Politik

Künstliche Intelligenz in der Arztpraxis: Zi-Kongress zeigt Ansätze

  • Freitag, 9. September 2022
/zapp2photo, stock.adobe.com
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Berlin – Im Praxisalltag gibt es großes Potenzial für die Anwendung von Algorithmen auf Grundlage Künst­li­cher Intelligenz (KI). Das erklärte der Berliner Wissen­schaftler Wolfram Herrmann beim Congress Versorgungs­for­schung des Zentralinstituts für kassenärztliche Versorgung (Zi).

Insbesondere böten einige Besonderheiten, die eigentlich Schwachstellen in der Praxisverwaltung seien, gro­ßes Potenzial für neue Informationstechnologien, erklärte Herrmann, Professor an der Berliner Charité, stell­vertretender Direktor des dortigen Instituts für Allgemeinmedizin sowie Mitglied im Board der Plattform Ver­sorgungsforschung.

So sei die Dokumentation in deutschen Arztpraxen meist sehr unstrukturiert und „häufig auch sehr kryptisch“, erklärte Herrmann: Mitarbeiter und Ärzte würden oft sehr viele idiosynkratische Abkürzungen benutzen, die außerhalb der Praxis nicht geläufig seien.

„Das ist ein riesiger Wust an Material, das kaum jemand versteht. Wir haben eine schwierige Ausgangslage mit heterogene Daten, die aber auch eine Chance bieten für die technische Auswertung“, sagte er. „Das sind beste Voraussetzungen für Textmining und KI-Basierte Auswertung.“

Auch in der Kommunikation zwischen Arzt und Patient könne KI künftig einen großen Mehrwert entwickeln, beispielsweise in der automatischen Erkennung und Benachrichtigung von Patienten, die einen weiteren Termin ausmachen sollten.

Patienten würden oft selbst nicht daran denken und deshalb verpassen, neue Termine auszumachen. Eine in­dividualisierte Rückmeldung, die eine KI aus bisherigen Behandlungsdaten ableitet, könne da Abhilfe schaf­fen.

Bisher zu wenig berücksichtigt werde hingegen die Präsentation von Patientendaten. Speziell dann, wenn die elektronische Patientenakte (ePA) in der Breitennutzung angekommen ist, werde das eine größere Rolle spie­len. „Wir brauchen ein KI, die automatisch die wichtigsten Daten herauszieht und zusammenfasst“, erklärte Herrmann. „Das geht im journalistischen Bereich schon, das wird auch im medizinischen Bereich gehen.“

Nach einem ähnlichen Grundprinzip würden künftig auch Anwendungen zur Auswertung von Notfalldaten eine Rolle spielen. „Hier wäre es sehr wichtig, alle relevanten Informationen zu einem Patienten in kürzester Zeit zu sehen“, sagte Herrmann. In Estland beispielsweise existiert eine solche Anwendung bereits.

Bereits heute verbreite sich die Nutzung von Wearables wie Smartwatches immer weiter, mit denen auch Vital­daten erfasst und gespeichert werden können. Eine automatische Übersendung an die Praxis könne enorme Dienste bei der Überwachung leisten und auch eine bessere Risikokommunikation ermöglichen. „Gerade bei komplexen Patientinnen mit vielen Begleiterkrankungen brauchen wir automatische Risiko­berechnungen“, erklärte Herrmann.

Dass das keine reine Zukunftsmusik ist, erklärte Florian Wenz, Verantwortlicher für Versorgungscontrolling und -analytik bei der Bosch-Betriebskrankenkasse, die bereits die zielgerichtete Unterbreitung von Versor­gungs­angeboten mittels Predictive Modeling erprobt.

Entstanden war das Projekt schon 2020 auf Grundlage der „individuell geeigneten Versorgungsinnovationen“, die im Vorjahr mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) in Paragraf 68 b Sozialgesetzbuch V (SGB V) einge­führt worden waren. „Die Grundfrage lautet: Wie kriegen wir die Versicherten zum richtigen Angebot?“, sagte er.

„Die neue Regelung machte Targeting überhaupt erst möglich. Vorher wäre das technisch möglich gewesen, aber nicht rechtlich.“ Zielgruppe seien vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen, multimorbide und solche mit hohem Überwachungsbedarf. „Die müssen wir in die hausärztliche Versorgung steuern“, erklärte Wenz.

Mittels Prädiktion werden bei dem Projekt Versicherte identifiziert, bei denen in den kommenden zwölf Mona­ten eine Chronifizierung ihrer Krankheiten wahrscheinlich ist, um ihnen die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) als Versorgungsprodukt näherzubringen.

Durch individuelle Anschreiben sollen die identifizierten Patienten dazu gebracht werden, Versorgungsan­ge­bote, die sonst nicht in Anspruch genommen worden wären, nachzufragen. 218 mal wurde das bereits getan, drei HVZ-Einschreibungen seien innerhalb von 14 Tagen nach den Anschreiben erfolgt, 18 weitere später. Das ergebe insgesamt eine zehnprozentige Einschreibequote nach den Anschreiben.

Aus den Rückmeldungen habe sich gezeigt, dass die Versicherten dem Angebot offen gegenüberstehen und keine Einwände geäußert haben. „Interne Bedenken gegen das Projekt haben sich nicht bewahrheitet“, resümierte Wenz. „Wir sehen in der zielgerichteten Ansprache die Zukunft.“

lau

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