Welttag für Patientensicherheit: Gesundheitspersonal besser schützen

Berlin – „Mach dich stark für die Sicherheit des Gesundheitspersonals“, so lautete übersetzt das Motto des heutigen Welttags für Patientensicherheit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte den Gedenktag, der in diesem Jahr erst zum zweiten Mal stattfindet, im Zuge der Coronapandemie kurzfristig umgewidmet.
Er geht zurück auf eine Initiative des deutschen Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), das heute im Rahmen eines umfangreichen Programms auf neue Untersuchungen, Probleme und Lösungsansätze im Bereich der Patientensicherheit aufmerksam machte.
„Kein Land, Krankenhaus und keine Klinik kann seine Patienten gesund erhalten, wenn es das Gesundheitspersonal nicht gesund hält“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Die Pandemie habe die wichtige Rolle aller Menschen im Gesundheitssystem hervorgehoben. In diesem Zusammenhang veröffentlichte die WHO fünf Schritte, zum Schutz des Gesundheitspersonals.
Zwischen Patientensicherheit und Personalgesundheit sollen demnach Synergien geschaffen werden, da nur beides gemeinsam funktioniere. Zudem sollte Gesundheitspersonal am Arbeitsplatz vor körperlicher Gewalt und anderen physischen und biologischen Gefahrenquellen geschützt werden.
Die mentale Gesundheit soll auf Empfehlung der WHO über faire Bedingungen und ein gesundes Arbeitsklima ohne Schuldzuweisungen sichergestellt und durch Hilfsangebote zur psychologischen Unterstützung in Krisen unterstützt werden.
Um all diese Punkte sicherzustellen rät die WHO nationalen Regierungen entsprechende Programme für ihr Gesundheitssystem aufzulegen. In diesem Sinne beteiligte sich auf das Bundesgesundheitsministerium (BMG) an der Veranstaltung des ASP. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte an, langfristig auf eine noch bessere Sicherheitskultur sowohl für Patienten als auch für Personal im Gesundheitswesen hinzuarbeiten.
„Patientensicherheit soll zu einem tragenden Prinzip der Ausbildungen in allen bundesrechtlich geregelten Gesundheitsberufen werden“, so Spahn. Auf die enorme körperliche und psychische Belastung von Gesundheitsberufen, die sich in der Krise noch einmal verschärft hätten, wies die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Schmidtke, hin.
Sie sprach allen Mitarbeitenden des Gesundheitswesens ihren Dank aus und appellierte an Vorgesetzte und Leitungen aller Gesundheitseinrichtungen, Vorbild zu sein. „Sprechen Sie Belastungen offen an und machen Sie Hilfsangebote“, so Schmidtke.
Den Umstand, dass nicht direkt von Covid-19 betroffene Patienten in der Krise teils zu kurz kamen, diskutierten die APS-Vorsitzende Ruth Hecker, die leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Bayern, Astrid Zobel, die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Ute Teichert und der Vorstand des Vereins PSU akut, der einen Hilfenotruf für belastetes medizinisches Personal anbietet, Dominik Hinzmann.
Forderung nach Meldestelle für Versorgungsdefizite
„Wir haben eine Meldestelle für Patienten gefordert, bei denen es zu Versorgungsdefiziten gekommen ist. Bislang ist darauf aber noch nichts erfolgt“, erklärte Heckert. Pflegebedürftige seien teils ohne Hilfestellung in die Obhut ihrer Familie überstellt worden, selbst Notfallpatienten hätten zeitweise weder ihren Hausarzt noch ein Krankenhaus aufsuchen können.
Die Gesundheitsämter seien derzeit für Probleme abseits von Corona kaum erreichbar, betonte Teichert: „Wir sind mit der Kontaktrückverfolgung stark ausgelastet“. „Es ist eine Krise und alle haben ihren Job gemacht. Jetzt müssen wir selbstkritisch gucken, was wir nicht hinbekommen haben“, so Heckert.
Es müsse frühzeitig geklärt werden, wohin Patienten im WInter ausweichen, da in vielen Wartezimmern von Arztpraxen nicht genug Platz zum Abstandhalten sei. Auch sei noch nicht geklärt wo Impfungen stattfinden könnten, sobald es eine entsprechende Vaccine zum Schutz vor Covid-19 gebe.
Hinzmann betonte, dass Berufe im Gesundheitswesen wieder attraktiv gemacht werden müssten, damit Leute dort nicht nur wieder gerne arbeiten, sondern auch im System bleiben würden. „Derzeit verbrennen wir Gesundheitspersonal regelrecht. Man kann nicht immer nur neues Personal gewinnen, sondern muss sich bemühen, das vorhandene zu halten“, bekräftigte Reinhard Strametz, Generalsekretär des APS.
Suizidreihen wie in Italien oder New York vermeiden
Dies müsse vor allem auch über ein besseres Auffangsystem von sogenannten Second Victims gelingen. Diese Mitarbeiter seien in Ausübung ihres Berufs traumatisiert worden, etwa durch unvorhergesehene Zwischenfälle mit Patienten, medizinische Fehler oder sogar Verletzung von Patienten. Unbehandelt blieben teils lange psychische Narben zurück, das Selbstbewusstsein sinke, Patienten würden in der Folge nicht so professionell behandelt, wie es sein müsste.
Schon nach Ereignissen wie dem Terroranschlag am 11. Septmeber in den USA 2001 oder der ersten SARS-Epidemie in den Jahren 2002 und 2003 hätten 50 Prozent der Behandelnden sich selbst im Anschluss als traumatisiert bezeichnet. Die Zahlen könnten angesichts der aktuellen Pandemie noch deutlich höher liegen, so Strametz.
Damit es nicht zum schlimmsten Szenario komme, wie etwa ganzen Suizid-Serien unter Behandlenden wie im Frühjahr dieses Jahres in Italien oder New York, müssten Mitarbeiter des Gesundheitssystems dauernd verfügbare Hilfsangebote wahrnehmen können.
Hauptaugenmerk jetzt auf Resilienz legen
„Dazu zählt kollegiale Hilfe, aber auch integrierte und ritualisierte Möglichkeiten, darüber zu sprechen, was einen bewegt“, forderte Strametz. Für den Einzelfall müssten zudem jederzeit Spezialisten greifbar sein, die notfalls auch um vier Uhr morgens intervenieren könnten.
Das Hauptaugenmerk müsse nun auf Resilienz liegen. „Wir müssen unser System krisenfest machen, sonst sind wir irgendwann mit der Kraft am Ende“, befürchtet Strametz. Behandelnde müssten dafür sensibilisiert werden, dass sie auch Bedürfnisse haben und artikulieren dürfen. Dies geschehe auch zum Wohle der Patienten.
Führungspersönlichkeiten müssten eine Kultur etablieren, bei der nicht nach Schuldigen gesucht würde, sondern kritische Ereignisse zeitnah und lösungsorientiert aufgearbeitet würden.
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