Mehr humanitäre Hilfe und Sonderkoordinator für Syrien

Berlin – Die Bundesregierung will nach dem Sturz von Langzeitherrscher Baschar al-Assad mehr Präsenz in Syrien zeigen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) setzte ihren Staatsminister Tobias Lindner als Sonderkoordinator für das Land ein und kündigte zusätzliche humanitäre Hilfe an. Zugleich kritisierte die Politikerin nach der Kabinettssitzung in Berlin die aufkeimende Debatte über Abschiebungen.
Noch vor wenigen Wochen hätten einige deutsche Politiker eine Normalisierung mit Machthaber Assad gefordert. Nun erklärten die gleichen Leute, dass alle Menschen wieder nach Syrien zurückkehren könnten.
„Das zeugt offensichtlich davon, dass der Realitätssinn für die Lage im Nahen Osten nicht besonders ausgeprägt ist“, sagte Baerbock. Nötig sei jetzt kein blinder Aktionismus, sondern ein koordiniertes und verantwortungsvolles Vorgehen mit den internationalen Partnern. Aktuell halten sich laut Bundesinnenministerium rund 975.000 Syrer in Deutschland auf.
Die intensive Pendeldiplomatie in den Nahen Osten werde fortgesetzt, sagte die Außenministerin. Der neue Sonderbeauftragte solle die Präsenz Deutschlands in Syrien erhöhen. Nach Angaben eines Ministeriumssprechers ist eine rasche Wiedereröffnung der deutschen Botschaft vorerst nicht geplant, sondern „Pendeldiplomatie von Beirut aus“.
Die Ministerin bot auch deutsche Hilfe für die Beseitigung von Chemiewaffen an. „Wir haben nun die Chance, die Welt ein für alle Mal vor diesen Chemiewaffen Assads sicher zu machen“, sagte sie. „Die noch vorhandenen Waffen müssen daher möglichst rasch in internationales Gewahrsam genommen werden.“ Deutschland hat sich bereits in der Vergangenheit an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen beteiligt.
Acht Millionen zusätzliche humanitäre Hilfe
Für die humanitäre Hilfe will die Bundesregierung kurzfristig außerdem acht Millionen Euro zur Verfügung stellen. Wenn man das Land stabilisieren wolle, müsse trotz der schwierigen Sicherheitslage weitere Hilfe zu den Menschen vor Ort kommen, sagte Baerbock.
In diesem Zusammenhang verwies die Ministerin auf den drastischen Anstieg der Lebensmittelpreise in Syrien. Allein der Preis für Brot sei in den vergangenen Tagen um 900 Prozent gestiegen.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze formulierte für mehr Engagement zugleich auch Erwartungen an die neue Führung in Syrien. Menschen, die zum Beispiel aus Deutschland nach Syrien zurückkehren wollten, müssten sich darauf verlassen können, dass sie zu ihrem Haus oder Stück Land zurückkommen könnten. Die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten, von Frauen und Mädchen müssten geschützt werden.
Außerdem brauchten Hilfsorganisationen wie die Vereinten Nationen einen ungehinderten Zugang in alle Gebiete – auch in den kurdischen Nordosten.
Wie Baerbock kritisierten auch Schulze und Innenministerin Nancy Faeser, dass bereits über Abschiebungen oder die Rücknahme des Schutzstatus von syrischen Flüchtlingen gesprochen werde. Die SPD-Politikerin Faeser warnte, wenn alle syrischen Flüchtlinge nun in ihre Heimat zurückkehrten, habe das Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt.
„Es würden ganze Bereiche im Gesundheitssektor wegfallen, wenn jetzt alle Syrer, die hier arbeiten, unser Land verlassen würden“, sagte die SPD-Politikerin. Gesundheitsminister Karl Lauterbach erklärte, in Deutschland arbeiteten mehr als 6.000 Ärzte aus Syrien, die voll integriert und für die Versorgung unabkömmlich seien.
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