Omikron könnte Normalstationen statt Intensivstationen unter Druck setzen

Köln – Krankenhausdaten aus Großbritannien bestärken die Annahme, dass die Omikron-Variante sich zwar schneller ausbreiten wird als Delta, jedoch mildere Krankheitsverläufe verursacht. Denn während die Hospitalisierungsrate auf der Insel steigt, stagniert die Zahl der genutzten Beatmungsplätze weitgehend. Statt der Intensivstationen könnte Omikron daher den Normalstationen zur Last fallen. Davor warnte gestern der Virologe Christian Drosten im NDR-Info-Podcast.
Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Coronapatienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gab das Robert-Koch-Institut heute mit 3,2 (Dienstag 3,12) an. Vor Weihnachten lag sie im Gesamtdurchschnitt der Bundesländer noch bei mindestens 4,5. Am höchsten liegt die Hospitalisierung in Bremen mit mehr als 12 und in Thüringen mit mehr als 9 Coronapatienten je 100.000 Einwohner (RKI, Stand 3. Januar).
Tagesaktuelle Zahlen, wie sie das Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) für die Kapazitäten der Intensivstationen bereitstellt, liegen für diesen Bereich der Kliniken jedoch nicht vor.
„Es ist sehr bedauerlich bis peinlich, dass wir es nicht geschafft haben, auch für Normalstationen bundesweit tagesaktuelle Zahlen zu generieren“, kritisierte Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing heute bei einer Pressekonferenz des Science Media Centers.
Insbesondere die Hospitalisierungsdaten hätten einen erheblichen Zeitverzug und würden zu einer systematischen Untererfassung führen, ergänzte Andreas Schuppert, Direktor des Joint Research Center for Computational Biomedicine, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH).
Wendtner warnte vor einer Überlastung der Kliniken durch Omikron, die nicht nur die Normalstationen betreffen könnten. Bei einer zwei- bis dreifach erhöhten Infektiösität werde die resultierende höhere absolute Zahl an Infizierten in den Kliniken zum Problem werden.
„Bei Inzidenzen deutlich über 1.000 wird man auch wieder Intensiveinweisungen sehen auf der Ebene der vierten Delta-Welle – ungefähr 1.400“, ergänzte Schuppert. Dänemark hat schon jetzt eine Inzidenz größer als 2.000. Diese Zahlen hält Schuppert auch in Deutschland für plausibel.
Drosten verwies zudem auf erste Berichte aus New York: Hier hätten große Krankenhäuser die gesamte Versorgung zugunsten der COVID-19-Behandlung in einer beginnenden Welle eingestellt – die Belastung auf den Grundumsatz sei zu groß. Jede geplante Operation (an den entsprechenden Kliniken in New York) müsse abgesagt werden, weil man dafür nicht mehr garantieren könne.
Anpassung der Quarantäneregeln soll Klinikengpässe verhindern
Weniger kritisch ordnet der Gesundheitsökonom Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin die Situation der Kliniken in Deutschland ein: „In Deutschland haben wir durch stationäre COVID-19-Patienten eine deutlich niedrigere Belastung der stationären Kapazitäten als in anderen Ländern“, sagte er dem Deutschen Ärzteblatt auf Anfrage.
Im Zeitraum Januar bis September 2021 (Höhepunkte der zweiten und dritten Welle mit Delta) seien 33 Prozent der Betten frei gewesen, 2,9 Prozent waren mit COVID-19-Patienten belegt, auf der Intensivstation 9,5 Prozent. Die Anzahl der COVID-19-Patienten überstieg diejenigen mit Schlaganfall um zehn Prozent und diejenigen mit Herzinfarkt um 50 Prozent.
„Rein bettenmäßig könnten sich die stationären COVID-19-Fallzahlen also verzehnfachen“, rechnete Busse vor, räumt aber ein – das berücksichtige noch nicht das Personal, was fehlen könnte.
Ein aufgrund von Krankheit und Quarantäne reduzierter Personalstand würde vermutlich zunächst dazu führen, dass Operationen wie Knie- und Hüftgelenksimplantationen abgesagt würden, schätzt der Gesundheitsökonom. „Geeignetere“ Kandidaten seien jedoch stationäre Aufnahmen bei Herzinsuffizienz oder Diabetes, da diese nicht immer notwendig und quantitativ wichtiger seien.
Bund und Länder wollen am kommenden Freitag unter anderem über etwaige neue Kontaktbeschränkungen beraten und darüber, ob die Quarantäneregeln angepasst werden. Wendtner erwartet verbindliche bundesweite Regelungen, die eine kritische Infrastruktur gewährleistet.
Dafür sei eine Anpassungt der Quarantäneverordnung essenziell, gerade in kritischen Bereichen wie Kliniken, Altenheimen und Pflegeheimen. „Meine Hoffnung ist, dass die Quarantäneverkürzung immer mit einem Test abgesichert wird.“ Kritisch sei die Verkürzung der Isolation zu sehen, diese müsse sehr strickt mit Testungen abgesichert werden, so der Arzt aus München.
Die Zahl der Coronafälle mit der als besonders ansteckend geltenden Omikron-Variante steigt in Deutschland weiter deutlich an. Wie das RKI heute mitteilte, erhöhte sich die Gesamtzahl der erfassten Fälle binnen eines Tages um 20 Prozent auf 42.556. Damit gab es 7.027 Fälle mehr als gestern. Erfasst wurden den Angaben zufolge auch Nachmeldungen aus den vergangenen Wochen.
Von der Gesamtzahl der mit Omikron Infizierten mussten laut RKI seit Mitte November 451 Menschen im Krankenhaus behandelt werden. Das Institut registrierte bislang zwölf Todesfälle im Zusammenhang mit der Variante.
Aufgenommen werden in der RKI-Statistik Omikron-Fälle, bei denen ein Nachweis mittels Genomsequenzierung oder ein Verdacht durch einen variantenspezifischen PCR-Labortest vorliegt. Zwischen der erstmaligen Meldung eines Coronafalles und dem Laborergebnis über das Vorliegen einer bestimmten Variante können den Angaben zufolge je nach Nachweismethode mehrere Tage oder Wochen liegen.
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