Vermischtes

Frühere Medikamententests in Bethel oft ohne Einwilligung

  • Dienstag, 21. Juli 2020
Hauptverwaltung der v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel in Bielefeld /picture alliance, Robert B. Fishman
Hauptverwaltung der v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel in Bielefeld /picture alliance, Robert B. Fishman

Bielefeld – In den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel sind in der Nachkriegszeit in vielen Fällen Medikamente an Minderjährigen ohne Einwilligung der Eltern getestet wor­den. Zu diesem Ergebnis kommt ein gestern in Bielefeld vorgestelltes Forschungsprojekt.

In dem zweieinhalb Jahre dauernden Projekt hatten Wissenschaftler untersucht, wie oft und unter welchen Umständen zwischen 1949 und 1975 in Deutschland noch nicht zu­ge­lassene Medikamente bei Kindern und Jugendlichen in Bethel angewendet wurden. Auf­traggeber der Studie waren die Stiftungen selbst.

Den Anstoß für das Forschungsprojekt hatte eine 2016 veröffentlichte Studie von Sylvia Wagner zu Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen in Heimen in Deutschland nach 1945 gegeben. Dort war auch Bethel erwähnt worden.

In der nun vorgestellten Studie wurden die Akten von 265 Patienten ausgewertet. Dabei handelt es sich laut den Studienautoren um eine repräsentative Stichprobe von 2.741 Pa­tienten, die im Untersuchungszeitraum mindestens ein halbes Jahr lang in Bethel behan­delt wurden.

In knapp einem Viertel der Fälle (23,8 Prozent) seien bei den Kindern und Jugendlichen noch nicht in Deutschland zugelassene Medikamente, sogenannte Prüfpräparate und Im­portmedikamente, zum Einsatz gekommen. In zwei Drittel der Fälle ging es um Antiepi­lep­tika, bei einem Drittel um Psychopharmaka. Die Studienautoren gehen davon aus, dass eine Arzneimittelprüfung hochgerechnet an gut 650 Minderjährigen durchgeführt wurde.

In den Krankenakten seien keine schriftlichen Genehmigungen der Eltern oder eines Vor­munds für die Erprobungen gefunden worden, hieß es weiter. Die Studienautoren sind sich „einigermaßen sicher“, dass die erforderliche Aufklärung auch in Bethel in vielen Fällen nicht durchgeführt wurde und eine Einwilligung nicht erfolgte.

„Diese Fälle sind auch nach damaligen Maßstäben als rechtswidrig zu werten“, hieß es in einer Kurzfassung der Ergebnisse. In Einzelfällen habe es aber Hinweise auf eine indirek­te oder mündliche Zustimmung durch Erziehungsberechtigte gegeben.

Der Historiker Niklas Lenhard-Schramm betonte, dass eine Einwilligung und die Aufklä­rung über Arzneimittelerprobungen rechtlich und ethisch geboten gewesen seien. „Heute wird dies Versäumnis der Vergangenheit vom Bethel-Vorstand ausdrücklich wahrge­nom­m­en und zutiefst bedauert“, hieß es in einer Mitteilung.

Das Sozialunternehmen betonte, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer möglichen Schädigung von Bewohnern und der Arzneimittelerprobung habe gefunden werden können.

dpa

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