Merkel sieht Nachbesserungsbedarf bei Krisenbewältigung und verteidigt Patentschutz für Impfstoffe

Berlin – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Fehler der Europäischen Union (EU) bei der Bewältigung der Coronapandemie eingeräumt und Konsequenzen für künftige Krisen gefordert. Im ersten Coronaschock hätten nationale Anstrengungen das Handeln bestimmt, bevor europäisch abgestimmt vorgegangen worden sei, sagte die Kanzlerin heute in ihrer wahrscheinlich letzten Regierungserklärung im Bundestag.
„Wir wissen heute, dass wir das besser können und das auch in Zukunft besser machen werden“, sagte die CDU-Politikerin. Sie forderte, die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken bei der Krisenreaktion, im Gesundheitsschutz, beim gemeinsamen Binnenmarkt und den Einreiseregeln.
Merkel sprach sich heute auch erneut klar gegen eine Aussetzung des Patentschutzes für Coronaimpfstoffe aus. Sie plädierte dafür, die Produktion von Impfstoffen für ärmere Länder über eine verstärkte Lizenzvergabe zu erhöhen.
„Eine politisch erwirkte Freigabe der Patente halte ich dagegen für den falschen Weg“, sagte die CDU-Politikerin. Die weitere Entwicklung von Impfstoffen werde nur gelingen, wenn der Schutz geistigen Eigentums nicht außer Kraft gesetzt werde.
Die USA hatten die Aussetzung der Patente ins Gespräch gebracht, um die Produktion von Impfstoffen für ärmere Länder zu erhöhen. Neben Deutschland sind auch Großbritannien und die EU-Kommission dagegen.
Anlass für die Regierungserklärung heute war der bevorstehende EU-Gipfel in Brüssel. In der anschließenden Debatte traten erstmals alle drei Bewerber für ihre Nachfolge hintereinander im Bundestag auf: die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne).
Mehrere Redner gingen auf die europapolitische Bilanz Merkels ein. FDP-Chef Christian Lindner sagte, Merkel habe sich „stets uneigennützig in den Dienst Deutschlands und Europas“ gestellt. Auch Baerbock würdigte die Leistungen der CDU-Politikerin: „Sehr, sehr viele Menschen in diesem Land sind dankbar dafür, dass Sie in Krisensituationen in den letzten 16 Jahren dieses Europa zusammengehalten haben.“
Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel zog dagegen eine gegenteilige Bilanz von Merkels Kanzlerschaft: Sie habe Fehlentscheidungen getroffen, „die dieses Land tief gespalten und ihm schweren Schaden auf Jahre und Jahrzehnte hinaus zugefügt haben“.
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch warf Merkel vor, die EU nicht gestärkt und geeinigt zu haben. „Die Europäische Union, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ist mit dem Ende Ihrer Amtszeit in keinem guten Zustand“, sagte er.
Beim zweitägigen EU-Gipfel, der heute Nachmittag in Brüssel beginnt, geht es um das Verhältnis der EU zu Russland und zur Türkei sowie die festgefahrene Migrationspolitik der Staatengemeinschaft. Das zentrale Thema wird erneut der Kampf gegen die Coronapandemie sein, die Öffnung Europas für Reisen und die wirtschaftliche Erholung. Merkel kritisierte, dass die EU vor allem bei der Koordination der Reisebeschränkungen massive Defizite habe.
„Die Koordinierung der ebenso einschneidenden wie im Wortsinne notwendigen freizügigkeitsbeschränkenden Maßnahmen kam viel zu zögerlich in Gang. Das muss im Falle eines Falles in Zukunft schneller gehen“, forderte sie. Auch jetzt noch gelinge es nicht ausreichend, Einreisen aus Drittstaaten zu koordinieren, insbesondere aus Gebieten mit besonders gefährlichen Virusvarianten.
„Solange die Pandemie nicht überwunden ist, kann eine Debatte über Lehren aus der Krise nur ein erster Schritt eines längeren und tiefergehenden Prozesses sein“, sagte Merkel. „Aber dieser Prozess ist wichtig, denn die Fähigkeit und die Bereitschaft dazu werden darüber entscheiden, wie die Europäische Union künftige Herausforderungen dieser Größenordnung meistern wird.“
Unionskanzlerkandidat Armin Laschet warb in seiner ersten Rede im Bundestag seit 23 Jahren für Zusammenhalt zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. „Es ist eine Lebenseinstellung: Weder von einem tödlichen Virus noch von antieuropäischer Häme und Skepsis und erst recht nicht von Populisten und Nationalisten lassen wir uns dieses Europa kaputtmachen“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident.
SPD-Kanzlerkandidat Scholz sieht in der gemeinsamen europäischen Reaktion auf die Coronakrise die Grundlage für eine zügige wirtschaftliche Erholung. „Alles was dabei rausgekommen ist, ist ein Aufschwung, den wir in Deutschland und Europa haben, ein Aufschwung der wahrscheinlich größer sein wird, als wir ihn heute vorausberechnen können – und das ist das Ergebnis der gemeinsamen Krisenbekämpfung“, erklärte der Bundesfinanzminister.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: