßnahmen zur Fachkräftesicherung angehen, etwa durch bessere Vergütung, langfristige Bindung und die Aufwertung der Tätigkeit von Medizinischen Fachangestellten (MFA) sowie der Versorgungsassistenzen in der Hausarztpraxis (Verah), heißt es darin.

Auch müssten neue akademische Qualifikationswege für die hausärztlichen Praxisteams, insbesondere als PCM oder PA, gefördert werden, um berufliche Perspektiven, Aufstiegschancen und eine leistungsgerechte Bezahlung zu ermöglichen.

Delegations- und Kooperationsstrukturen zur Entlastung hausärztlicher Arbeit zum Beispiel durch die Einführung eines Praxis-Patienten-Kontakts müssten gezielt ausgebaut werden. Zudem müssten Versorgungsinstrumente wie HÄPPI abgesichert werden, um insbesondere die Versorgung vulnerabler Gruppen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf durch qualifizierte multiprofessionelle Teams dauerhaft zu gewährleisten.

lau/hahü

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