Viele Bürger finden sich im Gesundheitssystem nicht zurecht

Bielefeld – Vielen Bürgern fällt es schwer, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Das zeigt die europäische Studie „European Health Literacy Population Survey 2019-2021 (HLS19)“. 17 Länder haben teilgenommen, darunter Deutschland mit der Universität Bielefeld und der Hertie School Berlin. Die Studie wurde unter anderem durch die World Health Organisation (WHO) Europa initiiert.
Im internationalen Vergleich gaben die Befragten in Deutschland besonders häufig Schwierigkeiten bei der Navigation im Gesundheitssystem und den dazu nötigen Informationen an: Rund 70 Prozent finden es sehr schwierig, herauszufinden, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, die ihnen helfen können, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Nahezu 50 Prozent haben Schwierigkeiten, zu beurteilen, welche Art der Gesundheitsversorgung sie im Falle eines Gesundheitsproblems benötigen.
Die Leiterin der deutschen Studie, Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld, führt dieses Ergebnis in erster Linie auf die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems mit seinen abgegrenzten Sektoren und zahlreichen Schnittstellen zurück.
„Im Unterschied zu den meisten anderen in die Untersuchung einbezogenen Ländern ist das Gesundheitssystem in Deutschland sehr komplex und instanzenreich“, sagte sie. Für die Nutzer sei es daher schwer überschaubar. Dadurch sei es nicht einfach, sich im Gesundheitssystem zu orientieren und die richtige Stelle für das eigene Anliegen zu finden. „Durch die Sektorierung und die Zersplitterung entstehen zudem zahlreiche Versorgungsbrüche“, so Schaeffer.
Die neue Regierung sollte laut Schaeffer vor allem darauf achten, die Navigation zu erleichtern und zu einem nutzerfreundlichen Gesundheitssystem zu gelangen, in dem hoher Wert auf Gesundheitsinformation und die Förderung von Gesundheitskompetenz gelegt werde.
Auch die Daten zur allgemeinen Gesundheitskompetenz fallen für Deutschland problematisch aus: Zwar verfügt nahezu die Hälfte (46 Prozent) der Befragten in den beteiligten 17 Ländern über eine geringe Gesundheitskompetenz – aber die Werte für Deutschland sind noch schlechter.
Mit 58,8 Prozent hat deutlich mehr als Hälfte der Bevölkerung eine geringe Gesundheitskompetenz. Die Studie zeigt außerdem, dass vermehrt jüngere Menschen zwischen 18 und 29 Jahren Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformation haben.
Besorgniserregend ist laut der Studiengruppe, dass ein verhältnismäßig hoher Anteil der Befragten – rund ein Drittel – Probleme hat, Informationen über den Umgang mit psychischen Gesundheitsproblemen zu finden. In Deutschland trifft dies sogar auf über die Hälfte der Bevölkerung zu.
Weiterhin zeigt sich: Einige Bevölkerungsgruppen haben größere Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen als andere. Dazu zählen insbesondere Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen, niedrigem sozialen Status und niedrigem Bildungsniveau. Doch auch die Gesundheitskompetenz von Menschen im höheren Lebensalter ist offenbar geringer als die des Durchschnitts der Befragten.
Geringe Gesundheitskompetenz ist – wie zu erwarten war – folgenreich für die Gesundheit und auch für das Gesundheitssystem. Sie geht mit einem ungesünderen Gesundheitsverhalten, schlechterem subjektiven Gesundheitszustand und einer intensiveren Inanspruchnahme des Gesundheitssystems einher.
„Damit unterstreichen die Ergebnisse einmal mehr die Bedeutung von Gesundheitskompetenz als wichtige Einflussgröße auf die Gesundheit und als Stellschraube für die Kosten im Gesundheitssystem“, hieß es von der Autorengruppe.
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