Die Amputation eines Unterschenkels vor 31.000 Jahren war erfolgreich

Lismore/New South Wales – Australische Archäologen haben auf Borneo das Skelett eines jungen Mannes gefunden, dem vor etwa 31.000 Jahren der linke Unterschenkel amputiert wurde. Nach dem Bericht in Nature (2022; DOI: 10.1038/s41586-022-05160-8) war die Operation erfolgreich, da Zeichen einer Knochenheilung erkennbar waren.
Eine Amputation galt bei Medizinern in Europa noch im 19. Jahrhundert als zu riskant und vor der Erfindung der Narkose auch als zu schmerzhaft. Mangels Antibiotika musste zudem bis Mitte des 20. Jahrhunderts mit schweren Knocheninfektionen gerechnet werden.
In früheren Zeiten waren Chirurgen offenbar weniger zimperlich. Davon künden Trepanationen am Schädel, die in verschiedenen Kulturen vermutlich aus spirituellen Gründen vorgenommen wurden. Der bisher früheste Hinweis auf eine Amputation stammte aus Buthiers-Boulancourt, einem Ort in Mittelfrankreich, wo einem Bauern aus der Jungsteinzeit vor etwa 7.000 Jahren der linke Unterarm chirurgisch entfernt wurde.
Umso erstaunter waren Archäologen der Southern Cross University aus Lismore, als sie in einer Höhle auf der Insel Borneo das gut erhaltene Skelett eines Mannes fanden, dem der linke Unterschenkel fehlte. Eine Elektronen-Spin-Resonanz-Datierung an einem Zahn ergab, dass der Mann vor 30.437 bis 31.519 Jahren gestorben war. Das Alter stimmte mit der Radiokarbondatierung der umgebenden Sedimente überein.
Der Stumpf von Tibia und Fibula wies keine Zeichen einer postmortalen Beschädigung auf. Vielmehr waren an den unteren Enden Zeichen einer knöchernen Heilung zu beobachten, wie sie nach Amputationen auftreten.
Gegen eine Bissverletzung etwa durch ein wildes Tier sprach, dass keine weiteren Verletzungen in der unteren Extremität erkennbar waren. Ein stumpfes Trauma kann laut dem Team um Renaud Joannes-Boyau ausgeschlossen werden, weil die Oberfläche des Knochens glatt war.
Der steinzeitliche Chirurg verfügte offenbar über ein scharfes Werkzeug und die entsprechenden Kenntnisse über die Gefäßversorgung des Unterschenkels, um die starken Blutungen aus mehreren Blutgefäßen zu stillen, zu denen es bei einer Amputation kommt.
Der Patient hat die Amputation offenbar überlebt. An den Knochenenden fanden sich Zeichen eines Knochenumbaus („remodeling“), die auf eine Heilung hinweisen. Das distale Ende der Fibula war komplett mit Lamellenknochen verschlossen.
Die Forscher schätzen, dass zwischen der Amputation und dem Tod 6 bis 9 Jahre vergangen sind. Dass der Knochen keine Hinweise auf eine Infektion aufwies, spricht ebenfalls gegen eine Tierbissverletzung, bei der normalerweise eine Vielzahl von Erregern übertragen werden.
Die Amputation erfolgte vermutlich im Kindesalter vor dem Abschluss des Knochenwachstums, weil die linke Tibia und Fibula deutlich kleiner waren als am rechten Bein. Die beiden Knochen waren nach der Amputation nicht mehr gewachsen, weil das Bein nicht mit einer Prothese versorgt wurde und die Muskulatur sich zurückgebildet hatte.
Dies ist erstaunlich, da die Operation nicht nur technische Fähigkeiten voraussetzt. Der Patient muss nach der Operation auch eine intensive Pflege und Betreuung erhalten haben mit regelmäßigen Wundverbänden, die eine Infektion verhinderten.
Außerdem wären Schmerzmittel zur Linderung der Schmerzen sicher hilfreich gewesen. Bisher gingen die Forscher davon aus, dass diese komplexe Versorgung erst später nach dem Übergang zur Landwirtschaft und der Entstehung der ersten Ortschaften möglich wurde.
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