Vermischtes

Kaiserschnitte führen zu höheren Gesundheitsrisiken bei Babys

  • Mittwoch, 4. September 2019

Berlin – Nach Kaiserschnittgeburten kommt es einer Untersuchung der Techniker Kran­ken­kasse (TK) zufolge statistisch gesehen häufiger zu Gesundheitsproblemen bei Kindern. Ob der Grund dafür die Art der Entbindung ist, lasse sich auf Basis der reinen Abrech­nungs­­da­ten allerdings nicht feststellen, sagte TK-Vorstandschef Jens Baas heute bei der Vor­stellung des TK-Kindergesundheitsreports.

So habe durch die begrenzte Datenlage zum Beispiel nicht einfließen können, ob Mütter in der Schwanger­schaft rauchten, sich gesund ernährten oder ihr Baby nach einer Sectio stillten. Die Krankenkasse analysierte die Abrechnungsdaten von rund 38.850 Kindern, die im Jahr 2008 geboren wurden, bis sie 2016 acht Jahre alt waren.

Rund 11.900 Babys (31 Prozent) kamen demnach per Kaiserschnitt zur Welt. Sie hatten im Ver­gleich zu natürlich geborenen Kindern nach Angaben der TK ein um fast elf Prozent erhöhtes Risiko, Verhaltensstörungen zu ent­wickeln. Das Risiko für eine chronische Bron­chitis sei um rund 9,5 Prozent erhöht gewesen, das Allergierisiko um rund neun Prozent.

Um fünf bis acht Prozent höher hätten auch Atemwegserkrankungen und Magen-Darm-Probleme gelegen. Unterscheiden konnte die Kasse mit ihren Daten nicht, ob ein Kind unter einer schweren Geburt per Notkaiserschnitt geholt wurde oder ob es ein geplanter Eingriff ohne Probleme war.

/TK
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Mediziner Frank Louwen, Vizechef der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Ge­burtshilfe, begrüßte die Studie. Ihn überraschen die Ergebnisse nicht. „In der Summe ist das eine Bestätigung von Metaanalysen, die es bereits gibt“, sagte er. Die Art der Geburt habe einen kurz- und langfristigen Einfluss auf die Ge­sundheit von Kindern. „Die Frage ist aber, welchen genau“, ergänzte er. Es gehe nicht darum, sinnvolle Kaiser­schnitte zu verur­teilen.

Louwen würde sich wünschen, dass Kassen nicht allein im Rückblick schauen, was es für Unterschiede gibt. Er hielte Studien für sinnvoll, die ab einem Stichtag mit Kenntnis der Versicherten nach festgelegten Fragestellungen an das Thema herangehen und dann immer wieder nachfragen. Dabei müssten sich die Kontrollgruppen gleichen – also zum Beispiel die gleiche Anzahl übergewich­tiger oder stillender Mütter einbezogen sein.

Bereits heute wissen man, dass gesunde Kinder gesunder Frauen direkt nach einer vagi­na­len Geburt fitter seien als Sectiobabys, sagte Louwen. Und auch, dass Kaiserschnitt­kin­der auf lange Sicht häufiger Autoimmunkrankheiten, Allergien, Asthma oder Überge­wicht entwickelten.

Warum, ist unklar. Studien, ob das am Kontakt mit dem Gewebe der Mutter im Geburts­ka­nal und der Bakteriengemeinschaft dort liegen könnte, liefen noch, sagte Louwen. „Das sind Hypothesen. Genauso wie die Frage, welche Rolle die Plazenta während einer Ge­burt spielt.“ Wünschenswert sei es jedenfalls, dass Kinderärzte die Art der Geburt bei Vor­sorgeuntersuchungen mit auf dem Schirm hätten.

Zu den Gründen für einen Kaiserschnitt zählen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Mutter oder Kind. Es gehe es zum Beispiel um eine vorzeitige Ablösung der Plazenta, ein drohendes Reißen der Gebär­mutter oder schwere Erkrankungen der Mutter.

Solche Gründe träfen aber nur auf rund zehn Prozent der Kaiserschnittentbindungen zu, heißt es im jüngsten RKI-Bericht zur Gesundheit in Deutschland. Beim Rest werde nach Abwägung entschieden, zum Beispiel bei Mehrlingen, früheren Entbindungen durch Kai­ser­schnitt, sehr schweren Kindern über 4500 Gramm oder einer sehr komplizierten Ge­burt.

Seit 1994 hat sich der Sectioanteil an allen Geburten in Deutschland laut RKI fast ver­doppelt. Deutschland gehört mit rund 32 Prozent zu Ländern mit hohen Raten, der EU-Schnitt lag 2010 nur bei rund 25 Prozent. Als Gründe für den Anstieg in Deutschland gel­ten unter anderem das höhere Alter der Schwangeren, die Zahl großer und schwerer Kin­der und Mehrlingsschwangerschaften nach künstlichen Befruchtungen.

TK-Vorstand Baas nennt die Kaiserschnittzahlen in Deutschland im Vergleich mit Nach­bar­staaten wie den Niederlanden „erschreckend hoch“. Dort liege die Sectiorate bei nur 16 Prozent. Die Gründe für Kaiserschnitte in Deutschland ließen sich aus den Kassenda­ten nicht ablesen.

Baas vermutet, dass auch der Hebammenmangel in Kliniken inzwischen dazu führen könne, dass Geburten lieber per Kaiserschnitt geplant würden. Regional sind die Sectiora­ten darüber hinaus sehr unterschiedlich – sie schwankten allein bei den TK-Versicher­ten im Jahr 2018 zwischen 20 Prozent in Sachsen und 31 Prozent im Saarland. Auffällig ist auch ein Ost-West-Unterschied: In Ostdeutschland ist die Sectio-Rate durchweg ge­ringer.

Die TK plädiert wie andere Krankenkassen, zum Beispiel die KKH, dafür, medizinisch nicht notwendige Kaiserschnitte zu vermeiden. Sie appelliert auch an Eltern und Ärzte, bei Kaiserschnittkindern genauer hinzuschauen, um bei möglichen gesundheitlichen Defiziten sofort gezielt gegensteuern zu können.

dpa/afp

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