Forscher bemängeln fehlenden Masterplan zur Pandemiebewältigung

Cottbus – Die Coronaopandemie hat aus Sicht von Wissenschaftlern große Schwächen des Gesundheitssystems in Deutschland sichtbar gemacht. Sie fordern auch deshalb eine Neuausrichtung.
„Das hat mal wieder gezeigt, dass wir ein Gesundheitssystem haben, was nicht modern und dynamisch aufgestellt ist, sondern in Teilen, etwa bei der Digitalisierung, eher an eine Bananenrepublik als an eine führende Industrienation erinnert“, kritisierte der Wissenschaftler Edmund Neugebauer.
Der ehemalige Präsident der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) Theodor Fontane und Seniorprofessor für Versorgungsforschung hat gemeinsam mit dem Mediziner Klaus Piwernetz die Initiative „Strategiewechsel-jetzt!“ zur Neuausrichtung des Gesundheitssystems ins Leben gerufen.
Mitglieder der Initiative sind unter anderem Boris Augurzky, Leiter im Kompetenzbereich Gesundheit des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, und Thomas Bublitz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken (BDPK). In einem Positionspapier machen die Experten konkrete Vorschläge, wie das Management in der Coronakrise verbessert werden könnte.
Neugebauer hat in der Coronapandemie unter anderem ein nicht funktionierendes Monitoringsystem ausgemacht. „Wir können nichts sagen über die Dynamik des Infektionsgeschehens, die Impfmaßnahmen und die Wirksamkeit einzelner Gegenmaßnahmen.“
In der Politik habe sich ihm zufolge jeder seinen Experten herangezogen und sich der Meinungen bedient. Da jeweils unterschiedliche Datenquellen verwendet wurden, habe das in der Bevölkerung zu Verwirrung geführt, so der Wissenschaftler.
„Viele Lösungen der vergangenen Monate sind im Prinzip richtige Einzelentscheidungen, allein der Masterplan für eine logische und funktionale Abstimmung fehlt“, ergänzte Piwernetz. Notwendig sei, die Elemente Politikentscheidung, operatives Krisenmanagement und Kommunikationsmanagement mit Gremien umzusetzen, die unabhängig aber funktional verbunden sind.
Auf der Grundlage von validen Daten und fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen könne so ein agiles Krisenmanagement etabliert werden. „Wir brauchen eine funktionale logische Verbindung von der politischen Entscheidung bis zur Umsetzung“, so der Experte.
Mit Blick auf Coronaproteste und Impfkritiker sehen beide Fachleute Defizite bei der Kommunikation durch die Politik. „Ein zentraler Fehler war zum Beispiel, keinen Kommunikationswissenschaftler in ein Gremium mit hineinzunehmen“, kritisiert Neugebauer. „Man muss mit den Menschen, die Sorgen und Ängste haben, anders reden (...). Appelle von oben helfen da nicht weiter, selbst dann nicht, wenn sie vom Bundespräsidenten kommen“, sagte Piwernetz.
Beide Forscher begrüßen grundsätzlich die von der Bundesregierung geplante Einrichtung eines neuen Expertengremiums. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bewältigung der Coronapandemie gingen aber längst nicht weit genug.
Sie verharrten in alten Strukturen, die sich in Teilen als zu schwerfällig und als dysfunktional erwiesen haben, so Neugebauer. „Es gibt in der Politik zu wenig gut ausgebildete Leute, die das Gesundheitssystem wirklich verstehen.“ Es sei nicht immer logisch, starr und veränderungsresistent.
Ein Umbau der Gesundheitsversorgung ist nach Einschätzung der Experten erforderlich, auch bei der Finanzierung der Krankenhäuser, die derzeit durch die Betreuung von COVID-19-Patienten an ihre Belastungsgrenze kommen.
Die Krankenhäuser seien in einer Zwickmühle, beschreibt Piwernetz die Lage. „Sie wollen investieren, mussten diese Mittel aber in den meisten Bundesländern selbst erwirtschaften, unter anderem durch Steigerung der Fallzahlen und Kosten senken, unter anderem bei den Personalkosten im Pflegebereich.“ Das habe die Pandemie noch sichtbarer gemacht.
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