Lauterbachs Spargesetz: Weiter harsche Kritik von allen Seiten

Berlin – Fachverbände und Krankenkassen haben Nachbesserungen am geplanten Finanzstabilisierungsgesetz für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) gefordert. Die Bundesärztekammer warnte heute in Berlin vor versteckten Leistungskürzungen.
Die Organisationen äußerten sich zu der an diesem Mittwoch vorgesehenen Expertenanhörung zum Referentenentwurf der Regelung. Laut Ärztekammer könnte die vorgesehene Streichung der extrabudgetären Vergütung für Neupatienten in Arztpraxen, die Versorgungssituation weiter verschärfen.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sprach von „Leistungskürzungen durch die Hintertür“. Für junge Ärzte könnte dies einen weiteren Grund sein, sich gegen eine Niederlassung zu entscheiden.
Die Bundesärztekammer schätzte den vorgesehenen Bundeszuschuss für die Krankenkassen von zwei Milliarden Euro für das kommende Jahr als zu niedrig ein und forderte fünf Milliarden Euro. Angesichts der Herausforderungen und erforderlichen Strukturreformen nicht zuletzt aufgrund der Pandemie seien weitere Mittel nötig, so Reinhardt.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht bei der Abschaffung der einst mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführten Neupatientenregelung ein Missverhältnis von Kosten und Nutzen.
„So es durch die TSVG-Regelung zu durch den Gesetzgeber gewollten Anpassungen in der Versorgung gekommen ist, werden diese nunmehr – bei vergleichsweise geringen Finanzeffekten – zunichtegemacht“, schreibt die KBV in ihrer Stellungnahme. „Der Regelungsvorschlag ist insofern als nicht nachhaltig zu charakterisieren und wird daher seitens der KBV nachdrücklich abgelehnt.“
Der vorliegende Referentenentwurf sei als nicht zielführend zu charakterisieren, da es insbesondere im ambulanten Bereich zu Fehlsteuerungen kommen werde, „die geeignet sind, das Vertrauen der Ärzteschaft in die Normenstabilität in der ambulanten Versorgung nachhaltig zu erschüttern“.
Angesichts der im Vergleich zu den übrigen Leistungsbereichen in den vergangenen Jahrzehnten durch die vertragsärztliche Versorgung über die Budgetierung der Gesamtvergütungen geleistete Beitrag zur Stabilisierung der GKV-Ausgaben ist.
Es sei nicht nachvollziehbar, dass eine angemessene Vergütung der vertragsärztlichen Versorgung von Neupatienten wieder vorenthalten wird. „Insbesondere ist es nicht zu verstehen, dass ausgerechnet die vertragsärztliche Versorgung, die während der Coronapandemie für eine Stabilisierung der übrigen Sektoren gesorgt hat, nunmehr die Lasten der Ausgabenerhöhungen in den übrigen Sektoren mittragen soll“, kritisierte die KBV.
Der Bundesverband der Allgemeinen Ortskassen (AOK-Bundesverband) bemängelt, dass laut Entwurf mit rund zwölf Milliarden Euro mehr als zwei Drittel der Finanzmittel für die prognostizierte Finanzierungslücke der GKV im Jahr 2023 von den Beitragszahlern aufgebracht werden solle.
Das Gesetz sei nicht nachhaltig und biete „auch kurzfristig keine gesicherte Finanzperspektive“, so der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer. Der vorgesehene Abbau der Rücklagen gefährde zudem die finanzielle Stabilität der GKV.
Er sei auch nicht mit den Anforderungen an die Insolvenzsicherheit in Einklang zu bringen, sagte Hoyer. Er verstoße gegen verfassungsrechtliche Vorgaben und greife erneut in die Haushaltsautonomie der sozialen Selbstverwaltung der Kassen ein.
Positiver äußerte sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Dieser begrüßte das Vorhaben, die Umsatzgrenze für Arzneimittel, die zur Behandlung eines seltenen Leidens (Orphan Drugs) eingesetzt werden, von 50 auf 20 Millionen Euro abzusenken. Dadurch werde dem G-BA ermöglicht, den Zusatznutzen frühzeitiger und bei mehr Orphan Drugs als bislang gegenüber dem aktuellen Therapiestandard zu bewerten.
Eine Absenkung der Umsatzschwelle würde nach derzeitigem Kenntnisstand dem G-BA eine Zusatznutzenbewertung von rund 20 weiteren Wirkstoffen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapieerlauben und „somit die Basis für eine faire Erstattungsbetragsverhandlung für diese Arzneimittel schaffen“, schreibt der G-BA in seiner Stellungnahme.
Auch die rückwirkende Geltung des Erstattungsbetrags ab dem siebten statt dem 13. Monat begrüßt der G-BA ausdrücklich. Das sei sachgerecht, da ab diesem Zeitpunkt der Nutzenbewertungsbeschluss des G-BA bereits vorliegt. „Die Regelung ist zur Stabilisierung der Finanzen der GKV erforderlich“, heißt es in der Stellungnahme.
Die Pharmaindustrie sieht das erwartungsgemäß ganz anders: Sie habe die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verursacht, ihr Anteil an den Gesamtausgaben habe im letzten Jahrzehnt stabil bei 16 Prozent gelegen, mahnt Han Steutel, Präsident des der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa): „Der Versuch, sie dennoch in eine Sanierungshilfe zu zwingen, wirken nach wie vor willkürlich und treiben Juristinnen und Juristen eher die Sorgenfalten auf die Stirn.“
Lauterbach habe vor, „aus Geldnot im Vorbeigehen das AMNOG (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) zu einer Art Mautsystem für innovative Arzneimittel umzubauen“, sagt Steutel. Das sei hoch riskant.
Auch Steutel wirft Lauterbach Wortbruch vor. Schließlich habe er versprochen, künftig ohne Leistungskürzungen für Versicherte auszukommen. „Mit diesem Gesetzentwurf riskiert er aber Marktrücknahmen von Arzneimitteln, die sich genauso wie Leistungskürzungen auswirken werden“, erklärte Steutel
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