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Rassismus und Diskriminierung im Gesundheitssystem keine Seltenheit

  • Mittwoch, 8. November 2023
/Studio Romantic, stock.adobe.com
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Berlin – Rassismus und Benachteiligung von Schwarzen, muslimischen und asiatischen Personen im Gesund­heitssystem sind keine Seltenheit. Das geht aus einem Bericht des Nationalen Diskriminie­rungs- und Rassis­musmonitors (NaDiRa) „Rassismus und seine Symptome“ hervor, den das Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) gestern veröffentlicht hat.

Etwa ein Drittel muslimischer Frauen und Männer erleben nach eigenen Angaben eine Benachteiligung im Ge­sundheitswesen. Schwarze Frauen berichten mit 38 Prozent noch häufiger von Diskriminierungserfah­rungen. Bei Schwarzen Männern ist es etwa jeder Vierte. Auch sich als asiatisch identifizierende Personen fühlen sich häufiger diskriminiert als weiße Personen.

Neben weiteren quantitativen und qualitativen Untersuchungen haben die Forschenden zwischen Juli und November 2022 mehr als 21.000 Menschen in Deutschland als ersten Teil einer Längsschnittstudie befragt.

„Wir haben versucht, Gruppen auszuwählen, die in Deutschland potenziell mit Rassismus konfrontiert sind,“ sagte Zerrin Salikutluk, Co-Leiterin des NaDiRa, dem Deutschen Ärzteblatt.

Mehr als jede dritte rassifizierte Person gibt dem Report zufolge an, dass ihre Beschwerden nicht ernst ge­nommen werden und sie deshalb schon einmal den Arzt beziehungsweise die Ärztin gewechselt haben. Das trifft vor allem auf Perso­nen zu, die sich selbst als muslimisch identifizieren: Fast 40 Prozent der muslimi­schen Frauen und knapp mehr als jede dritte Schwarze Patientin fühlte sich von Ärztinnen und Ärzten nicht ernst genommen.

Außerdem sagten zwei Drittel muslimischer und Schwarzer Frauen sowie 61 Prozent asiatischer Frauen, dass sie von Ärzten und anderem Gesundheitspersonal ungerechter oder schlechter als andere Personen behandelt worden seien.

Allerdings fühlen sich auch fast 30 Prozent der weißen Frauen ohne rassistische Diskriminie­rungserfahrungen nicht immer vom Arzt oder ihrer Ärztin ernst genommen. Zusätzlich erfahren 61 Prozent dieser Gruppe nach eigener Angabe ebenfalls eine schlechtere Behandlung durch medizinisches Personal.

Diskriminiert fühlen sich weiße Frauen aufgrund von Geschlecht, Alter und Gewicht. „Der sogenannte ‚Morbus Mediterraneus‘ trifft also auf sämtliche rassistisch markierte Gruppen sowie nicht rassistisch markierte (wei­ße) Frauen zu und wäre daher besser als ein ‚Morbus Aliorum‘ zu bezeichnen“, so Salikutluk (Kasten).

„Morbus Aliorum” meint dabei „Krankheit der Anderen“. Es gebe offenbar die Tendenz zu der Ansicht, dass außer weißen deutschen Männern alle anderen ihre Schmerzen übertreiben würden, erklärte Salikutluk „Das hat Auswirkungen auf die Schmerzmedikation und kann Konsequenzen für die Gesundheit haben.“ Die For­scherin hält es für sehr bedenklich, welche große Rolle Stereotype und Vorurteile im Gesundheitswesen spielen.

Nicht nur im Gesundheitswesen machen Menschen Diskriminierungserfahrungen. Jede zweite schwarze Person berichtet von Diskriminierungserfahrungen in der Öffentlichkeit. Schwarze Männer erleben mit 41 Prozent zudem überproportional häufig Rassismus durch die Polizei.

Muslimische Menschen fühlen sich vor allem durch Ämter und Behörden diskriminiert: Mehr als jeder zweite Mann und 46 Prozent der Frauen berichtet davon. Und auch asiatische Personen erleben Diskriminierung am häufigsten bei Ämtern und Behörden.Das darf in Demokratien nicht passieren, dass gerade deren Ämter und Institutionen nicht alle Menschen gleichbehandeln,“ sagte die Direktorin des DeZIM Naika Foroutan.

