Gericht bewertet Geheimhaltung von Studie als rechtswidrig

Köln – Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wäre verpflichtet gewesen, einen vorläufigen Bericht des staatlichen Max-Rubner-Instituts (MRI) zur Lebensmittelkennzeichnung unzensiert zu veröffentlichen. Das hat das Verwaltungsgericht Köln und gab damit einer Klage der Verbraucherorganisation Foodwatch gegen das Ministerium statt.
Trotz der nachgeholten Veröffentlichung hatte Foodwatch an der Klage festgehalten, um die Rechtmäßigkeit des Vorgehens des BMEL prüfen zu lassen. Aus Sicht von Foodwatch handelt es sich bei dem Urteil um einen Präzedenzfall, der der politischen Einflussnahme auf öffentlich finanzierte Forschung und Wissenschaft eine klare Absage erteile.
Laut dem Urteil müssten Ministerien die Studienergebnisse staatlicher Forschungseinrichtungen unzensiert herausgeben. Jedenfalls in Fällen wie diesem, so das Urteil, in denen die Ressortforschung lediglich der Herausarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagen einer ministerialbehördlichen Entscheidung diente und diesem Zweck taugte. Nur dann unterfallen sie nicht dem Beratungsschutz des Paragrafen 3 Nr. 3 Buchstabe b Informationsfreiheitsgesetz (IFG).
Das Gericht unterstrich die dem „MRI zustehende Wissenschaftsfreiheit“. Es befand, dass das IFG „nur die notwendige Vertraulichkeit der Beratung von Behörden“ schütze, „darunter fielen nicht die Beratungsgrundlagen – wie hier der Bericht des MRI“. Die Vorschrift schützte die Behörde „auch nicht vor politisch unliebsamen Ergebnissen von eingeholten Fachstudien“, so das Gericht.
Gericht sieht Wiederholungsgefahr
Das Verwaltungsgericht Köln geht davon aus, dass die für diesen Rechtsstreit charakteristischen Probleme in absehbarer Zukunft in vergleichbarer Weise zwischen den Beteiligten wieder aufkommen werden.
Das Bundesministerium habe in dem Verfahren nicht deutlich gemacht, dass es künftige Informationsbegehren des Klägers anders behandeln werde, heißt es in der Entscheidungsbegründung des Gerichts. Foodwatch will vom Bundesministerium auch weiterhin die Herausgabe angekündigter Studien verlangen, die Grundlage für ernährungspolitische Entscheidungen sein werden.
Die Verbraucherorganisation forderte die Bundesregierung auf, gesetzlich zu verankern, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Ressortforschung in Zukunft ohne jedwede politische Einflussnahme veröffentlicht werden müssen.
Die Ressortforschung des Bundes wird von 40 Forschungsinstitutionen betrieben. Dazu zählen unter anderem auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das Paul Ehrlich-Institut (PEI) sowie das Robert-Koch-Institut (RKI).
„Zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben braucht die Gesellschaft dringender denn je unabhängige – und nicht politisch genehme – Forschung. Das Urteil stellt klar: Die Bürger und Bügerinnen haben ein Recht darauf, dass ihnen die mit Steuergeldern finanzierten wissenschaftlichen Studienergebnisse ohne politische Zensur der jeweiligen Regierung zugänglich gemacht werden“, erklärte Rauna Bindewald von Foodwatch.
Korrekturen des BMEL am vorläufigen MRI-Bericht
Im konkreten Fall hatte das MRI eine Studie zu verschiedenen Modellen der Nährwertkennzeichnung (NWK) im Auftrag des BMELs erarbeitet. Die Ergebnisse lagen dem Ministerium im Herbst 2018 vor. Ein halbes Jahr später, im April 2019, stellte die damalige Ernährungsministerin Julia Klöckner dann der Öffentlichkeit eine überarbeitete Version der Studie vor.
Erst nachdem Foodwatch im Sommer 2019 Klage eingereicht hatte, gab das BMEL im Januar 2020 die unzensierte Originalfassung der Studie heraus, die sich von der zuerst vom BMEL veröffentlichten Version unterschied.
Während die ursprüngliche MRI-Studie der Lebensmittelampel Nutri-Score ein gutes Zeugnis ausstellt und ihn als „grundsätzlich vorteilhaft“ für eine Nährwertkennzeichnung bewertet, heißt es im Fazit der für das Ministerium überarbeiteten Version, dass „keines der NWK-Modelle uneingeschränkt empfohlen werden“ könne.
Kriterien, bei denen der Nutri-Score nach Ansicht des MRI besonders gut abschneidet, waren in der BMEL-Version zudem gestrichen worden. Julia Klöckner hatte sich zuvor kritisch über den Nutri-Score geäußert und hob auch bei der Vorstellung der überarbeiteten Studie die Lebensmittelampel negativ hervor.
BMEL prüft Berufung
Gegen dieses Urteil kann das BMEL innerhalb eines Monats Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen beantragen. Das Ministerium prüfe aktuell die schriftliche Urteilsbegründung und werde auf dieser Grundlage entscheiden, ob Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt werden, teilte eine Sprecherin des BMEL auf Nachfrage mit.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: