Vermischtes

Lebensmittelverbände fordern positivere Bewertungen durch den Nutri-Score

  • Donnerstag, 16. Juli 2020
Nutriscore auf einem Fertiggericht /picture alliance
Der Nutri-Score bezieht neben dem Gehalt an Zucker, Fett und Salz auch empfehlenswerte Bestandteile wie Ballaststoffe oder Proteine in eine Gesamtbewertung ein und gibt dann einen einzigen Wert an – auf einer fünfstufigen Skala von „A“ auf dunkelgrünem Feld für die günstigste Bilanz über ein gelbes „C“ bis zu einem roten „E“ für die ungünstigste. Das zutreffende Feld wird hervorgehoben. /picture alliance

Berlin – Vor der freiwilligen Einführung des Nutri-Score in diesem Jahr haben Verbände der Deutschen Lebensmittelindustrie offenbar das Ernährungsministerium (BMEL) aufge­fordert, mehrere Bewertungskriterien der Nähwertkennzeichnung zu verändern.

Unter anderem sollten einzelne Produktgruppen wie Fruchtsäfte, Wurst oder Milch­misch­getränke positiver bewertet werden. Das geht aus Dokumenten des für Ernährungs­for­schung zuständigen Max-Rubner-Instituts (MRI) hervor, die jetzt von der Verbraucher­or­ga­nisation Foodwatch veröffentlicht wurden.

Bereits Ende 2019 hatte das BMEL das MRI den Dokumenten zufolge damit beauftragt, die Forderungen der Industrie zu prüfen. Den Großteil beurteilte das MRI demnach als nicht notwendig. Foodwatch kritisierte die Forderungen in einer Mitteilung als „unwiss­en­schaftlich“ und führte einige Beispiele auf.

So hatten die Lebensmittelverbände unter anderem gefordert, dass Fruchtsäfte ebenso bewertet werden sollten wie „allgemeine Lebensmittel“. Auch Säfte, die natürlicherweise einen sehr hohen Zuckergehalt haben, wie etwa Trauben, würden auf diese Weise die po­sitivste Wertung, das dunkelgrüne A erhalten. Nach den aktuell vorgesehenen Vorgaben läge Traubensaft mit einem roten E am negativen Ende der Bewertungsskala.

Grund: Im Bewertungsschema des Nutri-Scores gibt es drei sogenannte Sonderfälle – Käse, zugesetzte Fett und Getränke. Für sie gelten aus verschiedenen Gründen veränderte Bewertungskriterien. Bei Getränken wird unter anderem der Zucker- und Kaloriengehalt besonders berücksichtigt. Ein hoher Fruchtanteil führt deshalb nicht zu einer vergleich­bar positiven Bewertung wie bei anderen Lebensmittelgruppen.

Durch die Verarbeitung gingen bei Fruchtsaft viele gesundheitliche Vorteile von frischem Obst oder Gemüse verloren und es entstünden freie Zucker in großen Mengen, schreibt das MRI in seiner Beurteilung. Diese können etwa das Diabetesrisiko erhöhen. Deshalb sei es sinnvoll, Fruchtsäfte weiterhin als Getränke zu bewerten.

Industrie: Fruchtsaftschorlen besser bewerten

Ähnliches gelte für Fruchtsaftschorlen. Die Industrie hatte gefordert, diese besser zu bewerten, weil sie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) als Flüssigkeits­lieferanten genannt würden. Die DGE schlage allerdings ein Mischverhältnis von drei Tei­len Wasser zu einem Teil Fruchtsaft vor, was weniger als drei Gramm Zucker pro 100 Milli­liter entspreche, argumentiert das MRI.

Im Handel erhältliche Produkte enthielten im Schnitt rund 7 Gramm Zucker pro 100 Milli­liter. Insofern bestehe kein Bedarf die Bewertungsgrundlage zu verändern. Die ebenfalls an das BMEL gerichtete Forderung, ungesüßte Kräuter- und Früchtetees mit einem grü­nen A zu bewerten, sei aus Sicht des MRI hingegen zu vertreten.

