Politik

Prostatakarzinomscreening: PSA-Test ja, Tastuntersuchung nein?

  • Montag, 12. Mai 2025
/Sherry Young, stock.adobe.com
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Berlin – Geht es nach den Empfehlungen in der Konsultationsfassung der S3-Leitlinie Prostatakarzinom, wird die Früherkennung eines Prostatakarzinoms (PCa) künftig auf der Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) basieren. Auch wenn die finale Version derzeit noch nicht feststeht, gibt es Überlegungen und Diskussionen, ob und wie dies umgesetzt werden kann.

Die Konsultationsfassung, erstellt unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), wurde vor kurzem veröffentlicht, eine Kommentierung war bis zum 25. April 2025 möglich. Die finale Version soll voraussichtlich im Juni erscheinen.

Wichtige Änderungen betreffen unter anderem die Früherkennung. So wird die digital-rektale Untersuchung nicht mehr und stattdessen ein mehrschrittiges Vorgehen empfohlen.

Demnach sollen Männer zunächst über die Vor- und Nachteile einer PCa-Früherkennung aufgeklärt werden. Das gilt für Männer im Alter ab 45 Jahren, die eine Lebenserwartung von mindestens 10 Jahre haben und eine Aufklärung wünschen. Die Vor- und Nachteile sind in der Leitlinie aufgelistet.

Höhe des PSA-Werts entscheidet über weiteres Vorgehen

Entscheiden sich die Männer für eine Früherkennung, kann ihnen eine Messung des PSA angeboten werden. Liegt dieser Wert <1,5 ng/ml, besteht ein geringes PCa-Risiko und die folgenden Bestimmungen können im Abstand von 5 Jahren erfolgen. Beträgt der PSA-Wert zwischen 1,5 und 2,99 ng/ml, wird von einem intermediären Risiko ausgegangen und die weiteren Untersuchungen sollen im Abstand von 2 Jahren durchgeführt werden.

Bei einem PSA-Wert ≥3 ng/ml liegt ein hohes Risiko vor. Dann, so lautet die Empfehlung, soll der Wert in einer weiteren Messung innerhalb von 3 Monaten überprüft werden. Bleiben die Ergebnisse gleich, folgt eine urologische Konsultation. Bestätigt sich das erhöhte PCa-Risiko, soll eine Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt werden.

Darüber hinaus gibt es spezielle Empfehlungen für Männer mit einem erhöhten PCa-Risiko etwa aufgrund einer familiären Belastung, wenn mindestens ein Verwandter ersten Grades betroffen war, oder mit einer Mutation im BRCA2-Gen.

Die Europäische Kommission empfiehlt seit 2022, ein kombiniertes Screening aus PSA-Test und MRT auf nationaler Ebene schrittweise einzuführen und wissenschaftlich zu begleiten. So hat Schweden 2020 schon ein strukturiertes und qualitätsgesichertes Früherkennungsprogramm implementiert, das wissenschaftlich eng begleitet wird (European Urology 2020; DOI: 10.1016/j.eururo.2023.11.013).

PSA-Test bislang keine GKV-Leistung

Stefan Sauerland vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln gibt jedoch zu bedenken, dass die neue zweischrittige Screeningstrategie bislang nicht in Langzeitstudien untersucht worden ist und es noch keine Gesamtanalyse dazu gibt, wie die jetzt verfügbaren Einzelergebnisse in der Summe zusammenpassen. „Aus IQWiG-Sicht ist bislang noch offen, ob ein PSA+MRT-Screening besser ist als kein Screening.“

Der PSA-Test sei zudem derzeit keine allgemeine Krankenkassenleistung, betont Sauerland. Er geht aber davon aus, dass bald eine Neubewertung der Prostatakrebsfrüherkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gestartet würde. „Hierfür sind aber komplexe wissenschaftliche und organisatorische Fragen zu klären, sodass die Prostatakrebsfrüherkennung sicherlich nicht vor 2028 allgemein angeboten werden wird.“

Das unparteiische Mitglied des G-BA, Bernhard von Treeck, betont im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt: „Ob ein Früherkennungsangebot eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sein kann, überprüft der G-BA in einem klar strukturierten und transparenten Verfahren.“

Ausgelöst würde ein solches Verfahren durch einen formalen Antrag. „Antragsberechtigt bei der Überprüfung der Früherkennung bei Prostatakrebs sind die Trägerorganisationen des G-BA, die unparteiischen Mitglieder und die Patientenvertretung.“ Zu den Trägerorganisationen gehören die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband.

