Politik

Kritik an Ruf nach Impfpflicht für Ärzte und Pflegekräfte

  • Dienstag, 12. Januar 2021
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Berlin – Die Bundesregierung hat eine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 bisher abgelehnt. Das hatte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unermüdlich wiederholt. Ein Vorstoß aus Bayern sorgt nun für eine erneute Debatte und stieß auf heftige Kritik.

Der Deutsche Ethikrat könnte Vorschläge machen, „ob und für welche Gruppen eine Impfpflicht denkbar wäre“, hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) der Süddeutschen Zeitung gesagt. Gerade in den Pflegeheimen gehe „es schließlich um Leben und Tod“, betonte er. Leider gebe es derzeit aber „unter Pflegekräften in Alten- und Pflegeheimen eine zu hohe Impf­ver­weigerung“.

Im ZDF-Morgenmagazin ergänzte Söder, er sei weiterhin gegen eine allgemeine Impfpflicht, doch es brauche mehr Schutz für besonders gefährdete Menschen, insbesondere in den Heimen. Der Ethikrat könne mit Vorschlägen eine dringend erforderliche gesellschaftliche Debatte verstärken. Zugleich müsse die Impfbereitschaft allgemein gefördert werden.

Söder regte dazu eine „große staatliche Kampagne zur Förderung der Impfbereitschaft“ an, die er bisher für gefährlich niedrig hält. An der Kampagne sollten sich „Vorbilder aus Kunst, Sport und Politik beteili­gen“. Man müsse den vielen „Fake News“, die verbreitet würden, etwas entgegensetzen: Sich impfen zu lassen sollte „als Bürgerpflicht angesehen“ werden.

„Wenn die Alten- und Pflegeheime durchgeimpft sind, könnten sich auch die Spitzen des Staates als Vor­bild impfen lassen“, sagte der Politiker weiter. Bisher gehe „das noch nicht, weil wir uns zu Recht zuerst um die besonders gefährdeten Mitbürger kümmern“.

Eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen vorstellen kann sich auch der Medizinethiker Wolfram Henn. Das Mitglied des Deutschen Ethikrats, sagte kürzlich der Heilbronner Stimme, eine Impfpflicht könnte etwa Pflegeberufe betreffen. Das halte er für vertretbar.

Auch der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, sieht Gründe für eine Pflicht. „Wer Umgang mit vulnerablen Gruppen hat, muss immunisiert sein“, sagte er den Funke-Zeitungen mit Blick auf Pflegekräfte. „Für Pflegekräfte und medizinisches Personal ist eine berufsspezifische Impfpflicht gegen Corona sinnvoll.“

Kritik von allen Seiten

Kritik erntete Söder heute von allen Seiten: Aus Bayern selbst, aber auch aus der Bundes- und Landespo­litik andere Länder. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnte zum Beispiel eine Diskussion über eine Impfpflicht für Pflegeperso­nal und Mediziner strikt ab. „Im Moment über eine Impfpflicht zu speku­lieren, verbietet sich“, sagte Heil heute den Sendern RTL und ntv. Er halte den in Deutschland einge­schla­genen Weg für richtig, auf eine zwangsweise Impfdurchsetzung zu verzichten.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, lehnt ebenfalls eine solche Impfpflicht ab. „Gerade in der Pflege ist das Personal knapp“, erklärte er der Rheinischen Post . „Wenn die Coronaimpfung zu einer Voraussetzung für eine Tätigkeit in diesem Bereich gemacht wird, muss auch geklärt werden, wie die Fachkräfte ersetzt werden, die nicht zu einer Impfung bereit sind.“

Bärbel Bas, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied im Gesundheitaus­schuss des Bundestags, twitterte: „Eine Impfpflicht lehnen wir ab.“ Die Pflegekräfte arbeiteten hart da­ran, die Bewohner von Pflegeheimen zu schützen. Viele Pflegekräfte seien sich ihrer Verantwortung be­wusst und ließen sich selbstverständlich impfen. „Die Bereitschaft dazu steigt mit Aufklärung“, so Bas.

„Ich halte nichts von dieser Debatte“, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Sie sehe vor Ort eine hohe Impfbereitschaft. „Und unser Problem ist nicht die fehlende Impfbereitschaft, sondern dass wir nicht genügend Impfstoff haben, um die Impfbereitschaft jetzt sozusagen schon zu stillen“.

Es sei auch zu erleben, dass gerade die Pflegekräfte, die sich nicht gleich in der ersten Runde hätten impfen lassen und jetzt sähen, dass es gut gehe, sich in einer zweiten Runde impfen lassen würden. „Mein Rat ist, die Pflegekräfte jetzt nicht mit einer Impfpflicht unter Druck zu setzen, sondern für das Vertrauen zu werben und dafür zu sorgen, dass genügend Impfstoff vor Ort ist“, sagte Schwesig.

