Kinder bewegen sich weniger, essen schlechter und konsumieren mehr Medien

Berlin – Ein niedriger sozioökonomischer Status der Familien korreliert in der Coronapandemie sehr deutlich mit dem Risiko einer Gewichtszunahme der Kinder. Das zeigte ein digitaler Parlamentarischer Gesprächskreis zum Thema: „Was macht Corona mit Kindern?“.
Vor allem bei Kindern über zehn Jahren und Eltern mit Hauptschulabschluss war das Risiko während des Lockdowns im Frühjahr/Sommer mit Kita- und Schulschließungen um das 2,5-fache erhöht, berichtete Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung für Stoffwechsel und Ernährung am Dr.-von-Haunerschen-Kinderhospital der Ludwig-Maximilian-Universität-München.
Bewegungsmangel und der häufigere Konsum von Snacks und Softdrinks sind der von Koletzko durchgeführten Onlinebefragung (März bis September) zufolge der häufigste Grund hierfür. Betroffen waren vor allem die älteren Kinder ab zehn Jahren und besonders deutlich betroffen die 13- bis 14-Jährigen.
„Während Mittelschichtsfamilien während des Lockdowns überwiegend im Homeoffice arbeiteten und Speisen häufig selbst zubereiteten, konnten geringer verdienende Familien dies nicht leisten“, berichtete der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit bei dem von dem Arzneimittelhersteller Novartis veranstalteten Gesprächskreis. In der Folge waren die Kinder häufiger sich selbst überlassen, mit allen Konsequenzen.
Kitas und Schulen sichern gesunde Ernährung und Bewegung
Der Zugang zu Bildungseinrichtungen, der auch für viele eine gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung sichert, sei deshalb für Kinder und Jugendliche sehr wichtig. „Wir können aus ethischen Gründen nicht akzeptieren, dass die soziale Schere während der Pandemie noch deutlicher als sonst auseinandergeht“, sagte Koletzko.
Man müsse vor allem mit Maßnahmen der Verhältnisprävention, wie einer setting-basierten Gesundheitsförderung in den Schulen, gegensteuern, denn gerade bei der Adipositas-Prävention gelte: „je früher, desto effektiver“.
„Wir sind bemüht, die Belastungen für Kinder und Jugendliche bei den coronabedingten Maßnahmen so gering wie möglich zu halten“ sagte Georg Kippels (CDU), Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Die Politik stelle sich immer die Frage, ob es vertretbar sei, Kitas und Schulen wegen des Infektionsrisikos zu schließen.
Neben dem beschriebenen Einfluss auf die körperliche Gesundheit spielten auch die psychischen Belastungen für Familien und Kinder eine große Rolle. Die Bundesregierung habe finanzielle Ausgleichsmöglichkeiten geschaffen, wenn Eltern wegen der Kinderbetreuung nicht arbeiten könnten. Außerdem seien „Kummer-Telefone“ eingerichtet worden. „Grundsätzlich müssen wir neue Wegen und Verhaltensweisen finden und einen gewissen Grundoptimismus an den Tag legen“, forderte der CDU-Politiker.
Die Auswirkungen der Coronapandemie auf Familien und damit auch auf die Psyche von Kindern seien „sehr verschieden und komplex“, betonte Silke Wiegand-Grefe, Leiterin der Forschungssektion „Family research und Psychotherapy“ an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und-psychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Sie seien abhängig von der jeweiligen Lebensphase einer Familie und könnten etwa bei Familien mit kleinen Kindern, solchen in der Pubertät oder bei alternden Paaren sehr unterschiedlich sein.
Erstarrung und Isolation versus Aktivismus in den Familien
„Grundsätzlich bedeutet jede Krise für eine Familie und das System drum herum eine Destabilisierung“, erklärte Wiegand-Grefe. Manche Familien reagierten während des Lockdowns auf der Verhaltensebene mit Erstarrung und selbstgewählter Isolation, weil sie ängstlich und verunsichert waren.
Andere Familien seien überaus aktiv geworden, die veränderte Situation zu managen und sich neu zu organisieren. „Auf der emotionalen Ebene überwogen indes Ängste und Verunsicherung, aber auch Überforderung und Wut“, sagte die Psychotherapeutin.
Für Kinder und Jugendliche ging die Zeit des harten Lockdowns im Frühjahr, Wiegand-Grefe zufolge, zum einen mit einem erheblichen Risiko für psychische Auffälligkeiten einher: Depressivität, Ängste, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen.
Auf der anderen Seite sei bei vielen auch die Resilienz gestärkt worden, weil sie mit der geänderten Situation gut zurechtgekommen sind. „Von der Politik braucht es klare und gut kommunizierte Vorgaben trotz föderalistischer Strukturen“, forderte die Wissenschaftlerin.
Kinder- und Jugendärzte problematisieren den gestiegenen Medienkonsum
Auf den deutlich angestiegenen Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie wies Thomas Fischbach hin, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Wir haben uns seit Jahren für einen gesunden Medienkonsum eingesetzt – das ist alles wieder hin“, sagte er. Die Coronapandemie beschädige die nachfolgenden Generationen, betonte er.
„Die Bedürfnisse von Kindern standen im ersten Lockdown lange Zeit nicht im Fokus –das war frappierend zu erleben“, sagte Susann Rüthrich (SPD), Mitglied in der Kinderkommission des Bundestages. Wären Kinderrechte bereits im Grundgesetz festgeschrieben, sei das vermutlich anders gewesen. Kinder müssten bei allen Entscheidungen, die sie betreffen, mit einbezogen werden, forderte Rüthrich, auch um deren „Gefühl des Ausgeliefertseins“ entgegenzuwirken.
Unterstützt wurde diese Forderung von Holger Hoffmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW): „Jedes Kind hat Anspruch auf rechtliches Gehör.“ Als „Seismographen für gesellschaftliche Entwicklungen“ sei es sinnvoll, Kinder mit einzubinden.
Die Mehrzahl der Kinder sei mit den Hygieneschutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie einverstanden, selbst wenn sie bis zu 8 Stunden am Tag eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müssten, berichtete Hoffmann.
Die meisten Kinder wollten aber zur Schule gehen. Als Alternative zu Schulschließungen und reinem Onlineunterricht könnte man auch überlegen, beispielsweise Museen und Theater zur Entzerrung von Klassengrößen zu nutzen, regte er an.
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