Vermischtes

Wie Krankenkassen Versicherte schon datengestützt auf mögliche Risiken hinweisen

  • Montag, 14. April 2025
/picture alliance, Robert Michael
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Berlin – Mehrere der großen deutschen Krankenkassen haben nach der Ausweitung der Möglichkeiten zur datengestützten Versichertenansprache aus dem Jahr 2024 inzwischen erste Kampagnen gestartet. Damit weisen sie zum Beispiel bestimmte Patientengruppen auf bestehende Indikationen für Schutzimpfungen hin. Andere sehen aber auch noch rechtliche Hürden.

Das Erkennen von Impflücken sei der Aspekt aus Paragraf 25b des SGB V, den die DAK- Gesundheit für sich hochpriorisiert habe, sagte die Bereichsleiterin Ambulante Versorgung, Franziska Sobik, kürzlich bei einer Online-Veranstaltung mit dem Titel „Ein Gamechanger in der Impfprävention? § 25b SGB V in der Anwendung“.

Wie eine Abfrage des Deutschen Ärzteblattes bei weiteren großen deutschen Krankenkassen ergab, werden – wenn überhaupt – bislang einzelne, relativ eng gefasste Projekte realisiert, und dies mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Der GKV-Spitzenverband erklärte auf Anfrage, dass er erstmals zum 30.06.2026 einen Bericht über die Umsetzung des Paragrafen erstellen wird.

Vertreter der Heilberufe hatten sich vor der Einführung der Regelung gegen die geplanten Datenauswertungen ausgesprochen. Zu den Kritikpunkten zählten eine mögliche Verunsicherung von Patientinnen und Patienten durch automatisierte Auswertungen und Zweifel an der Aussagekraft von Abrechnungsdaten in Hinblick auf Ziele wie das Erkennen seltener Erkrankungen.

Zudem wurde das Beurteilen von Risiken und das Entscheiden über die notwendige Behandlung als ärztliche Kernaufgabe genannt. Von den Krankenkassen waren die zusätzlichen Kompetenzen begrüßt worden.

Sobik von der DAK-Gesundheit betonte bei der Online-Veranstaltung, dass Themen nur dann angesprochen würden, wenn man sie auch wirklich aus den Daten ablesen könne. Entscheidungen blieben immer beim behandelnden Arzt, man sehe sich lediglich als Verstärker des Arzt-Patienten-Kontakts.

Sie stellte erste Ergebnisse einer Kampagne zur Pneumokokkenimpfung vor, die die DAK-Gesundheit im Spätsommer 2024 durchführte. Man habe bewusst eine Impfung mit einer relativ niedrigen Impfquote gewählt und gezielt fast 100.000 Versicherte mit gesicherter Asthma- und/oder COPD-Diagnose, für die diese Impfung bisher nicht abgerechnet worden war, per Anschreiben auf die Impfindikation hingewiesen, erläuterte Sobik. Davon hätten sich von August bis Dezember 5.454 Menschen gegen Pneumokokken impfen lassen (5,5 Prozent).

Für die Kassen bedeute die Umsetzung des Paragrafen auch einen gewissen Verwaltungsakt, machte sie deutlich. Vor der Planung einer Kampagne müsse der Verwaltungsrat informiert und das Vorhaben bei der Aufsicht angezeigt werden. Darüber hinaus sei man sehr auf die Kommunikation der Widerspruchsmöglichkeiten an die Versicherten bedacht. Perspektivisch sei die Hoffnung, dass auch andere Kanäle als Briefe für Hinweise an die Versicherten genutzt werden könnten.

Projekte zu HPV-Impfung, Schmerzen und Darmkrebs

Die Barmer erklärte auf Anfrage, im Rahmen des Paragrafen zum Beispiel auf den fehlenden Impfschutz von Kindern und Jugendlichen hinzuweisen. „Dabei geht es um die Impfungen, die die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt, etwa die HPV-Impfung. Die Entscheidung über die weitere Therapie liegt dabei natürlich weiter bei den Versicherten und ihren Ärzten.“

Auf ihrer Webseite erklärt die Barmer, dass Versicherte zudem informiert würden, „wenn wir anhand Ihrer Daten ein mögliches Risiko für die Chronifizierung von Schmerzen erkennen“. Andere der im Paragrafen genannten möglichen Zwecke sind nicht aufgeführt.

Die Umsetzung des Paragrafen erfordere „einen sehr verantwortungsvollen Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Daten und umfangreiche Prozesse zu deren Validierung, um unnötige Fehlalarme möglichst auszuschließen“, teilte die Barmer auf eine Frage nach den Methoden mit, mit denen man Versicherte etwa auf mögliche Krebserkrankungen oder seltene Erkrankungen hinweisen könne. „Entsprechende Methoden hierzu müssten individuell erarbeitet werden.“ Die AOK Niedersachsen erklärte, eine Krebsprädikation aus Routinedaten halte man „nicht für sinnvoll“.

Die TK informiere Versicherte, bei denen es Auffälligkeiten nach einer Darmspiegelung gab, dass sie bislang eine empfohlene Kontrolluntersuchung noch nicht in Anspruch genommen haben und diese nach Rücksprache mit Ihrem Arzt nachholen können, wie es auf Anfrage hieß. „Die Empfehlungen zur Kontrolluntersuchung folgen den G-BA-Richtlinien (u.a. Krebsfrüherkennungsrichtlinie).“

Beim Thema Arzneimitteltherapiesicherheit sei man sehr umsichtig und vorsichtig bei der Planung möglicher Kampagnen, berichtete Sobik weiter – in dem Wissen, dass Kontraindikationen teils bewusst in Kauf genommen würden. Sobik zufolge werden die Kampagnen in Abhängigkeit von der Studienlage, Versorgungsbedarfen und dem Blick auf die eigene Versichertenklientel konzipiert. Der Paragraf sei noch sehr auf „Einmal-Kampagnen“ statt auf Dauerprozesse ausgelegt, so Sobik.

