Streit um Lebertransplantationen: Uniklinik Essen erwägt Klage

Essen – Die Universitätsklinik Essen prüft juristische Schritte gegen einen Untersuchungsbericht, der ihr zahlreiche Verstöße gegen Richtlinien bei Lebertransplantationen vorwirft. „Wir erwägen eine Klage“, sagte der Ärztliche Direktor Jochen A. Werner heute in Essen. Die Klinik wies die in dem Bericht genannten Vorwürfe, in den Jahren 2012 bis 2015 „willentlich und systematisch“ gegen Regeln verstoßen zu haben, erneut „entschieden“ zurück.
Dem Bericht zufolge soll das Klinikum in dem Zeitraum Organe etwa an Krebspatienten vergeben haben, deren Tumorgröße keine Transplantation gerechtfertigt habe. Bei Patienten mit alkoholbedingter Leberzirrhose soll die vorgeschriebene sechsmonatige Alkoholabstinenz nicht eingehalten worden sein. Bei der Vergabe von minderwertigen Organen soll nicht dokumentiert worden sein, warum zunächst vorgesehene Patienten das jeweilige Organ dann doch nicht bekamen. Der Bericht benennt 33 Einzelfälle.
Den Bericht hatte die „Prüfungs- und Überwachungskommission“ (PÜK) erstellt. Sie ist ein gemeinsames Gremium von Bundesärztekammer (BÄK), Deutscher Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband. Der Rechtsbeistand der Uniklinik, Martin Rehborn, sprach der Kommission ihre Legitimation ab. Das Transplantationsgesetz kenne keine PÜK.
Auch inhaltlich wies Rehborn die meisten Vorwürfe zurück. So habe etwa im Fall der Krebspatienten ein führender Radiologe nach einer Begutachtung der Untersuchungsbilder in allen Fällen bestätigt, dass sich die Tumore innerhalb der Richtlinien befunden hätten. Bei der Vorschrift einer sechsmonatigen Alkoholabstinenz sprach der Jurist von verfassungsrechtlichen Bedenken. Rehborn räumte Dokumentationsmängel im Fall der Vergabe von minderwertigen Organen ein. Die Mängel seien jedoch mittlerweile behoben.
Kritik am Transplantationsgesetz
Der Kölner Staatsrechtler Wolfram Höfling kritisierte das Transplantationsgesetz und sprach von einer „systematischen Fehlkonstruktion“. Das Gesetz lege fest, dass die Bundesärztekammer als eine privatrechtlich organisierte Institution die Regeln der Organverteilung aufstelle. Die Bundesärztekammer maße sich eine Entscheidung über Leben und Tod an.
Die Zuteilung von Lebenschancen sei jedoch keine Aufgabe der Selbstverwaltung, „sondern betrifft existenzielle Grundrechtspositionen schwerkranker Menschen“. Der Gesetzgeber sei dringend aufgerufen, die wesentlichen Grundfragen selbst zu beantworten. Höfling hatte für den Vorstand der Uniklinik ein 100-seitiges Rechtsgutachten im Zusammenhang mit dem Untersuchungsbericht erstellt.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) erklärte auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes (DÄ), dass es richtig und wichtig gewesen sei, die Kontrollen mit der Änderung des Transplantationsgesetzes von 2013 erheblich zu verschärfen. Dies werde gerade dadurch untermauert, dass Unregelmäßigkeiten schnell ans Licht kämen.
BMG: Keine Zweifel an Legitimität der Prüfkommission
Ein Ministeriumssprecher verwies zudem darauf, dass über die Legitimation der Prüfkommission keine Zweifel bestünden. „Die nach dem Transplantationsgesetz legitimierte Prüfungskommission als ein gemeinsames Gremium aus GKV-Spitzenverband, Deutscher Krankenhausgesellschaft und Bundesärztekammer, hat den gesetzlichen Auftrag, Unregelmäßigkeiten zu ermitteln und an die zuständigen Behörden weiterzuleiten“, erklärte er. Wichtig sei, dass die Aufsichtsbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte, die Vorwürfe nun zügig bewerteten und die gegebenenfalls aufsichtsrechtliche Maßnahmen und/oder Ermittlungsverfahren einleiteten.
Der Sprecher machte auch deutlich, was das BMG von den Ärzten erwartet. „Das Bundesministerium für Gesundheit erwartet von allen am Transplantationsgeschehen Beteiligten, dass geltende Regeln strikt eingehalten werden“, sagte er. Das gelte auch für die Beachtung der Richtlinien der Bundesärztekammer zur Wartelistenführung und Transplantation. Wer bereit sei, seine Organe nach dem eigenen Tode zu spenden, müsse darauf vertrauen dürfen, dass sie regelgerecht – nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit – vergeben werden, hieß es aus dem Ministerium.
Kommission sieht Klage gelassen entgegen
Die Vorsitzende der Prüfungskommission, Anne-Gret Rinder, erklärte heute auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts, sie sehe einer möglichen Klage gelassen entgegen. Den Vorwurf, die Kommission sei nicht legitimiert, weist sie zurück. Diese sei explizit im Transplantationsgesetz verankert. Darüber hinaus hätten Bundesgesundheitsministerium, Länder und Selbstverwaltung im Zuge des Transplantationsskandals in Göttingen im August 2012 vereinbart, dass die Kommission sämtliche Transplantationen fortlaufend überprüfen soll. „Wir prüfen nicht freischwebend im Raum“, erklärte Rinder.
Dass die Unregelmäßigkeiten in Essen eine Verschärfung der Gesetzgebung nötig machen, glaubt sie unterdessen nicht. „Unsere Erfahrungen mit den bisherigen Prüfverfahren sind sehr positiv“, sagte die Vorsitzende der Prüfungskommission. Zudem seien alle anderen bisherigen Prüfungen der Lebentransplantationsprogramme in der zweiten Prüftranche von 2012 bis 2015 ohne Beanstandungen gewesen. Verstöße einzelner Zentren seien nie auszuschließen, betonte Rinder. Sie verwies aber zugleich darauf, dass auch in Essen Lungen-, Nieren-, Herz- und Pankreas-Transplantationen ordnungsgemäß verlaufen seien.
Recht auf Aufklärung
Zur Frage, ob tatsächlich Regelverstöße vorliegen, forderte die Deutsche Stiftung Patientenschutz Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Essen. „Diese Klärung ist von höchster Dringlichkeit. Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Schwerstkranken haben ein Recht auf Aufklärung“, sagte Vorstand Eugen Brysch.
Nach Verstößen gegen Transplantationsrichtlinien, die bisher allesamt in den Jahren bis 2012 und damit vor Verschärfungen des Transplantationsgesetzes im Jahr 2013 durch den Gesetzgeber auffielen, ist der Vorfall in Essen das erste Mal, dass nach den Reformen Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: