Syrien: Medizinische Unterstützung aus Deutschland startet

Berlin – Wenn man die drei syrisch-deutschen Ärzte Amer Alkhodary, Ibrahim Khateeb und Faisal Shehadeh nach dem aktuellen Stand der Gesundheitsversorgung in Syrien fragt, leuchten ihre Augen. „Jetzt geht es voran, die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger ist positiv“, sagte der Schulter- und Ellenbogenchirurg Shehadeh, der im Vorstand der Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland (SyGAAD) ist.
Nach dem Sturz des Diktators Baschar al-Assads Ende 2024 verspüre die Bevölkerung nun Lust, das Land wieder aufzubauen, betonte auch der Gefäßchirurg Khateeb, der sich im Verein Syrian German Medical Association (SGMA) engagiert, kürzlich im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.
Bislang habe man sich gedanklich immer vom System getrennt, jetzt sehe die Bevölkerung es wieder als ihre Pflicht an, das System aufzubauen, ergänzte Shehadeh. Die drei Ärzte waren im April im Rahmen einer medizinischen Mission in Syrien, um bei Operationen zu unterstützen und einen fachlichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen vor Ort anzustoßen.
Trotz der Aufbruchstimmung fehlt es in der syrischen Gesundheitsversorgung nach wie vor an vielem: insbesondere an Material, Medikamenten und moderner Technik, aber auch an gut ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten. Bei der Schließung dieser Lücken sollen deutsch-syrische Klinikpartnerschaften unterstützen, finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Ein erstes Projekt, das mit Bundesmitteln gefördert wird, unterstützt ein Dialysezentrum im Nordosten Syriens. Es geht um materielle Unterstützung sowie eine Verbesserung der Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte vor Ort, erklärte die Ärztin Birgit Koch-Dallendörfer vom Verband Kurdische Ärzte in Deutschland (DKAV).
Der Verband hatte mit dem Dêrik Hospital – Al-Malikiyah im Nordosten Syriens die Partnerschaft initiiert. In den letzten Jahren habe es eine „Flucht des Wissens“ aus Syrien nach Europa und auch Deutschland gegeben, deshalb sei die Weiterbildung der Ärzte wichtig, sagte die pensionierte Ärztin.
Für das Zentrum wurden drei neue Dialysegeräte bestellt und vier neue Patientenbetten angeschafft. Jeweils für einen Monat werden zudem Hospitationsmöglichkeiten für interessierte Ärztinnen und Ärzte aber auch Pflegefachkräfte etabliert, um sich entsprechendes Wissen aneignen zu können. Dieses soll in anderen Krankenhäusern wiederum eingesetzt werden.
„Es gibt kaum Dialysestationen in Syrien“, sagte Koch-Dallendörfer. Hier müssten nun dringend neue aufgebaut werden und dafür benötige es qualifiziertes Personal, darunter auch ausgebildete Technikerinnen und Techniker, die die Geräte bedienen könnten. Das Projekt startete zum 15. April. Es wird zunächst mit etwas über 100.000 Euro finanziell unterstützt.
Ausbau der Psychotherapie benötigt
Dringend gestärkt werden müsse auch die psychotherapeutische Versorgung in Syrien, betonte Koch-Dallendörfer. Aufgrund des langen Bürgerkriegs gebe es viele Menschen mit Traumata. Für den Nordosten des Landes sei eine entsprechende mobile Klinik in Planung.
Ein zweite Klinikpartnerschaft ist Mitte Juli gestartet. In diesem Projekt arbeiten die Universität des Saarlandes und das National University Hospital in Damaskus daran, die Versorgung Syriens im Bereich der Früherkennung und Behandlung von Herzinsuffizienz- und Arrhythmien zu verbessern.
Geplant sind unter anderem Schulungen in der Nutzung von Handheld-Echokardiographie sowie in der Implantation von Herzschrittmachern und Fortbildungseinheiten für lokale Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte zu den Grundlagen der Behandlung von Herzinsuffizienz.
In Syrien fehle es zudem an ausreichender postnataler und maternaler Versorgung nach Geburten, berichtete der Neurochirurg Alkholdary, der sich im Verein SyGAAD engagiert. Ein weiteres Projekt in Syrien soll entsprechende Geräte beschaffen und Neonatalintensivstationen in drei Krankenhäusern in Damaskus, Homs und Deir ez-Zor aufbauen. Auch hier fehle es Alkhodary zufolge an Aus- und Fortbildung des Gesundheitspersonals.
Der Verein SyGAAD hatte in den vergangenen Monaten zudem eine Stroke Unit und neurochirurgische Abteilung an der Universitätsklinik Homs in Kollaboration mit US-amerikanischen Partnern mit aufgebaut. An einer privaten Klinik in Homs seien etwa die Kosten für etwa 600 Operationen dank Spenden und der Kollaboration übernommen worden. Eine Warteliste für Patientinnen und Patienten sei dafür eingerichtet worden, es hatten sich mehr als 10.000 Menschen gemeldet, die eine entsprechend OP benötigen würden. „Der Bedarf ist riesig“, sagte Shehadeh.
Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe
Wichtig bei der Zusammenarbeit mit syrischen Ärztinnen und Ärzten vor Ort sei, dass man Wissen aus Deutschland nicht „überstülpe“, sondern dass man beispielsweise in gemischten Teams operiere und auf einen Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe setze, sagte Shehadeh.
„In Syrien gibt es gute Ärzte, aber sie haben keine Mittel“, ergänzte Alkhodary. Problematisch sei zudem, dass sie bis zu Assads Sturz viele Jahre von der Welt abgeschnitten gewesen seien und demnach kaum Studienergebnisse oder neue medizinische Technologien für ihre Fort- und Weiterbildung nutzen konnten.
Weitere Projekte zum Aufbau einer Psychiatrie in vier syrischen Kliniken, der Aufbau einer Kindernephrologie in Aleppo sowie ein Training im Bereich Notfallmedizin und Behandlungen nach dem ABCDE-Schema sei in Krankenhäusern in Damaskus und in Aleppo geplant, berichtete Khateeb. Weitere Projekte im Bereich Allgemeinchirurgie sollen folgen.
Bei all den Projekten ist den Beteiligten klar, dass damit nur ein Bruchteil des Bedarfs abgedeckt werden könne. „Um das Gesundheitssystem in Syrien wieder ganz aufzubauen, braucht es wahrscheinlich mehrere Milliarden Euro“, sagte Shehadeh.
Das Interesse an den Klinikpartnerschaften ist jedoch groß. Mehr als 180 Personen haben sich in dem Antragsportal der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bislang registriert, um ein Projektantrag einreichen zu können.
26 Anträge wurden bereits eingereicht und mehr als eine Million Euro seien bereits verplant, heißt es von der GIZ. Die Projektzeiträume sollen über zwei Jahre gelten, Verlängerungen sind aber möglich. Insgesamt sind 15 Millionen Euro für die Klinikpartnerschaften vorgesehen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: