Politik

Sicherheitskultur vor allem im ambulanten Sektor mit Nachholbedarf

  • Freitag, 13. September 2019
/picture alliance, Monika Skolimowska
/dpa

Berlin – Sowohl niedergelassene Ärzte als auch Krankenhäuser sind nach dem Sozial­recht dazu verpflichtet, Fehlermanagementsysteme zu nutzen. Solche Systeme würden derzeit nicht umfassend zum Einsatz kommen, kritisierte heute das Aktionsbündnis Pa­tienten­sicherheit (APS) auf einer Pressekonferenz in Berlin anlässlich des Welttags der Patientensicherheit. Ein zentrales Register für Ärzte könnte Abhilfe schaffen.

Bisher haben sich die Empfehlungen des APS vor allem mit dem stationären Sektor be­fasst. „Hier konnten wir einige Impulse für mehr Patientensicherheit setzen“, sagte Hed­wig François-Kettner,Vorsitzende des APS. Ein ausgeprägteres Bewusstsein müsste sich vor allem noch in den Füh­rungsebenen etablieren, mahnte Ruth Hecker, stellvertretende Vorsitzende des APS.

Deutlich schlechter gestaltet sich dem APS zufolge die Situation im ambulanten Bereich: „In Arztpraxen gibt es noch sehr viel Nachholbedarf in Sachen Patientensicherheit“, so François-Kettner. Das verdeutlichen die geringen Fehlermeldezahlen.Im Bereich der am­bulanten Versorgung haben Ärzte pro Jahr eine Milliarde Behandlungskontakte.

„Im Vergleich dazu ist die Zahl der gemeldeten Fehler verschwindend gering“, kritisierte Hardy Müller, Generalsekretär des APS. Auswertungen von Meldungen aus der Praxis können heute nur auf etwa 800 Fehlermeldungen in einem Zeitrahmen von zehn Jahren zurückgreifen.

Im britischen Gesundheitssystem hingegen werden jährlich fast 8.000 Fehler in Haus­arztpraxen verzeichnet, aus denen Schlüsse zum Ausbau der Patientensicherheit gezogen werden. „Wir können Deutschland und Großbritannien sicherlich nicht eins zu eins ver­gleichen.Fest steht aber mit Blick auf diese Zahlen, dass hierzulande Behandlungsfehler nur unzureichend erfasst werden und uns damit eine Ressource für Verbesserungen fehlt“, erläuterte Müller. Dabei seien die gesetzlichen Regelungen eindeutig, auch der Gemein­sameBundes­aus­schuss (G-BA) verpflichte zu Qualitäts- und Risikomanagement sowie den damit verbundenen Fehlermeldesystemen.

Die häufigsten Fehler im ambulanten Bereich

Erste Zwischenergebnisse von CIRSforte – ein vom Innovationsfonds des G-BA geförder­tes Projekt – unterstützt daher seit April 2018184 Arztpraxen dabei, ihre Sicherheitskul­tur zu verbessern.

„Bisher liegen 250 Ergebnisberichte dieser Praxen vor. Daraus lässt sich ablesen, dass das Hauptproblem nach wie vor die Medikation ist“, sagte Müller und spezifizierte – es gehe um falsche Medikamente, falsche Dosierungen und falsche Zeiträume.

An zweiter Stelle zeichnen sich Probleme im Bereich diagnostischer Tests ab. „Test, die ge­plant waren, wurden nicht durchgeführt, sie waren falsch dokumentiert oder ein auf­fäl­li­ger Wert wurde nicht kommuniziert“, so Müller. Darüber hinaus kam es zu Patienten­verwechslungen.

„Damit sich diese Fehler nicht widerholen, wurden für alle Praxen Präventionsmaß­nah­men abgeleitet“, berichtete der APS-Generalsekretär. Weitere Ergebnisse zu CIRSforte sollen bei einem Symposium am 30. Oktober in Berlin vorgetragen werden.

Genaue Zahlen zu häufigen Fehlern kann das APS weder für den ambulanten noch für den stationären Sektor erheben. Denn ein zentrales Meldesystem gibt es in Deutschland nicht. „Das APS wird aber in Kürze eine Stellungnahme abgeben, in der wir einen Schritt in Richtung eines solchen zentralen Registers machen werden“, sagteFrançois-Kettner demDeutschen Ärzteblatt.

Denn weder CIRS, noch dieBehandlungsfehlerbegutachtung desMedizinischen Diensts der Krankenversicherungen (MDK) noch dieSchlichtungs­stellender Ärztekammern könn­ten diese Lücke füllen. Aus wissenschaftlichen Studien wissen wir, dass nur zwischen ein und fünf Prozent aller Schäden einer rechtlichen Klärung zugeführt werden. (APS-Weißbuch Patientensicherheit 2018: 303ff) „Kliniken und Praxen brauchen nach Meldungen ein individuelles Feedback zu den Fehlern, die sie häufig machen, um entsprechende Maßnahmen zur daraus ableiten zu können – so wie es auch häufig bei CIRS gemacht wird“, ist François-Kettner überzeugt.

Initiativen der Ärzteschaft für mehr Patientensicherheit

Bundesärztekammerpräsident Klaus Reinhardt betonte, dass wichtige Erkenntnisse für die Fehlerprävention auch aus den Daten der Gutachterkommissionen undSchlichtungs­stellender Landesärztekammern gewonnen würden. Diese erfassen bundesweit von Pa­tienten gemeldete Behandlungsfehler und werten diese für Fortbildungen und Qualitäts­sicherungsmaßnahmen aus.

Eine Schlüsselrolle spiele die sanktionsfreie Meldung von Beinahe-Schäden, sagte Gün­ther Jonitz, Präsident derÄrztekammer Berlin. Denn eine angstfreie Kommunikation über problematische Abläufe und Fehlerquellen seien das A und O für sicheres Handeln in der Patientenversorgung.

„Die notwendige lösungsorientierte Grundhaltung und offene Kommunikationskultur müssen dabei nicht nur von ärztlichen Führungskräften, sondern von allen Beteiligten be­fördert werden.“ Jonitz wies darauf hin, dass Führung und eine wertschätzende, lö­sungs­orientierte Kommunikation erlernbar seien. „Die Ärztekammer Berlin bietet dafür Kurse an, die sich großer Beliebtheit erfreuen.“

Reinhardt verwies auf zahlreiche weitere Maßnahmen und Initiativen der Ärzteschaft zur Steigerung der Patientensicherheit. Dazu zählen unter anderem Qualitätszirkel, Peer-Re­views, aber auch Konsile, Tumorkonferenzen oder Morbiditäts- und Mortalitätskonferen­zen.

Auf institutioneller Ebene unterstützt unter anderem das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin, eine gemeinsame Einrichtung von Bundesärztekammer und Kassenärztli­cher Bundesvereinigung, die Qualitätssicherung der ärztlichen Berufsausübung.

Reinhardt forderte oberste Priorität für die Sicherheit von Patienten. „Qualität und Sicher­heit müssen die Treiber im Gesundheitswesen sein – nicht Wettbewerb und Kostendruck.“ Zeit für Gespräche, Austausch mit Kollegen und die Reflexion des eigenen Handelns trage entscheidend dazu bei, Fehler zu vermeiden.

Diese Zeit fehle jedoch häufig. „Stattdessen arbeiten Ärzte und andere Gesundheitsberufe am Limit, um die Folgen des Wettbewerbsdrucks und der Arbeitsverdichtung für die Pa­tienten zu mildern“, so Reinhardt.

gie

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