SARS-CoV-2: Bundesweite Entscheidung zu mehr Freiheiten für Geimpfte wohl am 28. Mai

Berlin – Nach dem gestrigen Impfgipfel, der außer dem Vorhaben, dass voraussichtlich im Laufe des Monats Juni die Impfpriorisierung fallen soll, ohne konkrete Ergebnisse zu Ende gegangen ist, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Zeitplan für mögliche Erleichterungen für gegen SARS-CoV-2 Geimpfte genannt.
Am 28. Mai solle der Bundesrat final über die Vorschläge der Bundesregierung über Rechte von Geimpften entscheiden, sagte Spahn gestern Abend in einem ARD-„Extra“. Das Kabinett werde seine Vorschläge in der kommenden Woche vorlegen.
Das Datum bestätigte Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung, heute in einer Pressekonferenz. Es habe „wichtige und grundlegende Diskussion zwischen Bund und Ländern“ gegeben. Nun würden das Innenministerium und das Justizministerium Verordnung vorlegen. „Plan ist nächste Woche Kabinett“, so Seibert. Man werde nun alles zügig auf den Weg bringen.
Laut einem Eckpunktepapier der Bundesregierung vom Wochenende könnten für vollständig Geimpfte und Genesene etwa beim Zugang zu Geschäften und bestimmten Dienstleistungen dieselben Ausnahmen kommen, die für negativ Getestete gelten.
Bei der Einreise aus dem Ausland könnte in den meisten Fällen eine Quarantäne wegfallen. Bei Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sollten weitere Ausnahmen für Geimpfte und Genesene vorgesehen werden können.
Andere Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht und Abstand sollten aber auch für Geimpfte, Genesene und Getestete noch für längere Zeit weiter gelten. Die vorgesehenen Regelungen bedürften der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.
Diskussion geht weiter
Die Debatte um Freiheiten von Geimpften wurde – auch aufgrund der fehlenden endgültigen Entscheidungen des Gipfels – ebenso wie die Diskussion um den Zeitpunkt für die Aufhebung der Impfpriorisierung unverändert weiter geführt. Kritik gab es auch daran, dass notwendige Beschlüsse auf die lange Bank geschoben wurden.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bezeichnete den Impfgipfel als „Phrasengipfel“. „Wir sind deutlich verwundert und reiben uns ein bisschen die Augen, wenn jetzt von einem ,Hoffnungsgipfel‘ gesprochen wird“, kritisierte Vize-Chef der KBV Stephan Hofmeister. Er würde fast eher sagen, „ein Phrasengipfel und ein Gipfel der Gemeinplätze“, sagte er im Interview mit der Bayern-2-„Radiowelt“.
Die Aufhebung der Impfpriorisierung im Juni käme vielen Bürgern vermutlich noch zu lang vor, sagte Hofmeister. „Sobald also genug Impfstoff da ist – und das ist ja jetzt Woche für Woche mehr der Fall – muss geimpft werden, wer geimpft werden kann.“
Der KBV-Vize kritisierte zudem, dass es nach dem Gipfel keine Entscheidung gebe, wann Einschränkungen für Geimpfte und Genesene aufgehoben werden könnten. „Wenn ein sicherer Impfschutz da ist – und die Zahlen zeigen inzwischen, dass geimpfte Menschen ein sehr geringes Übertragungsrisiko haben – dann gibt es in dem Sinne der Angemessenheit keine Einschränkung für die Grundrechte mehr.“ Eine Ausnahme sei aber beispielsweise das Tragen von Schutzmasken.
Auch Kommunen und Landkreise vermissen nach dem Impfgipfel Ergebnisse zum Umgang mit Geimpften. Dass bei der Konferenz noch keine abschließende Verständigung über die Aufhebung der Grundrechtseinschränkungen für vollständig geimpfte Bürger getroffen worden sei, sei „bedauerlich“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, der Rheinischen Post.
