Rettungsdienst steckt in einer „Systemkrise“, Reform angemahnt

Berlin – Bund und Länder kommen dem Auftrag zur qualitätsgesicherten Versorgung im Notfall nur bedingt nach. Laut einem Rechtsgutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters, Udo Di Fabio, befindet sich das deutsche Rettungswesen in einer „Systemkrise“, da es keine gleichen Qualitätsstandards oder ein funktionierendes digitales Rettungsdienstsystem gebe.
Zunehmend werde das Rettungswesen von Bagatellerkrankungen in Anspruch genommen, die Funktionsweise der Leitstellen sei oft den Anforderungen nach unangemessen. Ebenso gebe es erhebliche regionale Qualitätsunterschiede zwischen Stadt und Land.
Durch diese Qualitätsunterschiede sieht Di Fabio das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, einer Schutzpflicht des Staates, nicht erfüllt. Daher sei der Staat dazu verpflichtet, diesen Schutz mit einem funktionierenden Rettungsdienstsystem zur Verfügung zu stellen.
Mit dem Gutachten, das von der Björn-Steiger-Stiftung in Auftrag gegebenen wurde, wolle Di Fabio den „Bund ermuntern, hier eine stärkere Steuerungsverantwortung wahrzunehmen“, sagte der Jurist vor Journalisten in Berlin. Dieser sollte er auch gegen den Widerstand der Länder durchsetzen, auch mit Blick auf die Finanzierung durch die Krankenkassen.
Den schlechten Zustand beklagte auch der Vorsitzende der Björn-Steiger-Stiftung, Pierre-Enric Steiger: Aus seiner Sicht sterben in Deutschland täglich Menschen „systembedingt“ und die Angehörigen erführen nichts davon. Nachdem der Rettungsdienst vor 20 Jahren weltführend gewesen sei, habe er in Deutschland kontinuierlich an Qualität verloren, kein Bundesland habe „einen guten“ Rettungsdienst, ausgenommen einzelne Leuchtturmprojekte.
Inzwischen seien die Organisationsstrukturen auf „dem Niveau eines Entwicklungslandes“, sagte Steiger. So habe keine der 240 Leitstellen in Deutschland digitale Systeme, die auf die Kommunikation mit anderen Systemen aus der Umgebung ausgerichtet seien. Oftmals seien die Mauern zwischen den Landkreisen „dicker als die Berliner Mauer es je war“, so Steiger weiter.
Es sei in den Kommunen oft ein „kleinstaatliches Denken“ vorhanden, das keinen Austausch über die kommunalen Grenzen zulasse. Die Stiftung, die auf seinen 1969 verstorbenen Bruder zurückführt, wolle sich in der politischen Debatte um eine Reform des Rettungsdienstes intensiv einbringen.
Eine Reform des Rettungsdienstes soll nun schnellstmöglich gemeinsam mit der Reform des Notdienstes in die parlamentarische Beratung eingebracht werden. Das betonte Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, bei der Pressekonferenz in Berlin.
Konkret wollen die Abgeordneten des Bundestages dies nun mit Änderungsanträgen zum gestern vom Bundeskabinett beschlossenen Notfallreformgesetz erreichen. So soll der Rettungsdienst Teil des Sozialgesetzbuches V und damit Qualitätsvorgaben vonseiten des Bundes vorgeschrieben werden können.
Neben den Standards will Dahmen auch bundesweite Ersthelfer-Apps, telefonische Anleitung zur Reanimation sowie gemeinsame Leitstellen ins Gesetz schreiben. Nach seiner Aussage gebe es in der Fachwelt große Einigkeit, dass es zu einer Reform mit größeren Leitstellen und qualitätsgesicherten Abläufen kommen müsse.
Das Gesetz soll dennoch nicht zustimmungspflichtig im Bundesrat sein, betonte Dahmen. Man schreibe mit den Vorgaben aus dem SGB V Qualitätsstandards vor, nach denen Gelder aus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fließen. Damit gebe der Bundesgesetzgeber keine organisatorischen Vorgaben vor, die in der Hoheit der Länder liegen. Würde der Bund hier eingreifen wollen, würde eine Mitbestimmung im Bundesrat nötig werden.
Verfassungsrechtler Di Fabio findet diesen Ansatz nicht bedenklich. Es sei ein Zeichen von „vitalem Parlamentarismus“, wenn das Parlament die Gesetzesinitiativen der Regierung weiter ausfülle. Mit dem geplanten Vorhaben gebe es ein „Einwirken“ auf die Bundesländer, die Qualität des Rettungsdienstes zu heben. Dabei setzte der Bund auf die „Finanzierung als Motivation“, betonte Di Fabio.
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