Auch Milchmischgetränke sollten nach Ansicht der Industrie nicht wie Getränke bewertet werden. Sie forderte daher eine Herabsetzung des Grenzwertes für den Milchanteil von bisher 80 auf 70 Prozent. So hätten beispielsweise fertige Kaffeegetränke auf Grundlage der Kriterien für „allgemeine Lebensmittel“ bewertet werden können. Trotz ihres hohen Zuckergehaltes wären so grüne statt roter Nutri-Score-Bewertungen möglich gewesen, kritisiert Foodwatch. Das MRI sah jedoch auch hier „keinen Handlungsbedarf“.

„Absurd“ mutete laut Foodwatch die Industrieforderung nach einer Sonderbewertung für Fleisch und Wurst an. Die für den Nutri-Score kritischen Bestandteile Salz und Fett ließen sich produktionsbedingt „nur in moderatem Umfang“ reduzieren, hieß es in einem Papier der Interessenverbände. Ohne eine „Sonderregel“, wie sie für Käse gelte, ließen sich die Nutri-Score-Bewertungen nicht verändern.

Die Antwort des MRI fiel deutlich aus: Änderungen des Nutri-Score-Algorithmus sollten aus Sicht des Instituts der besseren Verbraucherorientierung dienen und nicht dazu, „Pro­dukte bzw. Produktgruppen ernährungsphysiologisch günstiger bewerten zu können“. Zu­dem sei es für die Bewertung durch den Nutri-Score nicht maßgeblich, ob und inwieweit Produkte lebensmitteltechnologisch reformuliert werden könnten.

Die Ausnahme für Käse war nach Angaben des MRI geschaffen worden, um innerhalb die­ser Produktgruppe ernährungsphysiologische Vor- und Nachteile für Verbraucher besser kenntlich machen zu können. Der Eiweißgehalt werde daher gesondert bewertet. Für Fleischwaren sei das nicht notwendig, da sich die ernährungsphysiologischen Vor- und Nachteile der Produkte hier über die Salz- und Fettanteile ausreichend kennzeichnen ließen.

Die Bewertung einiger Forderungen lehnte das MRI ab, da sie nicht den ernährungs­wissenschaftlichen Teil des Nutri-Scores betrafen. So geht aus den Dokumenten hervor, dass nach dem Wunsch der Lebensmittelverbände beispielsweise App-Anbieter oder Nichtregierungsorganisationen künftig keine beispielhaften Nutri-Score-Berechnungen für Lebensmittel mehr erstellen dürfen sollen.

Nur so sei das Prinzip der freiwilligen Kennzeichnung gewahrt. Die Industrie wolle damit erreichen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher den Nutri-Score nicht mehr mit Apps wie beispielsweise Open Food Facts selbst berechnen könnten, vermutet Foodwatch.

Unübersichtlichen Kennzeichendschungel vermeiden

Zudem sollten Hersteller nach dem Willen der Verbände auch in anderen Ländern ver­brei­­tete Kennzeichnungsmodelle anwenden dürfen, etwa die britische Lebens­mittelampel oder das skandinavische Schlüsselloch-Modell. „Die Folge wäre ein unübersichtlicher Kenn­zeichendschungel, der eine gesündere Kaufentscheidung durch schnelles Verglei­chen erschwert“, befürchtet Foodwatch.

Nach bisherigen Erkenntnissen ist das BMEL den Forderungen der Verbände bislang nicht nachgekommen. Im März hatte das Ministerium die Verordnung zur freiwilligen Einfüh­rung des Nutri-Score an die Europäische Kommission weitergeleitet.

Diese prüft das Papier in einem sogenannten Notifizierungsverfahren unter anderem auf mögliche Einflüsse auf den innereuropäischen Warenverkehr. Die Prüfung wird laut BMEL voraussichtlich sechs Monate in Anspruch nehmen. Anschließend wird die Verordnung dem Bundesrat vorgelegt und soll noch in diesem Jahr in Kraft treten.

alir

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