Göttinger Transplantationsprozess: Bundesgerichtshof bestätigt Freispruch für Chirurgen

Leipzig – Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Freispruch eines Arztes im Göttinger Transplantationsprozess bestätigt. Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig verwarf heute die Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Landgerichts Göttingen (Az.: 6 Ks 4/13). Diese hatte eine Verurteilung des angesehenen Transplantationsmediziners wegen versuchten Totschlags gefordert. Durch Manipulationen medizinischer Daten hatte der Arzt seine Patienten auf den Wartelisten für eine Spenderleber vorrücken können.
Konkret hatte der Mediziner in sechs Fällen falsche Angaben über angebliche Therapien seiner Patienten gemacht. In zwei Fällen hatte er die Aufnahme von alkoholkranken Patienten in die Warteliste bewirkt, obwohl sie die von der Bundesärztekammer damals geforderte Alkoholabstinenz von sechs Monaten nicht eingehalten hatten. Beide Patienten hätten aber nach Darstellung des Landgerichts die vorgeschriebene Abstinenzzeit ohne Transplantation nicht überlebt.
Im Mai 2015 sprach das Landgericht Göttingen den Mediziner nach 20 Monaten Prozessdauer trotz der Verfehlungen frei. Es sei nicht erwiesen, dass die falschen Angaben andere Patienten das Leben gekostet hätten. Darüber hinaus seien die Verstöße des damals 47-jährigen Mediziners gegen Richtlinien der Bundesärztekammer zum Tatzeitpunkt nicht strafbar gewesen – ein Freispruch zweiter Klasse also. Mit Blick auf drei von dem Arzt durchgeführten Transplantationen mit Todesfolge erklärte das Gericht, in allen drei Fällen sei die Transplantation eine vertretbare Behandlung gewesen.
Beweislage nicht ausreichend
Dieses Urteil bestätigten die Leipziger Richter jetzt in letzter Instanz. Dem „im Transplantationswesen versierten“ Angeklagten könne nicht nachgewiesen werden, dass er den Tod der durch die Manipulationen benachteiligten Menschen oder eine Verschlechterung ihres Zustandes bewusst einkalkuliert habe, hieß es.
Über den individuellen Fall hinaus könnte das Urteil Folgen für die Transplantationsmedizin haben. Wie die Göttinger äußerten auch die Leipziger Richter Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Richtlinien der Bundesärztekammer zur Verteilung der Organe. Denn der Vorsitzende Richter am Landgericht Göttingen hatte in seinem Urteil betont, er halte es grundsätzlich für verfassungswidrig, dass Alkoholikern pauschal lebensrettende Organe verwehrt blieben. Auch die Leipziger Richter erklärten, es gebe keine gesetzliche Grundlage für die Vorgabe, dass Alkoholkranke sechs Monate „trocken“ gewesen sein müssen, um auf die Warteliste für eine Leber zu kommen.
Rückwärtsgewandte Betrachtung
Soweit der BGH zur Alkoholkarenzzeit Stellung genommen hat, erklärte Hans Lilie, Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer (BÄK), es handele sich um eine „rückwärtsgewandte Betrachtung, da diese Vorschrift heute anders aussieht“.
Er verwies darauf, dass die Richtlinie 2015 geändert worden sei. Seitdem sei eine Ausnahme von der Einhaltung der sechsmonatigen Frist möglich. Eine Kommission könne prüfen und entscheiden, ob vor Ablauf der Sechsmonatsfrist eine Aufnahme auf die Warteliste möglich sei.
Lilie stellte zudem klar, dass die Verstöße des Göttinger Arztes nach heutigem Recht strafbar gewesen wären. Im heutigen Transplantationsgesetz (TPG) sei in Paragraf 19 Absatz 2a geregelt, dass eine Manipulation in der Dokumentation zur Strafbarkeit führe. Dies könne mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe geahndet werden.
Dennoch ruft Lilie den Gesetzgeber auf, einen wichtigen Aspekt im Gesetz nachzubessern. „Es wäre gut, wenn im TPG klargestellt würde, dass Verstöße gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer für Körperverletzungsdelikte strafbewehrt sind“, so Lilie. Eine Körperverletzung müsste bei den Delikten immer gegeben sein, weil Patienten, die auf der Warteliste nach hinten geschoben würden, länger leiden müssten, sagte der Kommissionsvorsitzende.
Unterdessen hat sich heute auch der Gesundheitsausschuss des Bundestags mit den nach wie vor geringen Zahlen an Organspendern befasst. Grundlage waren die zurückliegenden drei Berichte der Bundesregierung „über den Fortgang der eingeleiteten Reformprozesse, mögliche Missstände und sonstige aktuelle Entwicklungen in der Transplantationsmedizin“.
Gesundheits-Staatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU) berichtete, die Zahl der Organspenden sei „niedrig, aber stabil“ und bewege sich weiter unter dem Niveau des Jahres 2012, als der Organspendenskandal bekannt wurde. Damals waren an mehreren Kliniken in Deutschland Daten manipuliert worden, um Patienten bei der Vergabe von Spenderorganen zu bevorzugen. Seither ging die Zahl der Organspender deutlich zurück.
Nach Angaben Fischbachs kommt es vereinzelt zu Unregelmäßigkeiten an Transplantationszentren. Die große Mehrheit halte sich aber an die Regeln, fügte sie hinzu. Das System der Organspende sei durch die seit 2012 eingeleiteten Reformen gestärkt worden und biete heute mehr Transparenz. So wurden 2012 mit einer Neuregelung des Transplantationsgesetzes (TPG) die Kontrollen verbessert. Ferner wurde eine Vertrauensstelle eingerichtet, um Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten nachzugehen.
Kliniken müssen besser aufklären
Gleichwohl müsse der Reformprozess weitergehen, sagte die Staatssekretärin in Anspielung auf die viel zu wenigen verfügbaren Spenderorgane und die lange Liste an Patienten, die auf eine Spende warten. So wäre es auch wünschenswert, wenn die Klinikärzte stärker über Organspenden aufklären würden. Ein „positiver Blick“ auf die Organspende könne allerdings nur mit Hilfe aller gesellschaftlichen Gruppen gelingen, sagte Fischbach.
Wie aus dem jüngsten Regierungsbericht über die Entwicklung in der Transplantationsmedizin hervorgeht, wurden 2015 877 postmortale Organspender registriert. Die Zahl der gespendeten Organe lag 2015 bei 2.901, das ist ein Rückgang um 2,9 Prozent gegenüber 2014. Mit weitem Abstand am häufigsten gespendet wurden Nieren (1.521), gefolgt von Leber (730), Herz (278) und Lunge (270). Wie aus dem Bericht weiter hervorgeht, standen nach Angaben von Eurotransplant (ET) Ende August 2016 in Deutschland noch 10.193 Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan.
2016 hat der Bundestag die Einrichtung eines Transplantationsregisters beschlossen, um die Organspendenpraxis effizienter und transparenter zu machen. Dies soll nach Skandalen mit manipulierten Wartelisten auch neues Vertrauen schaffen. In dem Register werden Angaben über Organspender, Spenderorgan, Organempfänger, und das Vermittlungsverfahren zentral gespeichert.
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