Spahn: Gesundheitswesen kann mit 1.000 Neuinfektionen am Tag umgehen

Berlin – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat nach dem jüngsten Anstieg der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 klargemacht, dass er derzeit keine kritische Schwelle überschritten sieht.
„Im Moment sind wir in jedem Fall noch in einer Größenordnung, mit der das Gesundheitswesen und der öffentliche Gesundheitsdienst umgehen kann“, sagte der CDU-Politiker gestern dem ZDF-„Heute Journal“.
„Wenn wir uns jetzt stabilisieren auf einem bestimmten Niveau, dann können wir damit umgehen. Wenn die Zahlen weiter steigen, dann kommt es auf uns alle an, im Alltag aufeinander zu achten und eben weitere Maßnahmen tatsächlich auch nicht nötig zu machen.“
Zuletzt hatte das das Robert-Koch-Institut (RKI) erstmals seit drei Monaten mehr als 1.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden registriert. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI demnach 1.147 neue Coronainfektionen innerhalb eines Tages, wie es am frühen heutigen Morgen hieß.
Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland hat damit den höchsten Wert seit Anfang Mai erreicht. Bereits gestern lagen die Neuinfektionen mit 1.045 Corona-Fällen erstmals wieder über der Schwelle von 1.000. Spahn hatte daraufhin erneut an die Bürger appelliert, die Hygieneregeln einzuhalten.
Die Schwelle von 1.000 neuen Fällen war zuletzt am 7. Mai überschritten worden. Danach war die Zahl in der Tendenz gesunken, seit Ende Juli steigen die Werte wieder. Der Höhepunkt bei den neuen Ansteckungen wurde Anfang April mit mehr als 6.000 erreicht.
Auf die Frage, ab wann wieder eine Art Lockdown notwendig wäre, unterstrich Spahn die Linie, im Fall der Fälle vor allem auf regionale Maßnahmen zu setzen. Er betonte, es gebe nicht „die eine Zahl, auf die alles reduziert werden kann“. „Es gibt den Steigerungsfaktor – also um wie viel dynamischer wird das Infektionsgeschehen? Es gibt die absolute Zahl der Infektionen. Mit um die 1.000 Neuinfektionen pro Tag kann das Gesundheitswesen umgehen.“
Rufe nach strengerem Durchgreifen
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte ein strengeres Durchgreifen gegen Menschen, die gegen die Maskenpflicht verstoßen. „Diejenigen die leichtfertig keinen Abstand halten und die Maskenpflicht ignorieren, gefährden damit auch, dass Kinder wieder in die Schule gehen und Arbeitsplätze gesichert werden können“, er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
„Das ist rücksichtlos und unverantwortlich. Dagegen müssen wir schärfer vorgehen.“ Er erwarte zum Beispiel von der Deutschen Bahn, dass sie die Maskenpflicht in ihren Zügen konsequent durchsetzt. Mehrere Bundesländer hatten zuletzt angekündigt, ihre Gangart gegen Maskenverweigerer zu verschärfen.
Mit Blick auf die gestiegenen Zahlen warnte Klingbeil: „Wenn wir nicht aufpassen, sind die Erfolge der letzten Monate im Kampf gegen Corona gefährdet.“ Alle müssten sich weiter an Maskenpflicht und Abstandsregeln halten. „Es ist im Interesse aller, dass Deutschland nicht in eine zweite Welle rutscht.“
Wiegen in falscher Sicherheit
Die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, sagte in der ZDF-Sendung „Dunja Hayali“, bisher habe Deutschland die Krise gut geschafft. „Ich glaube aber, dass wir uns in einer falschen Sicherheit im Moment wiegen, dass wir einfach die Zeit etwas aus den Augen verloren und verpasst haben.“
Sie fügte hinzu: „Alle haben geglaubt, es kommt erst im Herbst – jetzt haben wir August und die Zahlen gehen hoch.“ Die Linke-Vorsitzende Katja Kipping äußerte sich in der Sendung kritisch zur deutschen Coronapolitik: „Ich glaube, wir haben zu schnell gelockert“, sagte sie.
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck zeigte sich dagegen nicht beunruhigt von der Zahl von mehr als 1.000 Neuinfektionen an einem Tag. „Zurzeit haben wir keine wesentliche Zunahme von schweren Coronafällen auf den Intensivstationen zu verzeichnen, obwohl seit gut einer Woche die Infektionszahlen gestiegen sind“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Streeck plädierte dafür, „souveräner“ mit dem Virus umzugehen. „Wir dürfen nicht bei jedem Anstieg der Infektionszahlen in Panik geraten.“ Das Virus werde bleiben. „Das Ziel ist und war es, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, und dass jeder die bestmögliche Versorgung bekommt. Das ist ein realistisches Ziel.“
Die Krankenhäuser in Bayern sehen sich für künftige Ausbrüche gut gerüstet. „Wir haben zwar vereinzelt noch Coronapatienten, aber die Situation ist absolut beherrschbar und kein Vergleich zum Frühjahr“, sagte der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), Siegfried Hasenbein, im Interview des Münchner Merkur.
„Ich bin kein Virologe: Aber ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt eine zweite Welle kommt. Jedenfalls nicht, wenn man darunter Infektionszahlen wie im Februar und März versteht. Das ganze Krisenmanagement hat ja deutlich an Erfahrung zugelegt.“
Auch die Krankenhäuser seien besser vorbereitet. „Vieles ist besser als im Frühjahr. Und schon damals war unser Gesundheitssystem ja nicht überlastet.“ Er sei darum „vorsichtig optimistisch“ – allerdings auch besorgt, „weil die Sensibilität und das Verantwortungsbewusstsein mancher Bürger nachlässt. Wir waren im Frühjahr sehr diszipliniert. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass wir vergleichsweise glimpflich davongekommen sind“.
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