Verbraucher decken sich mit Arzneimitteln ein

Berlin – Viele Verbraucher in Deutschland haben sich aus Sorge um das Coronavirus SARS-CoV-2 mit Arzneimitteln eingedeckt. Im März zog die Nachfrage nach rezeptfreien Medikamenten stark an und bescherte Pharmaunternehmen eine Sonderkonjunktur. Das berichteten mehrere Arzneihersteller. Der Ansturm in Apotheken bringt die Logistik in der Branche teils an ihre Grenzen und befeuert die Debatte um Lieferengpässe von Arzneien.
„In den letzten Wochen mussten wir über unser gesamtes Portfolio hinweg die zum Teil dreifache Bestellmenge bewältigen“, erklärte etwa die Ratiopharm-Konzernmutter Teva in Ulm. Die Nachfrage bei rezeptfreien Arzneimitteln sei im März vor allem bei Paracetamol-haltigen Mitteln und Vitaminpräparaten viel höher gewesen als sonst. In Einzelfällen habe es bei der Auslieferung Verzögerungen gegeben. Teva habe nicht nur in der Produktion die Kapazität erhöht, auch die Logistik arbeite in drei statt zwei Schichten.
Bayer verzeichnet nach Konzernangaben ebenfalls eine höhere Nachfrage nach Medikamenten – vor allem nach Nahrungsergänzungsmitteln sowie Präparaten gegen Erkältungen und Allergien. Man sei „sehr gut in der Lage“, den Andrang zu bedienen, bitte aber Verbraucher, sich beim Kauf auf übliche Mengen zu beschränken, so das Unternehmen.
Auch wenn Selbsttherapien mit Schmerzmitteln gegen SARS-CoV-2 umstritten sind und es widersprüchliche Ratschläge gab: Der Ansturm von Verbrauchern in Apotheken hält seit Wochen an. „Die Nachfrage nach Arzneien und die Unsicherheit der Menschen ist hoch“, berichtete jüngst der Branchenverband ABDA. Bei Erkältungs- und Schmerzmitteln gebe es viele Präparate verschiedener Hersteller und daher im Zweifel eine Alternative. Es gebe keinen Grund, Arzneimittel zu hamstern.
Auch der hessische Arzneihersteller Stada spürt die starke Nachfrage: Bei Erkältungsmitteln, darunter Grippostad, war sie im März um 50 Prozent höher, bei Immunpräparaten gar dreimal so hoch wie in üblichen Monaten.
GlaxoSmithKline, bekannt für die Schmerzsalbe Voltaren, berichtete in den vergangenen vier Wochen von einem Ansturm auf Nasensprays, Nasentropfen und Mittel gegen Halsschmerzen. Beim Absatz gebe es Zuwächse zwischen 30 und 40 Prozent, so der britische Anbieter. Und der französische Hersteller Sanofi erklärte, Verbraucher in Deutschland hätten sich gerade vor den Ausgangsbeschränkungen mit rezeptfreien Arzneimitteln eingedeckt.
Der Andrang bringt die Pharmaindustrie teils in Bedrängnis. „Bei extrem hohen Einzelbestellungen haben wir steuernd eingegriffen, um eine flächendeckende Versorgung über die Zeit sicherzustellen“, teilte Teva mit. Und Stada erklärte, man habe die Vorräte aufgestockt und weltweit mehr als 50 Millionen Euro für zusätzliche Wirkstoffe und die Herstellung von Fertigprodukten investiert.
Alles auffangen kann die Branche trotzdem nicht: Die Lieferengpässe bei Arzneimitteln haben sich mit der Coronakrise verschärft, teilt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit. Die Behörde verzeichnet derzeit fast 380 knappe Mittel - im November waren es noch 290.
Allerdings gibt es rund 103.000 zugelassene Arzneimittel in Deutschland. Da es wegen der Pandemie Hamsterkäufe gab, hat das BfArM Pharma-Unternehmen sowie den Großhandel aufgefordert, Arzneimittel nicht über den normalen Bedarf hinaus etwa an Apotheken zu liefern. Das solle eine Schieflage im Markt vermeiden.
Mit der Coronakrise ist auch die Kritik an Lieferengpässen lauter geworden. Die gab es zwar auch schon in den Vorjahren, doch nun kommen Probleme deutlicher ans Tageslicht. Viele Wirkstoffe für Arzneimittel werden aus Kostengründen in China und Indien hergestellt – etwa für Antibiotika sowie einfache Nachahmermedikamente.
In Fernost konzentriert sich die Produktion auf wenige Firmen. Steht dort die Herstellung zeitweilig still oder kommt es wegen Verunreinigungen zu Arzneimittelrückrufen, hakt es in der Lieferkette. Auch die Coronakrise setzt die Lieferketten unter Druck: Die Preise von Wirkstoffen und die Logistikkosten seien „weltweit deutlich angestiegen“, so der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH).
In Zeiten der Pandemie werden deshalb die Rufe nach einer stärkeren Wirkstoffproduktion in Europa lauter. Doch dann würden im deutschen Gesundheitssystem höhere Kosten anfallen, gab der Verband der Chemischen Industrie (VCI) zu bedenken. Denn so billig wie in China ließe sich in Deutschland nicht produzieren. Wer aber die höheren Kosten übernehmen soll, ist bislang ungeklärt.
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