Sozialgericht untersagt Teleclinic Teile des Geschäftsmodells

Berlin – Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hat vor Gericht einen Teilerfolg im Prozess gegen den Telemedizinanbieter Teleclinic errungen. Das Sozialgericht München hat in erster Instanz wesentliche Teile des Geschäftsmodells und der Vergütungsstruktur untersagt, sofern es innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung stattfindet.
So untersagt das Sozialgericht Teleclinic das Führen einer eigenen Patientenakte. Das Unternehmen hatte argumentiert, es biete keine solche an, sondern lediglich einen „elektronischen Dokumentenordner“, in dem der Arzt seine Behandlungsdokumentation ablegt.
Das Gericht konnte es damit nicht überzeugen: „Es ist nicht ersichtlich, worum es sich dabei handeln soll, wenn nicht um eine Patientenakte“, heißt es in dem noch nicht rechtskräftigen Urteil, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Als Unternehmen sei Teleclinic aber nicht berechtigt, für die Ärztin oder den Arzt eine Patientenakte zu führen – auch nicht, falls der Patient seine Einwilligung zur Speicherung der Daten erteilt habe.
„Bei der Beklagten (…) handelt es sich (…) um eine zertifizierte Videodienstanbieterin (…). Als solche beschränkt sich ihre Mitwirkung an der ambulanten Versorgung der gesetzlich Versicherten allein auf die technische Durchführung der Videosprechstunde.“
Eine weitere Einschränkung betrifft die freie Arztwahl: Gesetzlich Versicherte konnten den Arzt, der die Videosprechstunde durchführen sollte, im Vornherein nicht frei wählen – worauf sie allerdings laut Sozialgesetzbuch V ein Recht haben.
Das SG untersagte Teleclinic deshalb, eine Dienstleistung anzubieten oder zu bewerben, bei der Patientinnen und Patienten die zur Verfügung stehenden Ärzte nicht selbst sehen und auswählen können.
Teleclinic hatte eingewandt, dass die telemedizinischen Assistenten nicht den passenden Arzt für die Patienten heraussuchen würden, sondern die Terminanfrage den Ärzten entsprechend der vom Patienten getroffenen Vorauswahl eingestellt hätten.
Es seien die Ärzte gewesen, die entscheiden konnten, ob sie die Terminanfrage annehmen. Auch dadurch sei das Recht auf freie Arztwahl aber bereits verletzt worden, da die Versicherten auch in diesem Ablauf den Arzt nicht selbst wählen konnten.
Vermittlungsentgelt widerspricht Berufsordnung
Auch dürfe der Anbieter keine Abrechnungsziffern speichern und kein Nutzungsentgelt von teilnehmenden Ärzten fordern, das ausschließlich auf abgerechnete vertragsärztliche Leistungen abstellt. Diese hatten eine Vermittlungsgebühr gezahlt, wenn ein Patientengespräch zustande kam. Gemäß der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns sei es Ärzten aber nicht gestattet, ein solches Entgelt für die Zuweisung von Patienten zu gewähren, unterstricht das Gericht. Dagegen verstoße das Vergütungsmodell von Teleclinic.
In diesem Punkt widerspricht das Unternehmen der richterlichen Beurteilung: Hier stünden zwei unterschiedliche Rechtsauffassungen gegenüber. Teleclinic werde Berufung gegen das Urteil einlegen und wolle diesen Punkt im kommenden Verfahren von der nächst höheren Instanz klären lassen, betont eine Sprecherin auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes.
Ebenfalls untersagt hat das Gericht Teleclinic eine Registrierungspflicht für Patienten. Der Anbieter müsse den Versicherten einen leichten Zugang zur Videosprechstunde ermöglichen, ohne sich vorher zu registrieren – insbesondere auch ohne weitere Aufforderung zu einer Registrierung.
Bei einer freiwillig erfolgten Symptomschilderung des Patienten darf Teleclinic darüber hinaus diese erhobenen Daten nur an einen Arzt weiterleiten, wenn der Patient dem nach Beginn der Videosprechstunde ausdrücklich zustimmt. Denn die Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ist – wie bereits zuvor festgestellt – auf die technische Durchführung der Videosprechstunde beschränkt.
Teleclinic hatte sich dahingehend auf eine Delegationsvereinbarung berufen, die das Unternehmen mit den Ärzten schließt. Diese entspreche aber nicht den gültigen Anforderungen an solche Vereinbarungen, unterstreicht das Gericht in dem bereits am 29. April ergangenen Urteil.
Demnach würden nämlich eine Auswahl-, eine Anleitungs- und eine Überwachungspflicht gelten: Der Arzt habe sicherzustellen, dass der Mitarbeiter aufgrund seiner beruflichen Qualifikation oder allgemeinen Fähigkeiten und Kenntnisse für die Erbringung der delegierten Leistung geeignet ist, habe ihn zur selbständigen Durchführung der zu delegierenden Leistung anzuleiten sowie regelmäßig zu überwachen.
„Es ist vorliegend nicht ersichtlich, wie Ärzte, die Videosprechstunden über die Beklagte (…) anbieten, diesen Verpflichtungen nachkommen können sollen“, schreiben die Richter. „Davon abgesehen, dass der Arzt erst von einem Vorgang erfährt, wenn die vorbereitende Bearbeitung der Anfrage eines gesetzlich Versicherten erfolgt ist (…), wurden die Telemedizinischen Assistenten von der Beklagten (…) ausgewählt und angestellt, der Arzt hat keine Möglichkeit auszuwählen, welcher für ihn tätig werden soll.“
Auch die Verwendung eines Fragebogens zur Beurteilung der Frage, ob ein Patient für die Videosprechstunde geeignet sei, dürfe nicht im Vorfeld des Arztkontaktes durch nicht ärztliches Personal erfolgen. Teleclinic hatte zuvor erklärt, dass die telemedizinischen Assistenten Notfälle im Vornherein ausgesondert und darüber hinaus letztlich entschieden hätten, ob Terminanfragen den Ärzten als Termin eingestellt wurden. Das Unternehmen sei aber nicht berechtigt, eine solche Einschätzung vornehmen zu lassen, urteilte das Gericht.