Im Antrag müsse beschrieben werden, für welche Screeningstrategie die Studienlage systematisch bewertet werden soll und welche neuen Kenntnisse den Antrag begründen, erläutert van Treeck. „Ein solcher Antrag müsste Angaben zum Nutzen, zur medizinischen Notwendigkeit und zur Wirtschaftlichkeit einer Prostatakrebs-Früherkennung jeweils im Vergleich zu bereits erbringbaren Methoden enthalten und belegen.“

Bearbeitungszeit von mindestens 24 Monaten

Zentral für den G-BA werde die Frage sein, wie viel Evidenz vorhanden sei, wie belastbar bestimmte Erkenntnisse und Empfehlungen seien und wie eine Früherkennung für Millionen von Männern in Deutschland ressourcentechnisch umgesetzt werden könne, betont das unparteiische G-BA-Mitglied. Diese Fragen müssten in den Beratungen geklärt werden.

„Für diese Arbeiten sieht das SGB V 24 Monate vor. Und das ist bei der Beratung eines komplett neuen Screenings mit vielschichtigen Fragestellungen auf Basis komplexer wissenschaftlicher Evidenzlage schon knapp bemessen“, sagte van Treeck.

Das Verfahren im G-BA sieht demzufolge vor, zunächst das IQWiG als unabhängiges wissenschaftliches Institut mit der Recherche und Bewertung der aktuellen Studienlage zu beauftragen. Davor und vor der Beschlussfassung einer G-BA-Richtlinie können Ärzte sowie weitere Stellungnahmeberechtigte jeweils sowohl mündlich als schriftlich Stellung nehmen. „Alle diese Verfahrensschritte nehmen Zeit in Anspruch“, erklärte van Treeck.

Nach einem positiven Beschluss des G-BA würden sich die Träger des Bundesmantelvertrags zusammensetzen und über eine mögliche Honoraranpassung verhandeln. Van Treeck: „Der G-BA hat darauf keinen Einfluss. Für diese Verhandlungen hat der Gesetzgeber dem Bewertungsausschuss maximal sechs Monate eingeräumt.“ Er wirbt um Verständnis, „dass Leitlinienempfehlungen aus guten Gründen eben nicht ungeprüft Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung werden können.“

Nutzen und Risiken eines Screenings mittels PSA-Test

„Entsprechend unserem Auftrag hat der G-BA die Entwicklung der nationalen wie internationale Studienlage zur Früherkennung von Prostatakrebs immer im Blick“, erklärt van Treeck. Er weist darauf hin, dass momentan nur die Konsultationsfassung der Leitlinie vorliege. „Sobald wir eine neue autorisierte Version dieser Leitlinie haben, wird der G‑BA die neuen Empfehlungen und die zugrunde liegende wissenschaftliche Studienlage prüfen.“

In der Konsultationsfassung der Leitlinie würde auch kein generelles PSA-Screening empfohlen, sondern lediglich eine Beratung zu den Möglichkeiten und Grenzen der Früherkennung, führt van Treeck weiter aus. „Außerdem kann ein Screening potenziell den Männern durch eine hohe Zahl an Diagnosen schaden, die nicht hätten behandelt werden müssen, weil der Krebs zu Lebzeiten keine Probleme verursacht. Ich habe dafür kürzlich den Begriff Haustierkrebs gehört, der das gut beschreibt.“

Thomas Kötter, Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck und Mitglied der Leitliniengruppe, weist darauf hin, dass je mehr Männer getestet würden, desto mehr falsch-positive Testergebnisse gäbe es. „Aber durch die neuen Screeningintervalle sinkt für den einzelnen Mann die Wahrscheinlichkeit für ein falsch-positives Testergebnis.“ Die Kombination mit der MRT solle dann zusätzlich helfen, die Rate an Überdiagnosen und Überdiagnostik in Form unnötiger Biopsien zu senken.