„Es ist richtig, wenn schnell überall dort, wo bereits ein negativer Antigentest ausreicht, dies auch für Geimpfte und Genesene gilt. Gerade für den Einzelhandel und die Gastronomie wäre damit endlich eine Perspektive verbunden“, sagte Landkreistagspräsident Reinhard Sager den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) sprach sich erneut dafür aus, die geltenden Coronaeinschränkungen für Geimpfte zu lockern. „Wir schränken derzeit Grundrechte ein, um eine Pandemie zu bekämpfen“, sagte er gestern nach dem Impfgipfel.
Wenn es Menschen gebe, die aufgrund einer Impfung oder einer überstandenen Krankheit nicht mehr oder nur zu einem geringen Teil Überträger des Virus' sind, müssten sie auch anders behandelt werden. Das gelte etwa für Kontaktbeschränkungen und Ausgangsbeschränkungen. Betroffene sollten künftig keinen Test mehr brauchen, wenn sie beispielsweise zum Friseur wollen oder ihrer beruflichen Arbeit nachgehen.
Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg, Norbert Metke, ist dafür, coronabedingte Einschränkungen für Geimpfte aufzuheben. Allerdings gelte dies unter der Voraussetzung, dass das Impftempo so weitergehe wie in den vergangenen zwei Wochen „und wir eine nennenswerte Durchimpfung haben“, sagte er der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. „Es kann ja auch nicht sein, dass Geimpfte doppelt privilegiert werden – durchs Impfen und durch mehr Freiheit.“
Auch die Impfpriorisierung dürfe erst aufgehoben werden, wenn die Schwächsten durchgeimpft seien und Impfstoff übrig bleibe. Er begrüßte dabei die Haltung des Landes, das vorerst an der Priorisierung festhalten will. „Baden-Württemberg steht meiner Ansicht nach unter den Ländern an der Spitze der Seriosität“, sagte er dazu.
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) warnte hingegen vor einer unvorsichtigen Aufhebung der Coronaeinschränkungen für Geimpfte und Genesene. Der Bund erarbeite derzeit eine Verordnung, „der zugrunde liegt der Gedanke, dass Grundrechtseinschränkungen so früh wie möglich aufgehoben werden“, sagte er. Dabei müsse neben einem Impfangebot für alle aber auch die Pandemielage berücksichtigt werden.
Es gebe zwar die Einschätzung, dass vom Geimpften und Genesenen „ein sehr geringes Risiko“ ausgehe. „Nicht gar kein Risiko“, betonte er. Es müsse auch bedacht werden, dass „die Kumulation von Restrisiken“ wieder zu einem nennenswerten Risiko führen könne.
Der evangelische Theologe Peter Dabrock vermisste gestern politische Weichenstellungen. Ihn wundere, dass die Frage, ob Geimpfte und Genesene wieder mehr Freiheitsrechte bekommen sollten, nicht angegangen worden sei, sagte der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates im Deutschlandfunk.
„Das klingt wie die Fortsetzung der Politik der ruhigen Hand“, sagte Dabrock. „Da werden vermutlich die Gerichte schneller sein als die Politik, obwohl die Lage verfassungsrechtlich relativ klar ist.“ Es werde zu einer Rücknahme der Freiheitseinschränkungen kommen, wenn diese nicht mehr verhältnismäßig seien.
Die Politik müsse sich dann Gedanken machen, wie sie mit der Spaltung der Gesellschaft zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften umgehen wolle. „Da vermisse ich gestaltendes Handeln“, so Dabrock.
Eine Zeit lang könnten Übergangslösungen greifen, etwa indem man Restaurants und Veranstaltungen für Geimpfte öffne, sagte Dabrock. Damit ließe sich gut leben.
