Politik

Sozialwahlexperte: Krankenversicherung soll ins Grundgesetz

  • Montag, 7. Oktober 2024
/Finanzfoto, stock.adobe.com
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Berlin – Die Krankenversicherung soll im Grundgesetz verankert werden. Das regt ein langjähriger Experte für das deutsche Sozialsystem, der Bundesbeauftragte für die Sozialwahlen, Peter Weiß, an. Auch die Arbeits­lo­sen-, die Renten- und die Unfallversicherung will Weiß in der Verfassung verankern – genauer gesagt: die gesamte Sozialversicherung mit ihrer Selbstverwaltung.

Zugleich fordert Weiß mehr Demokratie und zwar durch mehr Mitsprache für die Versicherten bei Leistungen und Beitragsgeld. „Einfach so weiterzumachen, wie bisher – das geht nicht“, sagte Weiß. Sonst habe die Sozial­versicherung in ihrer heutigen Form wohl kaum eine Zukunft, heißt es auch in einem nun veröffentlichten Abschlussbericht zu den Sozialwahlen 2023.

Die Idee: In der Verfassung festzuschreiben, dass die Sozialversicherung „unter maßgeblicher Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu organisieren ist“, wie Weiß sagt. Das mag für viele weit von der eigenen Lebenswirklichkeit erscheinen.

Viele Menschen in Deutschland kennen Weiß zufolge die Sozialwahlen nicht – damit geht einher, dass sie „die soziale Selbstverwaltung nicht zur Kenntnis nehmen beziehungsweise nicht wertschätzen“, wie Weiß und seine Stellvertreterin Doris Barnett in Empfehlungen an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schrei­ben.

Bei den jüngsten Sozialwahlen waren rund 52 Millionen Menschen 2023 wahlberechtigt. Nur rund jede und jeder Fünfte machte sich ans Ankreuzen. Im Vergleich zu den vorherigen Sozialwahlen 2017 sank die Beteili­gung um fast acht Prozentpunkte.

Bei den Sozialwahlen werden die Mitglieder der Verwaltungsräte von Krankenkassen sowie der Vertreterver­sammlungen der Unfall- und Rentenversicherungen gewählt. Erstmals war bei großen Kranken­kassen – ins­gesamt bei 22 Millionen Wahlberechtigten – eine Online-Stimmabgabe möglich.

Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2021 lag die Wahlbeteiligung bei knapp 77 Prozent. „Die Wahlbeteili­gung ist immer dann groß“, stellt der Sozialwahl-Abschlussbericht dazu nüchtern fest, „wenn es „um etwas geht'“, wenn Weichenstellungen anstehen (...), wenn der Wahlkampf geeignet ist, Emotionen auszulösen“.

Das ist bei der Sozialversicherung nicht wirklich der Fall. Dabei haben die Krankenkassen für quasi jede und jeden Einzelnen existenzielle Bedeutung – und für die Gesellschaft als „Garant des sozialen Frie­dens“, so der Abschlussbericht.

Und es geht um unvorstellbare Summen. So wurden 2023 in Deutschland rund 1.250 Milliarden Euro für soziale Leistungen ausgegeben, davon mehr als 840 Milliarden aus Sozialbeiträgen von Beschäftigten und Arbeitgebern.

Richtige Wahlkämpfe gibt es bei Sozialwahlen trotzdem nicht. Die dort gewählten Gremien haben ziemlich wenig zu sagen. Der Bericht stellt fest, „dass der Bundesgesetzgeber die Angelegenheiten der Mitglieder der Träger der Sozialversicherung bis in nahezu jedes Detail durch Bundesgesetz geregelt hat“. Für Mitsprache bleibe kaum Spielraum.

Weiß und die Sozialwahl-Verantwortlichen meinen, dass auch Angelegenheiten der Sozialversicherung „inter­essante Wahlkämpfe“ liefern könnten. Ihr Bericht benennt, worum es gehen könnte: um Geld und was man da­für bekommt.

„Habe ich die Wahl zwischen geringeren Leistungen, Selbstbehalten, begrenzter Auswahl an Leistungserbrin­gern usw. bei gleichzeitiger Verringerung meiner Beitragslast?“ Doch über all dies habe derzeit in aller Regel schon der Gesetzgeber entschieden.

Selbstverwaltung in den bestehenden Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechts einschlafen zu lassen, „wäre töricht“, sagt Weiß, der als Arbeitsmarktexperte seiner Fraktion selbst weitreichende Sozialge­setze mit verhandelt hatte. „Wir wollen ja nicht mehr Staat, sondern weniger – und mehr Bürgerbeteiligung.“

Für eine Verankerung in der Verfassung gibt es übrigens ein Beispiel: die Weimarer Reichsverfassung. Artikel 161 lautete: „Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutz der Mutterschaft und zur Vor­sorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens schafft das Reich ein Versicherungswesen unter maßgeblicher Mitwirkung der Versicherten.“

dpa

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