Um Rassismusbetroffene zu unterstützen, kündigte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, ein Community basiertes Beratungsnetzwerk an 32 deutschlandweiten Standorten an. Auch in der medizinschen Ausbildung und Praxis müsse das Thema angegangen werden: Wir brauchen mehr Sensibilisierung von Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und in Krankenhäusern.“

Stereotype in Lehrmaterialien

Rassistischen Stereotypen begegnen Ärzten bereits in ihrem Studium. In medizinischen Lehr­materialien deutet sich dem Bericht zufolge eine Fehlrepräsentation rassifizierter, marginalisierter Gruppen an.

Um herauszufinden ob rassistisches Wissen in der ärztlichen Ausbildung zu finden ist, haben die Forschenden eine Stichprobe aus circa 100 Fallbeispielen und 800 Fotografien aus medizinischen Lehrbüchern, Online-Lernplattformen, Examensprüfungsfragen und Inhalten des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin untersucht. Zusätzlich haben die Forschenden Interviews mit fünf rassistisch markierten Ärztinnen und Ärzten, zwölf Medizinstudierenden und einer medizinischen Psychologin geführt.

Dabei zeigte sich unter anderem, dass Schwarze Frauen hypersexualisiert und muslimisch gelesene Frauen demgegenüber eine unterdrückte Sexualität zugeschrieben wird. Als Folge erhalten Schwarze Frauen häufig das Angebot für Testungen von sexuell übertragbaren Krankheiten, während Gesundheitsfachkräfte bei mus­limisch gelesenen Frauen seltener sexualitätsbedingte Gesundheitsleistungen durchführen.

Das geht aus einer weiteren Erhebung des Berichts hervor. In einer Community basierten partizipativen Studie haben Forschende 14 Schwarze, afrikanisch, afrodiasporische und/oder muslimisch markierte Studienteilneh­mende befragt. Den Aussagen der Interviewten zufolge entindividualisieren medizinische Fachkräfte bei­spiels­weise Schwarze Personen und verorten sie als „anders“, etwa als weniger schmerzempfindlich.

Laut Bericht kann auch das ärztliche Selbstbild mit Erwartungen von Neutralität eine kritische Auseinander­setzung mit Diskriminierung erschweren. Rassismus wird dem Bericht zufolge in diesem Zusammenhang tabuisiert und ignoriert. Das Forschungsteam em­pfiehlt unter anderem die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdestellen für die Praxis und weitere partizipative Forschung.

Kein Termin für Deniz Özcan

Neben einer schlechteren Gesundheit führt Diskriminierung auch dazu, dass rassistisch markierte Personen seltener die Möglichkeit haben, überhaupt Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen. Zum einen vermei­den Rassismuserfahrende, es zum Arzt zu gehen, wie aus der Panel-Befragung des NaDiRa hervorgeht. Zum anderen ist es für Menschen mit nicht deutsch klingenden Namen schwieriger, überhaupt einen Termin bei einem Arzt oder einer Ärztin zu vereinbaren.

Menschen mit Namen, die zum Beispiel in Nigeria oder der Türkei verbreitet sind, bekommen in Arzt- und Psy­chotherapiepraxen seltener einen Termin. Dafür haben die Forschenden knapp 6.800 fiktive Terminabfragen bei zufällig ausgewählten allgemeinmedizinischen, pädiatrischen, radiologischen und psychotherapeutischen Praxen gemacht. Für „Deniz Ozdan“ ist demnach die Wahrscheinlichkeit einen Arzttermin zu bekommen rund acht Prozentpunkte geringer als für „Laura Schmidt“.

Allerdings war die Schwierigkeit bei der Terminvergabe nicht bei allen ärztlichen Gruppen gleich. So hatten bei pädiatrischen Praxen alle Personen die gleiche Chance einen Termin zu bekommen, während bei psycho­therapeutischen Praxen der Unterschied am größten war: „Hier ergab sich bei türkisch gelesenen Namen eine um zwölf Prozentpunkte niedrigere Wahrscheinlichkeit für eine positive Antwort, bei nigerianisch gelesenen Namen eine um acht Prozentpunkte niedrigere Wahrscheinlichkeit“, erklärten die Forschenden.

Hier zeigt sich die Vielschichtigkeit, die bei Rassismuserfahrenden zu einer schlechteren Gesundheit führt. Denn der Panelbefragung zufolge geben von Rassismus betroffene Personen auch schneller auf, wenn es um die Suche nach einem Psychotherapieplatz geht als nicht rassistisch markierte Personen.

Hinzu kommt, dass genau diese Gruppe häufiger Symptome Angststörungen und Depressionen aufweisen. „Hier ergibt sich eine klare Handlungsempfehlung: Wir brauchen mehr psychotherapeutische Behandlungs­plätze für alle, aber speziell für Menschen, die von Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen betroffen sind“, so Salikutluk.

mim

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