Kassenärztliche Vereinigungen begrüßen Urteil
Die KVB wertet das Urteil als Erfolg. Es handele sich um einen „wichtiger Schritt zum Erhalt der Rechtssicherheit in der Telemedizin“, erklärte der Vorstand. „Wir begrüßen, dass der vertragsarztrechtliche Rahmen gestärkt wird und setzen uns weiterhin für eine transparente und patientenorientierte telemedizinische Versorgung ein.“
Kommerzielle Telemedizinanbieter könnten durchaus an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, allerdings nur, wenn sie die geltenden Regelungen beachten.
Als eine Bestätigung des eigenen Vorgehens sieht das Urteil auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO). Sie hatte im Frühjahr vor dem Landgericht München ebenfalls gegen Teleclinic geklagt. Auch sie betont, nicht grundlegend gegen Anbieter wie Teleclinic zu sein.
„Für die KVNO ist die Telemedizin bereits jetzt ein wichtiger Teil der Versorgung – und wird in Zukunft für die Menschen noch wichtiger werden“, betonte die KV auf Anfrage. Dabei sei aber entscheidend, dass telemedizinische Angebote strukturiert, bedarfsorientiert und vor allem innerhalb des bestehenden Systems implementiert werden, das nach dem Solidarprinzip aufgebaut sei.
Die gemeinsamen Vereinbarungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) hätten Qualitätskriterien festgelegt, zu denen zwingend ein medizinisches Ersteinschätzungsverfahren und eine gewährleistete Anschlussversorgung gehörten. „Auch muss sich der Patient den Arzt aussuchen und nicht umgekehrt“, betont die KVNO. „Eine ärztliche Behandlung ist kein Convenienceprodukt.“
Der Aufbau von Parallelstrukturen, die nach einer Selektionslogik funktionieren, würde nicht nur finanziell eine flächendeckende Versorgungssicherheit teilweise massiv schwächen, sondern könne insbesondere für ältere Patienten negative Folgen haben - Versorgung müsse aber flächendeckend für alle Patienten gegeben sein.
„Wir begrüßen daher die Entscheidung des Sozialgerichtes in München“, betonte die KVNO. „Das Urteil scheint auch unsere Rechtsauffassung zu stützen. In Summe sehen wir unsere Argumente bestätigt, das Ergebnis unserer Klage vor dem Landgericht München bleibt aber aktuell abzuwarten.“
Unternehmen wehrt sich
Gänzlich anders bewertet Teleclinic den Richterspruch. „Insgesamt greift das Urteil aus unserer Sicht in weiten Teilen zu kurz und spiegelt eher die individuelle Rechtsauffassung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns wider als die aktuelle Rechtslage oder die gesundheitspolitischen Ziele des Bundesgesetzgebers, Telemedizin umfassend zu fördern“, erklärte das Unternehmen auf Nachfrage.
Auswirkungen auf die Arbeit des Unternehmens habe das Urteil jedoch nicht. Zum einen betreffe es ausschließlich die Versorgungssituation in Bayern, zum anderen hätten die Richter in vielen Punkten die Rechtmäßigkeit des Angebots bestätigt – was sich auch daran erkennen lasse, dass die KVB 51 Prozent der Verfahrenskosten zu tragen habe.
Vor allem aber würden viele Kritikpunkte des Gerichts – etwa zur Gestaltung der Patientenführung oder zur Anamnese – auf einer Klage aus dem Jahr 2022 basieren. Diese seien inzwischen entweder überholt oder durch neue gesetzliche Regelungen angepasst worden.
Beispielsweise hätten die bundeseinheitlich eingeführten Qualitätsvorgaben zum Bundesmantelvertrag, wie die strukturierte Ersteinschätzung, heute verbindlichen Charakter und würden von Teleclinic vollumfänglich umgesetzt. „Diese Entwicklungen fanden im Urteil keine Berücksichtigung“, moniert das Unternehmen.
Man sei überzeugt, dass das eigene Angebot im Einklang mit den geltenden rechtlichen Vorgaben stehe, und lasse deshalb auch diese Punkte in der nächsten Instanz erneut prüfen. „Wir sind bereit, regulatorische Entwicklungen konstruktiv mitzugestalten und unsere Rechtsposition, wo nötig, auch gerichtlich zu vertreten“, betont eine Unternehmenssprecherin.
Die KV Niedersachsen (KVN) wiederum sieht sich vom Urteil gar nicht betroffen. Dort ist Teleclinic seit dem 1. Juli beauftragter Dienstleister für die technische Abwicklung der telemedizinischen Behandlungen im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst.
„Teleclinic bietet hier keine eigenen telemedizinischen Leistungen an, sondern stellt für die KVN die Infrastruktur für freiwillig am telemedizinischen Bereitschaftsdienst der KVN teilnehmende Vertragsärztinnen und Vertragsärzte“, erklärt die KVN auf Anfrage. Die im Urteil adressierten Problemstellungen seien deshalb für die Zusammenarbeit in Niedersachsen nicht relevant.
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