Pflegebe­vollmächtigte gegen Pflicht

„Ich bin ein erklärter Befürworter der Aufklärung und der freiwilligen Entscheidung“, sagte der Pflegebe­vollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, dem Südwestrundfunk (SWR). Druck halte er für „den falschen Weg“. Damit werde möglicher­wei­se genau das Gegenteil erreicht. Es bestehe die Ge­fahr, den Frust bei Beschäftigten in Pflegeberufen zu erhöhen. Stattdessen gelte es, über den Impfstoff zu informieren.

Kritik kam auch von FDP und Grünen. Söders Vorschlag sei „Wasser auf die Mühlen von Impfgegnern und Coronaleugnern“, erklärte Bundestags-Fraktionsvize Michael Theurer. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) müssten umgehend für eine Klarstellung in dieser Angelegenheit sorgen.

Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik der Grünen im Bundestag, bezeichnete eine Impfpflicht für Pflegekräfte als kontraproduktiv. Alle Überlegungen zu einer Impfpflicht bauten auf einem grundlegenden Irrtum auf. In einer Berufsgruppe mit etwa 1,8 Millionen Menschen gebe es sicher verschiedene Meinungen, aber eine grundsätzliche Impfskepsis beim Pflegepersonal sei „in keiner Weise belegt“, sagte sie.

Statt mit der Debatte um eine Impfpflicht vom Thema abzulenken, müsse endlich eine umfassende Auf­klärung über die Wirksamkeit der Impfstoffe im Vordergrund stehen. Damit steige das Vertrauen in die Impfung und auch die Impfbereitschaft.

Auch die Pflegekräfte wiesen den Vorstoß Söders zurück. „Aus guten Gründen hat die Politik bis­lang eine Impfpflicht abgelehnt. Noch längst sind nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden, die Pflegefach­per­sonen motivierend und wertschätzend vom Sinn der Impfung zu überzeugen“, erklärte Mar­kus Mai, Präsidiumsmitglied der Bundespflegekammer und Präsident der Landespflegekammer Rhein­land-Pfalz.

„Die Impfung gegen Corona muss eine freiwillige Entscheidung jedes einzelnen Menschen bleiben, und das muss auch für die Pflegenden gel­ten“, sagte Marliese Biederbeck, Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, DBfK Südost.

Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern sprach sich ebenfalls gegen eine solche Impfpflicht aus. Statt­dessen brauche es mehr Aufklärung. Nur durch Überzeugung könne man einen wirksamen Schutz beson­ders gefährdeter Gruppen erreichen, erläuterte Verbandspräsident Georg Sigl-Lehner.

„Auch wir können eventuell auftretende unerwünschte Nebenwirkungen der Impfung nicht einfach leug­nen. Aber wir können ihnen die belegten und bekannten Risiken einer Coronainfektion nüchtern entge­genhalten und so Überzeugungsarbeit leisten.“

Aufklärung nicht ausreichend

Das Bayerische Rote Kreuz, das zahlreiche Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste im Frei­staat betreibt, sieht die verhältnismäßig niedrige Impfbereitschaft unter den Pflegekräften ebenfalls in einer nicht ausreichenden Aufklärung begründet. Berechtigte Unsicherheiten und Fragen müssten daher ausgeräumt werden. „Eine Impfpflicht ist der falsche Weg.“

Bisher wird in Deutschland bei den Coronaimpfungen auf reine Freiwilligkeit gesetzt. Das hatten zuletzt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) immer wieder beteuert. Zum Vorstoß Söders äußerte sich der Minister auf Nachfrage heute allerdings nicht. Erst Ende des vergangenen Jahres hatte Spahn mehrfach gesagt, dass es keine Impfpflicht geben werde. Das gelte auch für den Bereich Pflege und Kran­kenhaus.

Spahn erneuerte damals jedoch seinen direkten Appell an Ärzte und Pflegekräfte und alle, die im Ge­sundheits­wesen ar­beiten, sich gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Er sprach von einer Frage der Ver­nunft, denn die Impfung sei der Schlüssel raus aus der Pandemie. Darüber hinaus trügen Ärzte und Pfle­gekräfte eine doppelte Verantwortung. Wer im Gesund­heits­wesen arbeite, habe für sich und besonders Verwundbare eine besondere Verantwortung, sagte der Minister. Sie hätten darüber hinaus eine Vor­bildfunktion.

kna/afp/dpa/may

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