Politik

Streit um Meldepflicht für psychisch Kranke in Hessen

  • Dienstag, 5. August 2025
/picture alliance, Patrick Pleul
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Frankfurt am Main/Wiesbaden – Psychisch Kranke, die für die Allgemeinheit gefährlich werden könnten, sollen in Hessen nach der Entlassung aus der Psychiatrie künftig der Polizei gemeldet werden. Dafür will das Land die Gesetzeslage verändern. Ärzte sehen das äußerst kritisch.

Ende Juni beriet der Landtag in erster Lesung über die geplante Änderung des Hessischen Gesetzes über Hilfen bei psychischen Krankheiten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz).

Der Gesetzentwurf von CDU und SPD sieht vor, dass psychiatrische Fachkliniken bei der Entlassung die örtlichen Ordnungs- und Polizeibehörden informieren müssen, wenn „aus medizinischer Sicht die Sorge besteht, dass von der untergebrachten Person ohne weitere ärztliche Behandlung eine Fremdgefährdung ausgehen könnte“.

Die Koalitionsparteien sehen das als „effektive Gefahrenabwehr“ und verweisen explizit „auf Vorkommnisse wie in Aschaffenburg, Hamburg oder Hanau“. Hessens Gesundheitsministerin Diana Stolz (CDU) stellt in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP aber klar: „Die Landesregierung plant kein Landesregister zur Erfassung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.“

Meldepflicht „hochproblematisch“

Kritiker wie die Frankfurter Gesundheitsdezernentin Elke Voitl (Grüne) halten die Meldepflicht für „hochproblematisch“. Ihre Sorge: „Psychisch kranke Menschen suchen keine Hilfe oder halten Informationen zurück, weil sie Sorge haben, sie landen in einer Kartei.“ Kranke würden stigmatisiert, Vorurteile verstärkt.

Der Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts, Peter Tinnemann, verweist auf die ärztliche Schweigepflicht und sagt klar: „Wir sind nicht dazu da, Patienten der Polizei zu melden. Uns geht es um die Gesundheit der Menschen.“ Ärzte dürften nicht zu Handlangern der Sicherheitskräfte werden, das gefährde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten.

Geltende Rechtslage ist: Wenn ein psychisch kranker Mensch sich oder andere gefährdet, kann er – auch gegen seinen Willen – in der Psychiatrie untergebracht werden. Ob das der Fall ist, entscheiden nicht die behandelnden Mediziner, sondern ein Richter, der mit dem Patienten selbst sprechen muss und sich mit den Ärzten berät.

Der Richter kann eine Unterbringung für maximal sechs Wochen anordnen, wie Frank Wamser erklärt. Er ist Landesvorsitzender des Deutschen Richterbunds. Wenn die Ärzte später der Meinung sind, dass von der Person keine Gefahr mehr ausgeht, kann diese ohne neuen Richterbeschluss entlassen werden.

Entscheidungen über eine Unterbringung müssen Richter in Hessen täglich vielfach treffen, wie Wamser erläutert. Die geplante Meldepflicht sieht der Jurist positiv. Es sei gut, wenn die Sicherheitsbehörden wüssten, dass von jemandem möglicherweise eine Gefahr ausgehen könnte. Die Meldepflicht sei „ein kleiner Beitrag, um zu verhindern, dass jemand straffällig wird“.

Was die Kritiker umtreibt, ist die Frage, was die Polizei denn mit den Namen anfangen würde. Die Infos seien vor allem wichtig, um in Fall einer Bedrohungslage die Gefahr richtig einschätzen zu können, erklärt Dirk Peglow, hessischer Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. „Je mehr wir wissen, desto besser können wir reagieren“.

Niemand müsse aber befürchten, dass die Polizei diesen Menschen „hinterherrennt“. Dafür gebe es nicht genug Kapazitäten. Peglow sieht das Gesetz positiv: „Wir brauchen diese Informationen“. Aber er sagt auch: „Sehr viel wichtiger wäre es, dass wir eine flächendeckende psychiatrische Versorgung sicherstellen. Wir haben zu wenig Plätze in den Psychiatrien und zu wenig Psychologen.“

Eine Liste bei der Polizei helfe weder den Patienten noch schütze sie die Bevölkerung, sagt die Psychiaterin Christiane Schlang, Leiterin der Abteilung Psychische Gesundheit im Frankfurter Gesundheitsamt. Beide Ziele erreiche man nur, indem man psychisch Kranke so gut wie möglich versorge.

Für Patienten, die für sich oder andere gefährlich werden könnten, müsse es genügend Plätze in psychiatrischen Kliniken geben, so Schlang. Und für Patienten, die man guten Gewissens entlassen könne, müsste es ausreichend ambulante Hilfen geben, um sie zu Hause weiter zu betreuen und ihren Zustand im Auge zu behalten.

Psychiater berichten unter der Hand, dass die hessischen Gerichte in der Frage der Zwangsunterbringung ganz unterschiedlich entscheiden: In der einen Kommune würden fast alle Anträge bewilligt werden, in der Nachbarstadt nur wenige.

Kriminalbeamter Peglow wünscht sich zudem, dass es eine bundeseinheitliche Regelung gäbe. Sonst seien die Daten, die der Polizei vorlägen, nur so lange nützlich, bis der potenzielle Gefährder in ein anderes Bundesland umziehe.

Ähnlich beurteilten die Innenminister der Länder die Lage. Auch in der Gesundheitsministerkonferenz hatte das Thema zuletzt auf der Tagesordnung gestanden. Hamburg hat wie Hessen ebenfalls erste Konsequenzen aus den Taten gezogen.

Um das Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen zu senken, braucht es aus Sicht von Fachärzteverbänden keine neuen Regelungen, sondern einen Ausbau der Versorgungsstrukturen und der Prävention.

Das betonte kürzlich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in einem Positionspapier, dem sich 20 weitere Fach- und Klinikverbände sowie Angehörigen- und Betroffenengruppen angeschlossen haben.

Die Verbände reagierten damit auf den Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) von Mitte Juni (Top 83) zum „Integrierten Risikomanagement bei Menschen mit psychischen Erkrankungen“.

dpa/may

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