Um die Gesundheit von Kindern zu fördern, braucht es mehr Verhältnisprävention

Berlin/München – Fachleute sind sich darüber einig, dass die psychische und somatische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärker als bislang gefördert werden muss.
„Der Druck auf unsere Kinder ist aktuell sehr groß. Die Lancet Kommission spricht bereits von einer Youth Mental Health Crisis“, sagte die Präsidentin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG), Kirsten Kappert-Gonther, auf dem Präventionsforum, das einmal jährlich von der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) durchgeführt wird.
Die Ursachen dafür reichten von den Folgen der Coronapandemie über die verschiedenen Kriege in der Welt bis zur Klimakrise, die nicht nur die Zukunft der Kinder und Jugendlichen bedrohe, sondern auch infolge der Ohnmachtserfahrung seelischen Druck bei ihnen erzeuge.
„Wir befinden uns in einer relevanten Problem- und Krisenlage“, sagte Kappert-Gonther. „Jetzt sind wir alle gefragt, Antworten darauf zu finden, wie wir die Kinder und Jugendlichen besser begleiten, stützen und fördern können.“ Vor diesem Hintergrund sei Prävention das Gebot der Stunde.
Hoher Bedarf an Gesundheitsförderung
Auch das AOK-Forum 2024 der AOK Bayern widmete sich heute in München diesem Thema. „Es gibt einen hohen Bedarf an Gesundheitsförderung und Stärkung der Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen“, sagte Eike Quilling, Professorin für Gesundheitspädagogik und -kommunikation an der Hochschule für Gesundheit in Bochum.
„Denn das Gesundheitsverhalten, das man in der Jugend erwirbt, beeinflusst einen sein ganzes Leben lang.“ Und derzeit sei das Gesundheitsverhalten vieler Kinder und Jugendlicher nicht gut. „26,3 Prozent der fünf- bis 17-Jährigen in Deutschland sind übergewichtig, 8,8 Prozent davon sind adipös“, sagte Quilling.
„Nur 10,8 Prozent der Mädchen und 20,9 Prozent der Jungen bewegen sich ausreichend. 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen berichten über eine geringe Lebensqualität. Und die Prävalenz psychischer Auffälligkeit liegt bei 23 Prozent.“ Am stärksten betroffen seien dabei Kinder und Jugendliche mit einem niedrigen sozialökonomischen Status.
„Wenn es darum geht, die Gesundheitskompetenz der Kinder und Jugendlichen zu stärken, bedeutet das, Gesundheitsinformationen finden, verstehen, beurteilen und anwenden zu können“, erklärte Quilling. „Wenn man also beim Arzt Gesundheitsinformationen erhält, die man nicht versteht, ist einem nicht geholfen.“
Es müssten zudem nicht nur die notwendigen Informationen zum Beispiel über gesunde Ernährung zur Verfügung stehen, sondern es müsse auch die Möglichkeit geben, sich in der Mittagspause gesund ernähren zu können.
Ganz zentral sei zudem das Vorbildverhalten der Eltern. „Was Kinder und Jugendliche vom Verhalten ihrer Eltern lernen, nehmen sie mit in ihr späteres Leben“, betonte Quilling. Eltern sollten sich vor diesem Hintergrund mit ihren Kindern auch Videos in den sozialen Netzwerken anschauen, um die Informationen, die dort verbreitet werden, gemeinsam mit ihrem Kind einzuordnen.
Mehr Verhältnisprävention
Die Expertinnen und Experten auf dem Präventionsforum waren sich darin einig, dass die Verhältnisprävention in Deutschland ausgebaut werden müsse, um die Gesundheit vor allem von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen zu fördern.
„Wir müssen versuchen, über mehr Verhältnisprävention auch diejenigen zu erreichen, die wir verlieren, wenn wir rein auf eine individualisierte Teilhabekompetenz achten“, sagte BVPG-Präsidentin Kappert-Gonther, die zugleich amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestages ist. „Wir brauchen zum Beispiel eine Beschränkung von Werbung für Alkoholika und eine Zuckersteuer.“
Auch Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende im GKV-Spitzenverband, forderte mehr politische Maßnahmen. Die Krankenkassen trügen mit vielfältigen Präventionsangeboten in Kitas und Schulen dazu bei, dass Kinder und Jugendliche in ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit gestärkt würden, sagte sie.
Darüber hinaus seien politische Maßnahmen der Verhältnisprävention notwendig, damit zum Beispiel Städte, Wohnviertel und Bildungseinrichtungen zu Orten würden, die Heranwachsende in ihrer Gesundheit stärkten. Was es definitiv nicht brauche, sei mehr Medizin anstelle von mehr Prävention, betonte Stoff-Ahnis mit Blick auf das vom Bundesgesundheitsministerium geplante Gesundes-Herz-Gesetz. Darin ist unter anderem vorgesehen, Präventionsangebote der Krankenkassen zu kürzen und Screenings und die Gabe von Statinen zu fördern.
„Im Bereich der Prävention sind manche Menschen und Familien überversorgt, die bereits die Kompetenzen haben, gesund bleiben zu können“, sagte Timm Genett, Geschäftsführer des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV). „Andere haben dieses Wissen nicht. Sie müssen die Adressaten einer verbesserten Verhältnisprävention sein.“
Es sei wichtig, die Angebote zielgerichtet in die Lebenswelten der Menschen einzubringen, die erreicht werden sollen. „Wir müssen schauen, welche Institutionen in diesen Lebenswelten glaubwürdig sind und darüber die richtigen Akteure ausfindig machen, die die Menschen ansprechen können“, sagte Genett.
Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund, wies darauf hin, dass die Strukturen im Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung zu kompliziert geworden seien. „Wir brauchen einfachere Strukturen in der Prävention“, forderte sie. Heute gebe es viele Akteure, die sich mit vielen Maßnahmen engagierten. „Diese Maßnahmen werden aber nicht gebündelt, damit sie auf ein Ziel hin ausgerichtet sind“, so Gross.
Die Nationale Präventionskonferenz (NPK) wurde im Jahr 2015 vom Gesetzgeber ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es, eine nationale Präventionsstrategie zu entwickeln und fortzuschreiben. Träger der NPK sind die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie die soziale Pflegeversicherung. Seit 2017 ist auch der PKV-Verband stimmberechtigtes Mitglied der NPK.
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