Van Treeck bezweifelt zudem, ob die digital-rektale Untersuchung tatsächlich überflüssig ist. „Wenn man mit Urologen spricht, ist es beispielsweise nicht so, dass die Tastuntersuchung komplett rausfallen kann.“ Die digital-rektale Untersuchung sei unverändert ein einfaches Instrument zur Abschätzung der Größe der Prostata, dass man mit dem danach erhobenen PSA-Wert in Verbindung setzen könne.

Diskussionspunkt Altersgrenzen

Darüber hinaus gibt es Diskussionen hinsichtlich der Altersgrenzen. „Meine eigene Schlussfolgerung aus den verfügbaren Erkenntnissen lautet, dass Vorsorgeuntersuchungen zwischen dem 50. und 55. Lebensjahr beginnen sollten“, sagt Ola Bratt, Abteilung Urologie an der Universität Göteborg. Ein früherer Beginn führe nur zur Diagnose sehr weniger klinisch relevanter Krebserkrankungen und sei daher wahrscheinlich nicht kosteneffizient.

Einen vergleichbaren Standpunkt vertritt Sauerland. Es sei bedenklich, dass die Früherkennung laut der Leitlinie bereits mit 45 Jahren beginnen kann: zum einen käme Krebs in diesem Alter sehr selten vor und zum anderen hätten die meisten Studien Männer erst ab 50 oder 55 Jahren untersucht. Zudem fehle eine obere Altersgrenze. „Auch diese ist wichtig, weil mit steigendem Alter der Krebs zwar häufiger wird, gleichzeitig aber der Nutzen einer Früherkennung immer weiter abnimmt.“

„Das PSA-basierte, risikoadaptierte Screening besonders im Alter von 45 Jahren ist nun durch die PROBASE-Studie mit guten Daten hinterlegt“, hebt dagegen Peter Albers, Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Mitglied der Leitliniengruppe, hervor.

Allerdings sei der Anteil der aggressiven Karzinome, die durch das Screening in diesem Alter gefunden werden, gering, wie Albers ausführt. „Da man aber bei 90 % der Männer in diesem Alter mit einem Basis-PSA-Wert von bis zu 1,5 ng/ml auf ein Screening für mindestens 5 Jahre verzichten kann, ist dieser Ansatz ökonomisch sinnvoll und rechtfertigt den Beginn in diesen jungen Jahren.“

Genügend Kapazitäten für MRT-Untersuchungen?

Hierbei stellt sich die Frage nach den Kapazitäten für die MRT-Untersuchungen. Albers zufolge reichen diese aus. Zudem wiesen die Daten aus Skandinavien sowie dem Vereinigten Königreich darauf hin, dass die MRT ohne Kontrastmittel möglich ist, wodurch die Untersuchungszeit etwa 10 min betrage. „Allein die Vermeidung unnötiger Biopsien im Bereich von 50-60 % rechtfertigt die MRT. Aber diese müssen qualitätsgesichert durchgeführt werden.“

„Als wir 2020 mit den schwedischen regionalen organisierten Prostatakrebs-Testprogrammen begonnen haben, haben wir Probleme mit der MRT-Kapazität erwartet, aber in den meisten Regionen war sie ausreichend“, weiß Bratt aus den Erfahrungen in Schweden. Allerdings seien hauptsächlich Männer unter 60 Jahren eingeladen worden, somit könne der Bedarf zunehmen, wenn in den nächsten Jahren ältere Männer hinzukommen.

„Hier brauchen wir eine Implementierungsstudie, die das Screening in Deutschland modellhaft testet“, fordert Ulrike Haug, Abteilung Klinische Epidemiologie am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen. Die notwendigen Kapazitäten hingen entscheidend von den Teilnahmeraten ab, die kenne man bisher noch nicht.

aks/bee

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