Ruf nach Kindesmissbrauchsbekämpfungsgesetz

Berlin/Bonn – Ein „neues Kapitel im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch“ hat heute der unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, von der künftigen Bundesregierung gefordert. Er rief den Deutschen Bundestag auf, noch 2018 ein „Kindesmissbrauchsbekämpfungsgesetz“ zu verabschieden.
„Wir verzeichnen etwa 12.000 Straf- und Ermittlungsverfahren allein wegen sexuellen Kindesmissbrauchs jährlich. Das ist mindestens so erschreckend wie die Gewissheit, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches größer ist“, sagte er heute in Berlin bei der Vorstellung eines „Programms zur konsequenten Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und deren Folgen“ für die kommende Legislaturperiode.
Kinderschutz auch im digitalen Raum
Es zeigt konkrete Maßnahmen auf, wie die konsequente Bekämpfung von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen künftig besser gelingen kann. „Es gibt viele Einzelmaßnahmen, jedoch fehlt es nach wie vor an umfassenden Präventions- und Interventionskonzepten und an einem systematischen Herangehen jenseits konkreter Verdachtsfälle“, kritisierte Rörig.
Konkret fordert er, die Präventionsinitiativen „Kein Raum für Missbrauch“ und „Schule gegen sexuelle Gewalt“ breiter auszurollen und dies auch finanziell zu fördern. Außerdem müsse der Kinder- und Jugendschutz dringend stärker auf den digitalen Raum übertragen werden. Wichtig sei auch, im Rahmen des Opferentschädigungsrechts die hohen Hürden für Betroffene zum Beispiel für den Nachweis der Tat zu senken. Rörig fordert außerdem mehr Forschung zum Thema.
Auf die Gefährdung von Kindern durch Vernachlässigung, Kindesmisshandlung und sexuellen Missbrauch hat auch das Universitätsklinikum Bonn hingewiesen. Etwa jeden zweiten Tag sterbe ein Kind unter 14 Jahren in Deutschland durch Gewalt. „Tatsächlich dürfte aber die Dunkelzahl der nicht angezeigten Straftaten viel höher liegen, zumal die Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung im eigenen Zuhause nur sehr begrenzt auf sich aufmerksam machen können“, sagte Ingo Franke, Sprecher und Mitbegründer der lokalen Kinderschutzgruppe am Universitätsklinikum Bonn und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM).
Der erste Verdacht auf Kindesmisshandlung ergebe sich häufig beim Arzt. Ein Team des Zentrums für Kinderheilkunde am Universitätsklinikum Bonn erarbeitet daher eine neue Kinderschutz-Leitlinie für Mediziner, Pädagogen und Jugendhilfe, die im Umgang mit Verdachtsfällen helfen soll. Das Bundesministerium für Gesundheit unterstützt die Arbeit mit mehr als einer Million Euro.
Hämatom und blaue Flecken
Auf einem Symposium in Bonn stellten die Leitlinienautoren jetzt erste Ergebnisse ihrer Arbeit vor, beispielsweise, wie Ärzte und andere einen blauen Fleck einschätzen sollten. Laut den vorläufigen Handlungsempfehlungen der Leitlinie hat jedes dritte misshandelte Kind einen blauen Fleck hinter den Ohren, am Hals oder im Nacken. Bei einem Säugling sei jedes Hämatom auffällig.
Laut der Handlungsempfehlung zur „Partizipation“ in der künftigen Leitlinie soll das Kind bei der Untersuchung aktiv beteiligt und angehört werden. „Das ist keine Selbstverständlichkeit, doch bringt eine Beteiligung nur positive Effekte wie ein besseres Selbstwertgefühl“, so Franke. Der Leitlinienkoordinator und sein Team sind seit 2014 auf Wunsch der Bundesregierung mit der Erarbeitung der S3-Kinderschutzleitlinie betraut. Insgesamt 71 Fachgesellschaften und Organisationen sind an dem Vorhaben beteiligt. Ende 2018 soll die Leitlinie erscheinen.
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