AOK-Bundesverband: Zurückhaltung wegen unklarer rechtlicher Rahmenbedingen

Für den AOK-Bundesverband berichtet ein Sprecher von datenschutzrechtlichen Bedenken: „Für Krankenkassen ist Datenschutz natürlich ein sehr hohes Gut. Wir können und wollen es uns nicht leisten, einer unrechtmäßigen Datennutzung bezichtigt zu werden. Deswegen nehmen wir diese Fragen sehr ernst und starten nicht einfach unter unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen.“

Weiter unklar sei etwa die Frage der anlassbezogenen Informationspflichten der AOKs gegenüber den Versicherten (Umfang, Häufigkeit/Frequenz, Form). Ein Schreiben der Bundesdatenschutzbeauftragten Louisa Specht-Riemenschneider zu dem Thema werde derzeit datenschutzrechtlich bewertet.

Specht-Riemenschneider schreibt darin unter anderem, dass Einzelmaßnahmen, wie ein Hinweis auf der Webseite oder im Mitgliedermagazin, als nicht ausreichend zur Information der Versicherten erachtet werden. „Nach meiner derzeitigen Einschätzung müssen eine Mehrzahl an Informationsmaßnahmen ergriffen werden, damit eine öffentliche Information geeignet im Sinne des § 25b Abs. 3 SGB V sein kann.“ Aufgelistet sind dann verschiedene denkbare Kanäle, von Aushängen und Broschüren bis hin zu Newslettern.

Vom AOK-Bundesverband hieß es, dass Klarstellungen des Gesetzgebers an dieser Stelle hilfreich wären, um die Umsetzung des Paragrafen zu fördern und die Unsicherheiten zu mindern.

Die Zahl der Widersprüche gegen die Datenauswertung insgesamt seit März 2024 gab Sobik für die DAK-Gesundheit mit gut 2.000 und damit als noch „relativ gering“ an – die Zahl sei erst mit der Kommunikation zur Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) Anfang dieses Jahres gestiegen.

Auch andere Kassen berichteten dem Deutschen Ärzteblatt von Widerspruchszahlen in drei- bis niedriger vierstelliger Höhe: rund 3.500 beispielsweise bei der Techniker Krankenkasse und 700 bei der Barmer.

Hoffnungen in Bezug auf die Impfprävention

Beim Thema Impfen sahen mehrere Fachleute in der Online-Veranstaltung durchaus Potenzial: Der im Paragraf geregelte Ansatz könne dazu beitragen, das opportunistische Impfsystem hierzulande – abhängig vom Praxisbesuch mit Impfangebot oder entsprechendem Patientenwunsch – in ein strukturiertes zu verändern, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, die Frauenärztin Marianne Röbl-Mathieu kürzlich bei der Online-Veranstaltung. „Ich halte das für eine ganz wichtige Sache.“

Strukturierte Impfsysteme machten systematisch allen Menschen innerhalb der Zielgruppe ein Impfangebot und beinhalteten meist auch Erinnerungen. „Die Wirksamkeit von Einladungs- und Erinnerungssystemen für die Wahrnehmung von empfohlenen Impfungen wurde bereits durch Studien belegt.“ Wünschenswert sei auch ein elektronischer Impfausweis als Teil der elektronischen Patientenakte (ePA) mit automatisierten Erinnerungen.

„Wir versuchen nicht, Leistungserbringer in irgendeiner Art und Weise zu ersetzen“, betonte Christoph K. B. Wagenblast, Referent für Grundsatzfragen neue Technologien und Datennutzung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Sie würden durch den Paragrafen vielmehr unterstützt. Er betonte ausdrücklich, dass der Hinweis der Krankenkassen beispielsweise auf bestimmte Risiken, die sich etwa aus Alter, Geschlecht und bestimmten Vorerkrankungen ergeben, keine Diagnose sein dürfe und solle.

Der Facharzt für Allgemein- und Notfallmedizin Philip Kampmann wertete die erweiterten Kompetenzen der Kassen als Zusatzangebot, es sei kein Entweder-Oder zur ärztlichen Beratung. Er betonte außerdem wegen der Gefahr von Missverständnissen über die verarbeiteten Daten: „Es ist eben nicht die elektronische Patientenakte, die verarbeitet wird, sondern es sind die Daten, die durch die Abrechnungsdateien der abrechnenden Ärzte an die Kassen kommen. Es sind die Diagnosen, die verschlüsselt werden, und es sind die Medikamente und die Verordnungen“. In Behandlungsdaten und Arztbriefe hätten die Kassen keinen Einblick.

Das grundsätzliche Prinzip, dass zum Beispiel Patienten, für die in den vergangenen zehn Jahren keine Tetanusimpfung von einem deutschen Kassenarzt abgerechnet worden, an die Auffrischung erinnert würden, sei „ganz prima“, sagte Kampmann. Er begrüßte dies auch als Chance, um Patienten, die jahrelang nicht in der Praxis gewesen seien, wieder einmal vor sich zu haben. Denn nur dann könne man sie optimal beraten.

Zu echten Fortschritten bei der Impfprävention reichen die neuen Regelungen aus Sicht des Mediziners aber nicht aus. „Wir brauchen zeitnah eine digitale Impfdokumentation.“ Kampmann verwies auch auf eine Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach effizienterer Gesundheitsversorgung seitens der Kassen und der Wirklichkeit der Praxen, mit Problemen schon bei Fragen wie der Verfügbarkeit bestimmter Medikamente.

ggr

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