Pandemie beeinflusst psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen negativ

Leipzig – Seit Beginn der Coronapandemie hat sich die Wartezeit von Kindern beziehungsweise Jugendlichen auf eine psychotherapeutische Behandlung nahezu verdoppelt, obwohl die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP) mehr Behandlungsstunden angeboten haben.
Bei der Hälfte der Patienten ist zudem eine pandemieassoziierte Symptomverschlechterung aufgetreten. Das berichtet eine Arbeitsgruppe der Universität Leipzig und der Universität Koblenz-Landau. Die Studie ist als Preprint auf dem Portal Researchgate erschienen (2022; DOI: 10.13140/RG.2.2.33280.10243).
Das Wissenschaftlerteam wollte in ihrer Untersuchung die psychische Situation von Kindern und Jugendlichen und deren psychotherapeutische Versorgung seit Beginn der COVID-19-Pandemie aus Sicht von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erfassen. Dazu befragten die Forscher eine Stichprobe von 324 KJP, 258 weiblich, 66 männlich. Es waren Therapeuten aus allen 16 Bundesländern vertreten.
Die KJP berichteten, dass Patienten bei ihnen aktuell signifikant länger auf einen Erstgesprächstermin und einen Therapieplatz warten, als im Vergleichszeitraum vor der Pandemie. Die Wartezeit für ein Erstgespräch habe sich von durchschnittlich 5,8 Wochen vor zwei Jahren auf 10,2 Wochen in den vergangenen sechs Monaten verlängert.
Auf einen Therapieplatz mussten die Betroffenen in den vergangenen sechs Monaten durchschnittlich 25,3 Wochen warten. Vor zwei Jahren waren es noch durchschnittlich 14,4 Wochen Wartezeit gewesen.
Gleichzeitig berichteten 66 Prozent der Teilnehmenden, ihre Behandlungsstunden seit Pandemiebeginn leicht bis sehr stark erhöht zu haben, bei 23 Prozent seien sie gleichgeblieben und elf Prozent hätten sie leicht bis sehr stark verringert.
Die nahezu verdoppelten Wartezeiten bei einer gleichzeitigen Steigerung der angebotenen Behandlungsstunden von Therapeutenseite deuten laut der Arbeitsgruppe darauf hin, dass mehr Kinder, Jugendliche und ihre Bezugspersonen aktuell psychotherapeutische Hilfe suchen.
„In ihren Freifeldantworten berichteten einzelne Teilnehmende neben einer erhöhten Anzahl von Anfragen auch eine veränderte Qualität: Die Anfragen seien verzweifelter, drängender geworden“, so die Forscher.
Auch die Krankheitslast hat sich laut der Umfrage in den vergangenen sechs Monaten im Vergleich zu der Zeit vor zwei Jahren gewandelt: Die Befragten gaben eine signifikante Zunahme aller abgefragten psychischen Störungen an.
Für die Zunahme von Depressionen, Angststörungen und Medienabhängigkeit sehen die KJP dabei sehr große Effekte, für Schlaf-, Anpassungs-, Zwangs- und Essstörungen große Effekte, für Schulabsentismus einen moderaten Effekt. Die Zunahme von Substanz-, Belastungs-, Hyperkinetischen und Regulationsstörungen sowie Störungen des Sozialverhaltens seien als klein bis sehr klein einzustufen.
„Es scheint, als könne der gestiegene Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung durch die bestehenden ambulanten Strukturen nicht ausreichend und zeitnah gedeckt werden“, zieht die Arbeitsgruppe ein Fazit.
Eine zeitnahe Behandlung sei jedoch essenziell, um Chronifizierungen und Komorbiditäten vorzubeugen. Wichtig sei daher „eine Anpassung des Versorgungssystems an den gestiegenen Bedarf“, um gesundheitliche und volkswirtschaftliche Folgeschäden der Pandemie zu begrenzen, so ihre Forderung.
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