Ärzteschaft

Seit 100 Jahren: Gleichberechtigung für Ärztinnen in der Debatte

  • Freitag, 25. Oktober 2024
Von links: Christiane Groß (Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbunds), Klaus Reinhardt (Präsident der Bundesärztekammer) und Susanne Johna (1. Vorsitzende des Marburger Bundes) /Jürgen Gebhardt
Von links: Christiane Groß (Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbunds), Klaus Reinhardt (Präsident der Bundesärztekammer) und Susanne Johna (1. Vorsitzende des Marburger Bundes) /Jürgen Gebhardt

Berlin – Frauengesundheit, Gleichberechtigung im Beruf sowie die Möglichkeit, den Beruf der Ärztin überhaupt auszuführen: Die Themen des Bundes Deutscher Ärztinnen sowie des Ärztinnenbundes als der 1950 gegründe­ten Nachfolgeorganisation sind seit 100 Jahren fast ähnlich geblieben.

„Die Themen, mit denen sich Ärztinnen in den vergangenen 100 Jahren konfrontiert sahen, lassen sich in er­staunlicher Konsistenz unter den Begriffen Benachteiligung und Gleichberechtigung von Ärztinnen subsumie­ren“, erklärte Sabine Schleiermacher vom Institut für Geschichte in der Medizin und Ethik in der Medizin an der Berliner Charité, anlässlich des 100. Gründungstages des Bundes Deutscher Ärztinnen heute in Berlin.

Am 25. Oktober 1924 kamen dazu Ärztinnen in Berlin zusammen, um sich mit der „Bearbeitung der sozialhygie­nischen Fragen vom Standpunkt der Ärztin als Frau“ zu beschäftigten. Damals gab es im Deutschen Reich etwa 2.500 Ärztinnen. Zum Studium der Medizin wurden Frauen im Deutschen Reich 1899 zugelassen – deutlich später als beispielsweise in der Schweiz.

Viele Frauen, die zunächst in Bern oder Zürich Medizin studierten, durften im Deutschen Reich nicht arbeiten, ihre Examina wurden nicht anerkannt, so Schleiermacher. Anstellungen suchten und fanden sie oftmals in der öffentlichen Gesundheit. „Viele Ärztinnen widmeten sich der Versorgung von Frauen und Kindern und damit einer Patientenschaft, die zu den Unterprivilegierten der Gesellschaften des Kaiserreiches sowie der Weimarer Republik gehörten.“

Eine Anstellung in einem Krankenhaus oder als Kassenärztin, diese Chance gab es nur für wenige. Inner­halb der Ärzteschaft gab es darüber viele Auseinandersetzungen. Denn die heftig umkämpfte Zulassung sollten die Ärztinnen nicht bekommen, wenn ihr Ehemann bereits eine Zulassung hatte. Somit mussten die Frauen in den Praxen mitarbeiten, oder wechselten in die öffentliche Gesundheit, berichtete Schleiermacher.

„Es war eine deutliche Anti-Doppelverdiener-Kampagne, die als Ausgrenzung auch über die Nazi-Zeit hinaus ging.“ Denn: „Die Argumente gegen ein Universitätsstudium von Frauen ähnelten in den 1950er-Jahren den Argumenten von 1900. Flankierend durch das Bundesgesetzblatt war nach dem Zweiten Weltkrieg wieder die traditionelle Rollenverteilung vorherrschend, nach der Frauen zur Führung des Haushaltes, nicht aber für die Erwerbstätigkeit vorgesehen waren“, so Schleiermacher.

„Auch ein Teil der Ärzteschaft, die in den 1950er-Jahren zum größten Teil aus Männern bestand, äußerte sich kritisch über die Erwerbstätigkeit der Frau oder die gesundheitlichen Auswirkungen auf ihre Gesundheit.“

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Frauen weiterhin am Studium gehindert, besonders verheira­tete Frauen kamen nicht zum Zug. „In der Bundesrepublik hatten es Ärztinnen in der Nachkriegszeit schwer, in einem Krankenhaus eine feste Stelle oder eine Zulassung für eine Krankenkasse zu erhalten.“

Wie schon in der Vergangenheit „waren ökonomisch unattraktive und weniger prestigeträchtige Posten in den den Gesundheitsämtern oder Praxisvertretungen“ die einzige Möglichkeit zur Berufsausübung, so Schleier­macher weiter.

Die „Mithilfe-Ehen für Ärztinnen“ waren üblich, bei der die Ärztin angestellt in der Praxis ihres Mannes arbeitete und dort oft die Tätigkeiten als Helferin ausübte. Die kritische Einstellung zur Berufstätigkeit von Frauen gab es in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR nicht – dort fanden sich Frauen und Männer in allen Berufsgruppen.

Wandel hat stattgefunden

Die Zeiten, die sich seitdem deutlich gewandelt haben, würdigten auch andere Rednerinnen zur Feier zum 100. Gründungstags des Bundes Deutscher Ärztinnen heute in Berlin. Der Ärztinnenbund setzte bereits 1981 das The­ma Gendermedizin und richtete 1999 ein Kongress zum Thema „Frauenherzen schlagen anders“ aus – bei­des Themen, die in der aktuellen Gesundheitspolitik diskutiert werden.

