Vermischtes

Plattform soll Gesundheits­kompetenz von Migranten verbessern

  • Donnerstag, 20. Oktober 2022
/Screenshot DÄ
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Berlin – Ein neues Tool des Instituts für Technologie und Arbeit (ITA) der Technischen Universität Kaisers­lau­tern soll Ärzten und Pflegern helfen, Migranten bei der Verbesserung ihrer Gesundheitskompetenz zu unter­stüt­zen. Leitfäden, Trainingsmaterialien und eine digitale Trainingsplattform sollen auch Eingewanderten selbst helfen, relevantes Wissen und Fähigkeiten auszubauen.

Am Projekt Migrants Digital Health Literacy (MIG-DHL) war ein europaweites Konsortium beteiligt, zu dem neben der TU Kaiserslautern unter anderem auch die Universität von Valencia, das Griechische Universitäts­netzwerk GUnet, Oxfam Italia und das spanische Sozialunternehmen Coordina gehören.

Neben der Vermittlung von relevantem Wissen und Fähigkeiten soll MIG-DHL Migranten und Leistungserbrin­ger für die Bedeutung der digitalen Gesundheitskompetenz sensibilisieren und sie befähigen, eine aktivere Rolle in ihrem eigenen Gesundheitsmanagement zu spielen, um beispielsweise die Prävention und Behand­lung von COVID-19 und vergleichbaren Situationen zu stärken.

Einer Studie aus dem vergangenen Jahr zufolge weisen 58,8 Prozent der Bevölkerung eine geringe Gesund­heitskompetenz und 75,8 Prozent eine geringe digitale Gesundheitskompetenz auf – haben also Defizite, Zu­gang zu relevantem Wissen zu finden, es zu beurteilen und anzuwenden.

Neben soziodemografischen Merkmalen wie Bildungsniveau und Sozialstatus könne vor allem ein Migrations­hintergrund negative Auswirkungen auf die Gesundheitskompetenz haben: Zum einen müssen eingewanderte Menschen sich erst einmal im komplexen Gesundheitssystem orientieren, zum anderen wird ihnen das durch die Sprachbarriere erschwert.

Und die bezieht sich nicht nur auf das Beherrschen einer Fremdsprache an sich, sondern sprachliche Assozia­tionen, die mit der Muttersprache erlernt werden – beispielsweise die Verbindung von Organen zu Emotionen.

Schmerzt einem deutschen Muttersprachler das Herz, brennt einem Türkischsprechenden die Leber. Derlei Missverständnisse könnten im Versorgungsalltag durchaus zu Fehldiagnosen führen, erklärte Peter Enste, Leiter des Forschungsschwerpunkts Gesundheitswirtschaft und Lebensqualität am IAT.

Auch für Ärzte, Pflegepersonal und andere Leistungserbringer sei es deshalb von großem Nutzen, ihre kultu­relle Sensibilität zu schärfen. Das gelte nicht nur für Ausdrucksweisen, sondern auch für das Sozialverhalten.

Das IAT hat dazu nach eigenen Angaben eine Reihe von Befragungen und Experteninterviews durchgeführt, auf deren Grundlage sie typische Auffassungen und Verhaltensweisen in bestimmten Kulturkreisen heraus­gearbeitet haben. Keine davon sei zwingend, doch würden sie generelle Trends zeigen, die in bestimmten Gesellschaften vorherrschend sind.

So könne das Anerkennen einer Krankheit in vielen Gesellschaften Subsahara-Afrikas den sozialen Status einer Person gefährden. Als Folge würden auch ernste Erkrankungen häufig nicht öffentlich gemacht, um den eigenen sozialen Status nicht zu gefährden und entsprechend hoch seien oft die Hemmungen, über Vorer­krankungen zu sprechen, erklärte der mit dem Projekt befasste wissenschaftliche Mitarbeiter Tim Knospe heute bei dessen Vorstellung.

Ähnlich sehe es in vielen ostasiatischen Gesellschaften aus, die eher kollektivistisch als individualistisch orientiert sind. Konformität und Zusammenhalt der Familie oder Gruppe würden dort oft als wichtiger an­gesehen als eigene Befindlichkeiten, Probleme dementsprechend oft sehr lange zurückgehalten, um der Gruppe nicht zur Last zu fallen.

Speziell psychische Erkrankungen würden vor diesem Hintergrund oft als persönliches Scheitern, Inkompe­tenz oder eigene Unzulänglichkeit aufgefasst. Das erkläre beispielsweise zu einem großen Teil die außer­gewöhnlich hohen Selbstmordraten in Japan.

In arabischen Gesellschaften wiederum spiele die Autorität des Arztes eine größere Rolle. In der praktischen Arbeit helfe es da beispielsweise, sich dessen bewusst zu sein: Dass ein Patient nicht aktiv nachfragt, könne auch ein Zeichen des Respekts sein. Wichtige Informationen solle man deshalb aktiv vortragen.

Auch die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses spiele hier eine große Rolle: Im Vergleich zur hier üblichen eng getakteten Abfertigung in Deutschland sei es für viele Menschen aus den arabischen, türkischen oder iranischen Kulturräumen wichtig, indirekte Kommunikation mit einem hohen Grad an Kontextualisierung zu führen, statt einfach nur Informationen wiederzugeben.

Ein Schwerpunkt des Projekts ist darüber hinaus, Migranten, die bereits längere Zeit in Deutschland leben, einzubeziehen und zu schulen, um andere Migranten unterstützen zu können. Patienten wie Leiastungserbrin­ger gleichermaßen können sich auf der Seite des Projekts über all diese Themen informieren und dazu Leit­fäden, Trainingsmaterialien sowie eine Trainingsplattform nutzen.

lau

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