Zusammenarbeit der Fachberufe braucht Vertrauen und gesetzliche Regelungen

Berlin – Die vielfältigen Herausforderungen im Gesundheitswesen in den kommenden Jahrzehnten kann nur mit einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Berufsgruppen bewältigt werden. Ob dafür allerdings Gesetze geändert werden müssen oder ob die Zusammenarbeit bereits jetzt ausreichend möglich ist, darüber waren sich die Diskutanten aus der Ärzteschaft, Krankenkassen und Pflege beim BMC-Kongress gestern in Berlin nicht einig.
Aus Sicht des Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, spielt „im Alltag die Zusammenarbeit von Gesundheitsberufen eine andere Rolle als in der berufspolitischen Diskussion.“
So arbeiteten Hausärzte selbstverständlich mit Medizinischen Fachangestellten, Sozialpflegern oder auch Pflegefachkräften zusammen und betreuten die Patienten. Problematisch sei es aber, dass im Gesundheitswesen den Personen die Entscheidung für die richtige Versorgungsform überlassen werde, die sich am wenigsten damit auskennen würden.
„Wir müssen das Gesundheitswesen so organisieren, dass es sozial gerecht, niedrigschwellig ist und passgenau versorgen kann,“ betonte Reinhardt. Auch werde es das Personal nicht geben, das nun all die Aufgaben, die Ärztinnen und Ärzte nicht mehr ausführen sollen, übernehmen könnten.
Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken
Aus seiner Sicht müsse vor allem die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gestärkt werden. „In den letzten 30 Jahren haben wir das sehr schleifen lassen, obwohl es durch das Internet und andere Möglichkeiten sehr viele Informationen gibt.“
Auch die Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, Irmgard Stippler, sieht die personellen Engpässe im Gesundheitswesen als großes Problem im Gesundheitswesen der Zukunft an. Zudem müssten immer mehr ältere Menschen versorgt werden.
Aus ihrer Sicht könne dies nur durch starke Versorgungslösungen vor Ort geleistet werden. Hier müssten Pflege und Ärzte gut zusammenarbeiten. Die Umsetzung vor Ort sei oft aber schwierig, da „es oft kein gemeinsames Verständnis zwischen den Berufsgruppen gibt, was die mögliche Zusammenarbeit betrifft.“ Sie habe da „viele Mauern in den Köpfen“ beobachtet, so Stippler.
Daher brauche es aus ihrer Sicht eine klare gesetzliche Definition, was welche Gruppe machen dürfe, sonst gebe es „Missverständnisse und wir landen in den Klischees der Berufsgruppen“. Als Beispiel nannte sie die Aufgaben einer Community Health Nurse im Gegensatz zu denen einer Medizinischen Fachangestellten in Arztpraxen, die eine Fortbildung zu einer VERAH absolviert hat.
Auch Vera Lux, Vorsitzende des Niedersächsischen Pflegerates, verlangt, dass es einen besseren rechtlichen Rahmen geben müsse, um auch Pflegeberufe Kompetenzen übertragen zu können. So müssten Pflegefachkräfte beispielsweise auch den Pflegegrad einer Person erheben oder Verantwortung im Wund- und Schmerzmanagement übertragen bekommen dürfen.
Die frühere Pflegedirektorin der Medizinischen Hochschule Hannover kann sich auch vorstellen, dass es künftig in der Pflege flexiblere Arbeitsmodelle gibt, so dass Pflegefachkräfte Patienten vor, während und nach einem Krankenhausaufenthalt betreuen und begleiten. Dies könne – ähnlich wie dies bereits bei Hebammen und Beleghebammen funktioniere – auch in einem Wechsel von Angestelltenverhältnis und Freiberuflichkeit sein.
Teamarbeit wichtig für die Zufriedenheit im Beruf
BÄK-Präsident Reinhardt erwiderte, dass man sich bei solchen Modellen sehr genau die Ausbildungen ansehen müsse. Aus seiner Sicht entwickle sich Zusammenarbeit nicht durch rechtliche Vorgaben, sondern innerhalb von einem Team und durch Vertrauen. In der jüngeren Generation von Ärztinnen und Ärzten, aber auch von Pflegekräften, sei die Zusammenarbeit in Teams deutlich selbstverständlicher und wichtiger für die Berufszufriedenheit.
Um die Versorgung zu verbessern und auch die Zusammenarbeit zu fördern, sollten die schon bestehenden Freiräume und die Vernetzung vor Ort genutzt werden, erklärte Johannes Nießen, früherer Leiter des Gesundheitsamtes Köln und heutiger Einrichtungsbeauftragter des künftigen Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM).
Mit engagierten Kommunen sowie Ärzten und anderen Gesundheitsberufen vor Ort könne viel für die Menschen geleistet werden. Im deutschen Gesundheitswesen werde für die medizinische Versorgung viel Geld ausgegeben, aber die Lebenserwartung sei im europäischen Vergleich deutlich niedriger, beklagte Nießen.
Für dieses Jahr setze die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), deren Leiter Nießen derzeit ebenfalls ist, auf drei Themen: So werden zum bundesweiten Klimaaktionstag am 5. Juni die Kommunen mit einem Aktionskoffer ausgestattet, um auf die Gefahren für die Gesundheit durch den Klimawandel hinzuweisen.
Auch soll es mehr Aufklärung zum Thema Rauchen geben, hier habe die Zahl der Raucher in Deutschland während der Pandemie wieder zu genommen, berichtete Nießen. Außerdem will er einen Schwerpunkt auf die Kinder- und Jugendgesundheit legen.
Das BIPAM soll im Laufe dieses Jahres gegründet werden und zum 1. Januar 2025 starten. In dem neuen Institut soll die bisherige BZgA sowie einige Abteilungen aus dem Robert-Koch-Institut (RKI) zusammengeführt werden. Ein erster Gesetzesentwurf dafür liegt bereits vor, hat aber unter Fachleuten deutliche Kritik hervorgerufen. Ein veränderter und ergänzter Entwurf sollte eigentlich bereits Ende vergangenen Jahres vorgelegt werden.
Neben der inhaltlichen Kritik an den Arbeitsschwerpunkten wird auch der Name des BIPAM kritisiert: Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition wurde festgehalten, man wolle ein „Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit“ einrichten.
Nießen deutete an, dass „durch das parlamentarische Verfahren der Name noch einmal verändert werden könnte“. Zudem deutete er an, dass er auch nach der Einrichtung des neuen Instituts zunächst die Leitung des dann neuen BIPAM übernehmen könne. Dies hatte er bei der Vorstellung im Anfang Oktober noch verneint.
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