Nach Astrazeneca-Stopp: Bund und Länder verschieben Impfgipfel

Berlin – Nach dem vorläufigen Stopp von Coronaimpfungen mit dem Präparat von Astrazeneca vertagen Bund und Länder Entscheidungen für einen Impfstart in den Arztpraxen. Eine für morgen Abend vorgesehene Telefonkonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten wird verschoben, bis eine Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zum weiteren Umgang mit Astrazeneca vorliegt, wie ein Sprecher der Bundesregierung heute mitteilte.
Bei den Bund-Länder-Beratungen sollte es eigentlich vor allem darum gehen, wann auch niedergelassene Ärzte in den Praxen auf breiter Front mitimpfen sollen. Dabei geht es um eine schrittweise Einbeziehung neben den bestehenden Impfzentren, die die Länder behalten und weiterhin auch zuerst mit Impfstoff beliefern wollen.
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatten einen breiten Impfstart in den Praxen bisher spätestens für die Woche vom 19. April angepeilt – dies ist nun aber ungewiss. Der Impfstoff von Astrazeneca kann auch gut in Praxen eingesetzt werden, weil er nicht so stark gekühlt werden muss wie etwa das Präparat von Biontech.
Wie einige andere europäische Länder hat auch Deutschland Impfungen mit Astrazeneca gestern als „reine Vorsichtsmaßnahme“ ausgesetzt, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gestern mitgeteilt hatte. Hintergrund ist eine entsprechende Empfehlung des für die Impfstoffsicherheit zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) nach Meldungen von Hirnvenenthrombosen in zeitlichem Zusammenhang mit einer Astrazeneca-Impfung.
Die EMA arbeitet an einer erneuerten Bewertung des Impfstoffs. Die Sicherheitsexperten wollen übermorgen über mögliche weitere Schritte entscheiden, teilte die EU-Behörde mit. Von sieben in Deutschland gemeldeten Fällen mit Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang zur Impfung seien drei tödlich verlaufen, wie PEI-Präsident Klaus Cichutek erläuterte.
Die deutschen Befunde seien nun im europäischen Vergleich zu diskutieren und mit europäischen Daten abzugleichen. Zu den Auswirkungen auf die deutsche Impfkampagne sagte Cichutek: „Wenn es ein bisschen länger dauert, ist das ok.“ Bisher wurde das Astrazeneca-Präparat hierzulande mehr als 1,6 Millionen Mal verimpft.
Kritik an Entscheidung
Die Entscheidung traf zum Impfstopp traf jedoch durchaus auf Kritik. Der Pandemiebeauftragte des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München, Christoph Spinner, sagte, Sicherheit stehe zwar an oberster Stelle – das Aussetzen könne man aber zumindest hinterfragen. „Die Ereignisse sind sehr selten“, sagte er mit Blick auf die Zahl der Vorfälle. Und: „Wir impfen derzeit prioritär Menschen mit Vorerkrankungen.“ Diese Patienten hätten teils von vornherein ein gesteigertes Thromboembolierisiko.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen nannte den Stopp auf Basis geringer Fallzahlen angesichts der dritten Coronawelle fahrlässig. „Eine Alternative wäre es, über das überschaubare Risiko ausführlich aufzuklären und weiterhin jene Menschen zu impfen, die eine Impfung mit Astrazeneca möchten“, sagte er. Der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, hält das Präparat zwar für sicher. „Trotzdem ist es richtig, dass die nationalen Behörden die Verdachtsfälle auf schwere Nebenwirkungen prüfen.“
Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus sagte, die Entscheidung Spahns habe eine Kettenreaktion ausgelöst, die nun die gesamte Impfkampagne zurückwerfe. „Deshalb wäre gerade jetzt ein Impfgipfel nötig, um mit allen Beteiligten zu beraten. Er muss noch diese Woche stattfinden, damit es Klarheit gibt.“ Dabei müssten alle Optionen auf den Tisch, um die Impfkampagne zu beschleunigen.
Auswirkungen auf Impfkampagne
Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi) rechnet mit deutlichen Verzögerungen im rechnerischen Zeitplan. „Dies würde das Impfergebnis um einen Monat rechnerisch nach hinten verschieben“, sagte ZI-Chef Dominik von Stillfried dem Handelsblatt.
Dann könnten statt im August erst im September alle Impfwilligen eine zweite Dosis erhalten. Das Rechenmodell des Instituts geht davon aus, dass die bisher zugelassenen Mittel von Biontech/Pfizer, Moderna und Johnson & Johnson, wie zugesagt kommen und Hausärzte frühestmöglich mitimpfen.
Einen Rückschlag für die Impfkampagne durch den Stopp der Astrazeneca-Impfungen befürchtet auch CDU-Chef Armin Laschet. „Das wird viele Strategien wieder verändern“, sagte Laschet gestern im ZDF. „Wir haben darauf gesetzt, dass wir jetzt sehr schnell sehr breit impfen“, sagte er weiter. Und nun sei der Impfstoff „nicht mehr da, jedenfalls nicht in den nächsten Tagen“. Darauf müsse die Politik reagieren.
CSU-Chef Markus Söder glaubt nach eigenen Worten nicht, dass die Astrazeneca-Impfungen generell ausgesetzt bleiben. Es würden nach der Prüfung der Vorfälle noch viele Gruppen damit geimpft werden können, sagte er in der ARD. „Ich würde mich auch sofort hinstellen.“ Er riet, die Zweitimpfung weiter hinauszuschieben, die Ärzte frühzeitig einzubinden und die festgelegte Impfreihenfolge zu lockern.
Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans warf Spahn vor, sich nach den dänischen Vorfällen noch an die Einschätzung der EMA gehalten zu haben und nun umgeschwenkt zu sein. „Hals über Kopf eine Woche vorher zu sagen, die Risiken sind kleiner als der Nutzen, und dann ein paar Tage später, wenn sich alle darauf einstellen, dass jetzt geimpft wird, zu sagen: „Na ja, das ist mir jetzt zu heiß“, zeugt auch nicht von einer besonnenen, überschauenden Politik“, sagte er im ZDF.
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