TK plädiert für neue Preisfindungsmodelle im Arzneimittelbereich

Berlin - Die Kosten für Arzneimittel, die neu auf den Markt kommen, steigen drastisch – bei oft nur mäßigem Innovationsgrad. So lautet das Fazit des diesjährigen Innovationsreports der Techniker Krankenkasse (TK).
Der Vorstandsvorsitzende der Ersatzkasse, Jens Baas, forderte „messbare und transparente Kriterien“ für die Preisbildung von Arzneimitteln, anstatt sich „die Preise von der Pharmaindustrie aufoktroyieren zu lassen“.
Der Innovationsreport 2020 bewertet 31 Präparate, die im Jahr 2017 neu auf den deutschen Arzneimittelmarkt gekommen sind. Mit dem gegen spinale Muskelatrophie (SMA) eingesetzten Präparat Spinraza® (Nusinersen) wurde erstmals eine medikamentöse Therapie bewertet, deren Packungspreis im sechsstelligen Bereich liegt.
Fast 179 Millionen Euro gab die TK im Jahr 2017 für diese neuen Arzneimittel aus. Als Kostentreiber erwiesen sich dabei Spinraza mit seinem sechsstelligen Packungspreis sowie fünf Präparate, der Kosten pro Packung im fünfstelligen Bereich liegen.
AMNOG schützt nicht vor hohen Preisen
„Als Kostenträger fragen wir uns zunehmend, wie wir das bezahlen sollen“, sagte Baas. Er monierte, dass sich – anders als auf anderen Märkten – der Preis auf dem Arzneimittelmarkt nicht selbst reguliert. Das AMNOG funktioniere zwar hinsichtlich der Wirksamkeitsbewertung, habe aber große Schwächen beim Thema Preisfindung.
Auch der Herausgeber des Innovationsreports, Gerd Glaeske von der Universität Bremen, kritisierte den anhaltenden „Trend zum teuren Arzneimittel“. Dies gelte insbesondere, da anhand der Daten, die die Unternehmen veröffentlichten, nicht nachzuvollziehen sei, wie sechsstellige oder mittlerweile sogar Millionenbeträge für einzelne Medikamente zustande kämen.
Denn Nusinersen ist mittlerweile nicht mehr die teuerste Option bei der Behandlung von SMA: Mehr als zwei Millionen Euro kostet die einmalige Behandlung eines Kindes mit der Gentherapie Zolgensma® (Onasemnogene abeparvovec). Ihr widmet der Innovationsreport 2020 ein Sonderkapitel.
Seit Mai 2020 ist das von Novartis vertriebene Zolgensma in Europa zugelassen zur Behandlung aller SMA-Patienten mit bis zu 3 SMN2-Kopien unabhängig von Alter und Schweregrad – und dies obwohl es in den Zulassungsstudien nur im Säuglingsalter untersucht worden sei, berichtete Janbernd Kirschner von der Abteilung für Neuropädiatrie am Universitätsklinikum Bonn.
Bereits vor der europäischen Zulassung hatten Eltern betroffener Kinder – zum Teil mit juristischen Mitteln und begleitet von hohem medialen Interesse – versucht, eine Behandlung mit Zolgensma zu erwirken. Das schließlich auf Drängen der Politik implementierte Härtefallprogramm (Verlosung von 100 Therapien) des Herstellers Novartis war ethisch umstritten und wurde von vielen Ärzten abgelehnt.
Für die betroffenen Eltern stelle sich die Gentherapie oft als Wundermittel dar, mit dem ihr Kind geheilt werden könne, sagte Kirschner. Unbestritten könne Zolgensma hoch effektiv sein, man dürfe aber nicht nur auf die „Super-Responder“ schauen. Die Erfahrungen mit der Gentherapie sind noch begrenzt, insbesondere bei älteren und schwereren Patienten. Auch ob die Therapie einen lebenslangen Effekt hat, ist noch unbekannt, wiederholt werden kann sie nicht.
Kirschner zufolge ist die einmalige Behandlung mit Zolgensma nicht automatisch besser als die Dauerbehandlung mit Nusinersen. „Wenn man direkt nach der Geburt beginnt, führen beide Therapien dazu, dass die Kinder laufen lernen.“
Einig waren sich die Experten darin, dass Patienten, die mit einem hochpreisigen Arzneimittel behandelt werden, grundsätzlich nachbeobachtet werden sollten – um zu überprüfen, ob sie wirklich von der Therapie profitieren.
Eine Begleitforschung sei aber nicht nur aus Kostengründen erforderlich, sondern auch aus Sicherheitsgründen, sagte Glaeske. Zu den 31 neuen Präparaten seien insgesamt fünf Rote-Hand-Briefe und 5 Blaue-Hand-Briefe verschickt worden, berichtete er.
Das Leid darf nicht den Preis bestimmen
Bislang „bestimmt das Leid den Preis“ solcher Arzneimittel, fuhr Glaeske fort, das sei zwar nachvollziehbar, aber dabei fehle jede Rationalität. Zusätzlich zu den enormen Kosten für das Gesundheitssystem warnte der Bremer Gesundheitswissenschaftler aber auch davor, dass Arzneimittel, die „nichts kosten, nicht mehr erforscht werden“.
Viele neue Präparate finden sich in der Krebsmedizin. Doch Bereiche mit hohem „medical need“ wie Antibiotika, Arzneimittel gegen Demenz und Psychopharmaka gingen verloren.
Erforderlich sei „ein weiterentwickeltes AMNOG“ und eine „zweite Instanz auf europäischer Ebene, die sich um die Preisbildung kümmert“, betonte Baas. Für die Preisbildung notwendig seien objektivierbare Kriterien.
Zu diesen Kriterien gehöre sicher eine Beurteilung des „medical need“, aber auch, welcher Vorteil das Präparat im Vergleich zu bereits vorhandenen Therapien biete. „Ich halte es für notwendig, dass die Sozialversicherung auf Basis solcher Kriterien Preisobergrenzen festlegen kann“, so Baas.
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