Bei der weiteren Förderung der geschlechterspezifischen Medizin stehe heute auch der Bundesgesundheits­minis­ter an der Seite des Verbandes. Dies ließ Karl Lauterbach (SPD) in seiner Grußbotschaft per Video wissen – er lasse bei diesem Thema „gegenüber den Ländern nicht locker“.

Zu den Arbeitsschwerpunkten des Verbandes zählt auch die wissenschaftliche Analyse „Medical Women on Top“, die seit 2019 analysiert, wie viele Frauen an die Spitze von Universitätskliniken gekommen sind. Bei 13 Pro­zent verharrt der Wert seit Jahren. Eine neue Auswertung wird für Ende diesen Jahres erwartet.

Blickt man auf die Studierenden, dann gab es 1998 zwar erstmals Parität zwischen den Geschlechtern im Medizinstudium. Von den 82 333 Studierenden, waren 41.188 männlich und 41.145 weiblich. 1975 waren es noch von den 43.368 Studierenden 30.801 männlich und 12.567 weiblich. 2023 gibt es ein ganz anderes Bild: von den 113.383 Studierenden – die höchste je gemessene Zahl im Medizinstudium – sind es 40.139 Männer und 73.244 Frauen.

Doch die nackten Zahlen sowie die Parität bei der Berufstätigkeit lassen den Ärztinnenbund nicht beruhigt in die Zukunft schauen. Einer Ärztin von vor 100 Jahren würde Präsidentin Christiane Groß von Erfolgen und Problemen be­richten.

„Als erstes merke ich an, dass im ärztlichen Beruf inzwischen knapp 50 Prozent Ärztinnen tätig sind, also grundsätzlich Parität herrscht. Dann weise ich aber darauf hin, dass die Gleichverteilung der Geschlechter umso mehr verloren geht, je höher die Hierarchieebene ist“, sagte Groß dem Deutschen Ärzteblatt im Vorfeld des Jubiläums.

Auf der Festveranstaltung erklärte sie: „Kinder sind ein Karrierehindernis – dieser Satz kann so einfach nicht mehr stehen bleiben.“ Der Ärztinnenbund setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass die Verkündung der Schwangerschaft gegenüber dem Arbeitgeber oder auch während des Studiums nicht den „Rausschmiss“ aus Kursen, aus dem OP oder einer Arbeitsgruppe bedeutet.

„Denn damit werden Facharztprüfungen immer weiter nach hinten verschoben, für eine akademische Karriere fehlen die Veröffentlichungen.“ In der Zeit, so Groß, „ziehen die Männer sprichwörtlich an den Frauen vorbei.“ Dies dürfe in der Gesellschaft so nicht hingenommen werden. „Die Ärzteschaft kann es nicht mehr leisten, so viele gute Ärztinnen aus der Versorgung zu verlieren.“

Es sei positiv, dass sich beim Thema Mutterschutz und Weiterarbeit in der Stillzeit immer mehr Fachverbände und Fachgesellschaften Positivlisten erarbeiteten. Darin wird festgehalten, was eine Ärztin in dieser Zeit der Familiengründung tun darf – eine Hilfestellung für Arbeitgeber, die trotz des neuen Mutterschaftsgesetzes von 2018 weiter viele Ärztinnen ins Berufsverbot schicken. Die damalige Reform sei „gut gemeinten aber schlecht umgesetzt“, so Groß.

Außerdem fordert die Ärztinnenbundpräsidentin, klarer geregelte Arbeitszeiten für Ärztinnen und Ärzte. „Warum muss es in Deutschland für eine Vollzeitstelle 40 Stunden plus die Wochenenddienste sein? In anderen Län­dern geht es ja auch anders.“ Auch dies helfe, junge Ärztinnen – aber auch Ärzte – in der Versorgung wie in der Forschung zu halten.

Für die Zukunft stelle sich für Eva Winkler, Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärzte­kam­mer, die Frage: „Wie können wir ein Gesundheitssystem gestalten, dass geschlechtsunabhängig Anerken­nung und Aufstiegschancen für alle bereit hält?“

Dabei gehe es um die Vergütung von den Fachbereichen, in denen Ärztinnen hauptsächlich tätig seien, oder auch die Forschung. Diese müsse „geschlechtergerecht und geschlechtersensible werden“, dazu zähle auch die Analyse von Forschungsdaten. Besonders mit Blick auf die Daten, mit denen Künstliche Intelligenz (KI) trainiert werde, müsse auf Diskriminierung geachtet werden.

Ärztinnen, so zeigt es Winkler aus verschiedenen Studien auf, seien oft besser in der Kommunikation mit den Patienten. Durch eine leitliniengerechte und damit oft zielgerichtetere Versorgung seien die Ergebnisse besser.

Mit Blick auf die Berufsethik wünsche Winkler sich, dass der „Gender Bias“ in der Medizin deutlich intensiver beachtet werde. Ethik sollte auch immer unter einem feministischen Blick betrachtet werden, sagte Winkler. Dazu gehörten auch die Führungsverantwortung sowie die Vorbildfunktion von Ärztinnen.

bee

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