„Ich selber bin ja nicht geimpft und sage, ich freue mich, wenn der Händler meines Vertrauens wieder Kunden hat. Ich freue mich, wenn die Stammkneipe wieder Besucher hat, wenn die über die Runden kommen. Ich glaube, das sollten die Nicht-Geimpften auch berücksichtigen.“
Schwieriger werde es dort, wo viele Menschen zusammenkämen, die man nicht auf Impfschutz kontrollieren könne, beispielsweise im öffentlichen Personennahverkehr, räumte der Theologe ein. Dort werde man aus Gründen des Schutzes für die Nich-Geimpften auch die Geimpften dazu auffordern müssen, die entsprechenden Schutzmaßnahmen einzuhalten wie Maske zu tragen und Abstand zu halten.
„Sonst wären die Nicht-Geimpften die doppelt Gekniffenen.“ Sie wären auf der einen Seite einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt und müssten andererseits damit rechnen, dass viele aus der „Front der Querdenkenden“ dann ebenfalls öffentlich keine Masken trügen, wodurch das Expositionsrisiko für Nicht-Geimpfte noch einmal steigen würde, so Dabrock weiter.
Ausdrücklich mehr Solidarität forderte er ein mit der jüngeren Generation, also Schülern sowie Studierenden. Alle, die älter als 16 seien, sollten baldmöglich geimpft werden. „Seit einem Jahr passiert im Grunde nichts mit dieser Gruppe und die wartet und wartet und wartet, und hier hätte man mal zeigen können, wir machen was für euch“, kritisierte der Theologe.
Das wäre eine Aufgabe des Impfgipfels gewesen, nicht nur eine Politik zu betreiben, wie es der Politologe Wolfgang Gründinger sagt, „Politik für alte Säcke“, sondern eine Politik, die wirklich die junge Generation, die unsere Zukunft ist, in den Blick nimmt, bilanzierte der ehemalige Ethikrats-Vorsitzende. „Stattdessen verwaltet man eigentlich nur das Nichtstun und das hätte man seit Monaten tun können. Die Vorschläge lagen auch seit Monaten auf dem Tisch.“
Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ist unterdessen dafür, dass vollständig Geimpfte in der Coronapandemie mehr Freiheiten bekommen. Das gaben 56 Prozent der Befragten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov an. 36 Prozent lehnten dies „eher“ oder „voll und ganz“ ab. Acht Prozent machten keine Angaben. Für die repräsentative Umfrage wurden am 26. April 1.138 Menschen in Deutschland ab 18 Jahren befragt.
Die Länder scheren aus
Bayern scherte heute aus und ging seinen eigenen Weg. Dort soll die Impfpriorisierung nun schon im Mai fallen. Ab morgen werden Geimpfte negativ Getesteten gleichgestellt.
Nach dem Impfgipfel von Bund und Ländern will offenbar auch Thüringen die formale Gleichstellung von Geimpften und Genesenen mit negativ Getesteten in einer neuen Corona-Landesverordnung verankern. Darauf habe sich das Kabinett heute verständigt, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin Anja Siegesmund (Grüne).
Auch Berliner brauchen vor dem Einkaufen oder dem Friseurbesuch keinen Coronatest mehr, wenn sie schon einmal infiziert waren und inzwischen genesen sind. Das hat der Senat bei seiner Sitzung heute beschlossen.
Schon seit Mitte April galt, dass Menschen mit vollständigem Impfschutz die gleichen Rechte hatten wie andere mit einem aktuellen negativen Testergebnis. Das betraf aber nicht ehemalige an Corona Erkrankte. „Wir stellen auch die Personen gleich, die genesen sind“, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci heute nach der Sitzung des Senats.
Betriebsärzte vergessen
Die Grünen und die FDP bemängelten die Beratungen in einem anderen Punkt. „Damit die Impfkampagne in den nächsten Wochen bei besserer Impfstoffverfügbarkeit mehr Tempo entfalten kann, hätte es heute klare Absprachen und Vorbereitungen für die baldige Einbeziehung der über 10.000 Betriebsärzte geben müssen“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
FDP-Chef Christian Lindner ergänzte gegenüber den Blättern: „Sie sollten so schnell wie möglich in die Impfkampagne einbezogen werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Impfstoff in Zukunft auf Halde liegt, obwohl die Nachfrage nach Impfungen groß ist.“
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