AOK sieht keine Hinweise auf Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln

Berlin – Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) weist Darstellungen von Versorgungsengpässen bei Arzneimitteln zurück. Die derzeit 735 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldeten Lieferengpässe entsprächen gerade einmal 1,2 Prozent der 63.000 in Deutschland 2023 verordneten Arzneimittel, hieß es heute.
Entgegen der Medienberichterstattung gebe es daher keine Hinweise auf mögliche Versorgungsengpässe oder Lieferschwierigkeiten. Entsprechend der genannten Verfügbarkeitsquote von 98,8 Prozent könne auch hinsichtlich der Verordnungsabdeckung Entwarnung gegeben werden.
So seien 99,9 Prozent der im Jahr 2023 verordneten Arzneimittel derzeit verfügbar oder könnten im Falle aktueller Lieferunfähigkeit durch identische Alternativprodukte oder Arzneimittel anderer Hersteller ersetzt werden.
Unter ähnlichen Alternativen versteht das WIdO dabei Arzneimittel mit identischem ATC-Code (Anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation), gleicher Hauptdarreichungsform und ähnlicher Reichweite von plus bis minus zehn Prozent, gemessen über die Tagesdosen, die in einer Packung enthalten sind.
„Lieferengpässe sind keine Versorgungsengpässe. Im Fall von temporären Lieferschwierigkeiten stehen in der Regel in der ambulanten Versorgung genügend Alternativen anderer Hersteller zur Verfügung“, erklärte WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröter.
„Den Apotheken und Ärzten sollte es gemeinsam gelingen, aus dem Sortiment von 2.500 verschiedenen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen mit mehr als 63.500 verschiedenen Arzneimitteln eine therapeutische Alternative zu finden.“ Dabei erwähnt Schröter nicht den dadurch entstehenden Mehraufwand und Zeitverlust in der Versorgung, einen der Hauptkritikpunkte der Apothekerschaft.
Einer Umfrage der Bundesvereinigung der Apothekerverbände (ABDA) zufolge müssen 77 Prozent der Apothekenteams wöchentlich zwischen zehn und 40 Arbeitsstunden für die Bewältigung von Lieferengpässen aufwenden. Zeit kosten demnach vor allem die Patientenkommunikation, Rücksprache mit den Arztpraxen und Verfügbarkeitsanfragen beim Großhandel.
Zudem gibt es laut WIdO keine Anzeichen, dass die Rabattverträge der Krankenkassen mit den Herstellern einen Einfluss auf die Lieferengpässe hätten. Für diejenigen der aktuell als lieferunfähig gelisteten Arzneimittel, für die es 2023 einen Arzneimittelrabattvertrag mit einer AOK gab, werde sogar eine Versorgungssicherheit von 100 Prozent erreicht.
„Bedauerlich ist, dass in der Debatte von interessierter Seite immer wieder auf die Rabattverträge der Krankenkassen als Ursache von Lieferschwierigkeiten abgehoben wird“, erklärt edazu die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann.
Vertreter der Pharmaindustrie, aber auch Gesundheitsökonomen kritisieren, dass der Preisdruck auf die Generikaproduktion durch die Rabattverträge zu einem Abbau von Produktionskapazitäten führe, da sich der Vertrieb nicht mehr rentiere. Außerdem führe die Bindung der Kassen an einzelne Hersteller dazu, dass andere die Produktion für den hiesigen Markt einstellen, da sie für die Dauer der Verträge keine ausreichenden Absatzmöglichkeiten mehr sehen.
„Tatsächlich verhält es sich genau andersherum“, betont Reimann demgegenüber. „Arzneimittelrabattverträge tragen zu einer hohen Versorgungssicherheit bei, da sie die Hersteller zur Bevorratung verpflichten und Absatzmengen kalkulierbar machen.“
Im Jahr 2023 seien unter den 2.493 ambulant verordneten Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen 781 bei mindestens einer Krankenkasse rabattiert gewesen. Für die Apotheken bedeute das, dass sie nicht mehr unbedingt alle verfügbaren verschiedenen Arzneimittelpackungen bevorraten müssten, da es Substitutionsmöglichkeiten gebe.
Vonseiten der Apotheken wird seit vielen Jahren das Gegenteil beklagt: Die Rabattverträge würden zu unverhältnismäßigem bürokratischem Aufwand führen, da gerade wegen der Verträge verschiedene Arzneimittel mit pharmakologisch gleicher Zusammensetzung vorgehalten werden müssten.
Denn aufgrund der Rabattverträge müssen Arzneimittelpackungen regelhaft ausgetauscht werden – je nachdem, mit welchem Hersteller die jeweilige Kasse der oder des Versicherten einen Rabattvertrag hat. Deshalb komme es regelmäßig vor, dass ein Wirkstoff zwar auf Lager ist, aber nicht an Patienten abgegeben werden kann, weil der Rabattvertrag der Kasse einen anderen Hersteller vorschreibt.
Um die „immer wieder behaupteten Versorgungsengpässe“ besser überprüfen zu können, fordert das WIdO eine verpflichtende Meldung von Lieferengpässen vom Hersteller über den Großhandel bis zu den Apotheken sowie verpflichtende Meldung der Lagerbestände durch Großhandel und Apotheken.
„Wir können heute ein Paket mit Socken oder Seifenblasen über den gesamten Versandweg tracken – haben aber keine verpflichtende Dokumentation zur Lieferfähigkeit von Herstellern und der Menge der vorgehaltenen Arzneimittel in Großhandel und Apotheken“, erklärte Reimann.
Das Tracking einer Paketlieferung übernimmt allerdings in der Regel der jeweils zuständige Logistikdienstleister. In Reimanns Analogie müsste es demnach eine Möglichkeit zur Einsicht der Produktion und Lagerhaltung privater Hersteller von Socken und Seifenblasen geben.
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