Politik

Organspende: Erste positive Bilanz nach Gesetzesreformen

  • Dienstag, 3. November 2020
/dpa
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Berlin – Trotz der Coronapandemie konnten in Deutschland die Organspende und Trans­planta­tionen ohne größere Einbrüche fortgeführt werden. „Im Gegensatz zu vielen Nach­barlän­dern sind wir sehr gut durch die erste Welle gekommen“, sagte der Medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Axel Rahmel, anlässlich des heute gestarteten 16. Jahreskongresses der DSO. Dieser findet aufgrund der Pandemie bis zum 5. November ausschließlich virtuell statt.

Gerade unter Berücksichtigung der zusätzlichen Belastungen der Intensivmedizin durch die Pandemie machen die aktuellen Organspendezahlen Mut: Von Januar bis Ende Okto­ber 2020 gab es laut DSO in Deutschland 793 postmortale Organspender – 2,3 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Vor Beginn der Pandemie im Januar und Februar dieses Jahres lagen die Zahlen in Deutschland sogar um fast 30 Prozent höher als im Vergleichs­zeitraum von 2019.

Im Gegensatz dazu sind in vielen anderen Ländern die Organspendezahlen deutlich ge­sunken, in Spanien während der ersten Welle sogar um rund 70 Prozent. Dass das in Deutschland bisher nicht so war, liegt der DSO zufolge vor allem an zwei Faktoren, und zwar zum einen an mehr Kapazitäten auf Intensivstationen, zum anderen an der frühzei­tigen Testung auf SARS-CoV-2.

Grundsätzlich schaut die DSO mit großer Hoffnung auf die künftige Entwicklung der Spenderzahlen. Denn das vergangene Jahr brachte einige gesetzliche Veränderungen für die Organspende und Transplantationsmedizin mit sich, die seit April 2019 umgesetzt werden.

Die Maßnahmen des „Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ setzen insbesondere an den zuvor identifizierten Schwachstellen an: an den Bedingungen und den Abläufen für die Organspende in den Entnahmekliniken sowie bei der Erkennung möglicher Spender. So stärkt das neue Gesetz die Rolle der Trans­­plantationsbeauftragten in den Kliniken und sorgt für eine aufwandsgerechte Ver­gütung der Entnahmekrankenhäuser für ihre Leistungen in Zusammenhang mit der Or­gan­spende.

Verbesserte Erkennung von Spendern

Ein Ziel des neuen Gesetzes und Schwerpunktthema des heutigen ersten Kongresstages war eine verbesserte Erkennung möglicher Spender in den Kliniken. Eine wichtige Maß­nahme ist dabei die seit letztem April gesetzlich vorgeschriebene Todesfallanalyse. Durch sie sind alle Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, Todesfälle mit primärer oder sekundä­rer Hirnschädigung zu erfassen und die Gründe zu eruieren, die eine Organ­spende verhin­dert haben.

„Eine erste Auswertung der bisher erstmals bundesweit eingegangenen Daten an die DSO zeigt, dass 2019 potenziell die Anzahl der Organspender hätte verdoppelt werden könn­en“, erklärte Sören Melsa, DSO-Koordinator für die Region Mitte. Bei etwa 1.000 Fällen hätte eine relevante Option auf eine Organspende bestanden, die jedoch nicht genutzt worden sei.

Teilweise sei trotz Indikation keine Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls er­folgt, berichtete Melsa. Dies verdeutliche erneut, dass dem Organspendemangel durch verbesserte Abläufe in den Kliniken weiter entge­gen­gewirkt werden könne. „Ziel der To­desfallanalyse ist es, die Krankenhäuser auf dieses Potenzial hinzuweisen“, betonte Rah­mel.

Neue Richtlinie Spendererkennung

Eine andere Lücke bei der Erkennung möglicher Organspender soll die erst seit wenigen Wochen, konkret seit Anfang September, geltende neue Richtlinie Spendererkennung der Bundesärztekammer schließen.

„Sie ist ein Meilenstein bei der Erkennung von Organspendern und rückt die frühzeitige Beachtung des Patentenwillens und dessen Umsetzung in den Mittelpunkt“, erklärte Klaus Hahnenkamp, Universitätsmedizin Greifswald, heute. Geschrieben sei sie von „Prak­tikern für Praktiker“ und analysiere die Frage, wer bei schwerster Hirnschädigung unter ärztlichen Gesichtspunkten für eine Organentnahme infrage kommt.

Hahnenkamp, der in den vergangenen fünf Jahren die Entstehung der Richt­linie innerhalb der entsprechenden Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer begleitete, betonte, dass es bereits zum Zeitpunkt eines zu erwartenden oder vermuteten Hirnfunk­tionsausfalls gelte, durch Gespräche den möglichen Wunsch einer Organspende zu er­mitteln. Dies solle geschehen, bevor die Einleitung einer palliativen Behandlung eine spätere Organspende ausschließe.

„Der Patientenwille und dessen Umsetzung steht als Maßgabe über allem Handeln“, be­kräftigte Hahnenkamp. Folglich sei es umso wichtiger, die persönliche Entscheidung zur Organspende zu Lebzeiten zu treffen und diese auch zu dokumentieren.

Die DSO weist darauf hin, dass die Daten aus den Krankenhäusern zeigen, dass bislang in den meisten Fällen einer möglichen Organspende keine Willensbekundung in Form einer Zustimmung oder Ablehnung vorliegt.

Im vergangenen Jahr seien es mehrheitlich die Angehörigen gewesen, die entweder nach dem vermuteten Willen des Verstorbenen entschieden haben (40 Prozent) oder nach ei­ge­­nen Wertvorstellungen (19 Prozent) in die Spende eingewilligt bzw. sich dagegen aus­ge­sprochen haben. Nur 15 Prozent der möglichen Spender, die der DSO gemeldet wur­den, hätten ihren Willen zur Organspende schriftlich festgelegt.

Einen Widerspruch zu der Richtlinie „Spendererkennung“ stellt für die DSO und auch für Hahnenkamp das geplante Onlineregister für Erklärungen zu Organ- und Gewebespenden dar. Die Informationen im Register sollen nämlich erst nach der Todesfeststellung für spe­ziell berechtigte Ärzte zugänglich gemacht werden.

Auf dem heutigen Kongress waren sich die Experten jedoch einig, dass dies bereits dann möglich sein sollte, wenn der irreversible Hirnfunktionsausfall (IHA) bevorsteht oder als eingetreten vermutet werden kann. So könne sichergestellt werden, dass ein klar geäu­ßerter Wille zur Organspende bei den weiteren Schritten berücksichtigt werde.

Die Entnahmekrankenhäuser könnten auch schon vor der IHA-Diagnostik Kontakt zur DSO aufnehmen, stellte auch Rahmel klar. Personell könne die DSO dies leisten.

ER

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