Ausland

Streit um Zugang zu Abtreibungspillen in den USA eskaliert

  • Freitag, 10. März 2023
/picture alliance, AA, Fatih Aktas
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Washington – Anfang der Woche platzte dem Gouverneur von Kalifornien der Kragen. Sein Staat werde „nicht zusehen, wie sich Unternehmen vor Extremisten wegducken und den kritischen Zugang zu reproduktiven Ge­sundheitsdiensten und Freiheiten abschneiden“, schimpfte der Demokrat Gavin Newsom bei der Ankündigung erster Strafmaßnahmen gegen die Apothekenmarktkette Walgreens.

Die Apothekenmarktkette verliert einen Vertrag mit Kalifornien im Wert von 54 Millionen Dollar, weil sie in mindestens 20 anderen Bundesstaaten Medikamente zum Schwangerschaftsabbruch nicht vertreiben will. Weitere Sanktionen könnten folgen.

Unter Hinweis darauf, dass Kalifornien eine der weltweit größten Volkswirtschaften habe, drohte Newsom damit, „unsere Marktmacht zu benutzen, um das Selbstbe­stimmungsrecht der Frauen zu verteidigen“.

Der Konzern zeigte sich „tief enttäuscht“ über die Entscheidung und bekräftigte seine Bereitschaft, nach Vor­liegen der nötigen Zertifizierung durch die Medika­mentenaufsicht FDA mit der Abgabe der Präparate zum Schwangerschaftsabbruch zu beginnen. „Wir halten uns an die Staats- und Bundesgesetze“, erklärte ein Un­ternehmenssprecher.

Und die gleichen einem Flickenteppich, seit das Oberste Gericht im Juni vergangenen Jahres das ein halbes Jahrhundert geltende Abtreibungsrecht über den Haufen geworfen hatte. Damit trat automatisch der Status quo aus der Zeit vor dem Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ von 1973 wieder in Kraft: Mangels einer nationalen Gesetzgebung fiel die Zuständigkeit nun automatisch den 50 Bundesstaaten zu.

In 13 republikanisch regierten Bundesstaaten gelten fast vollständige Verbote von Schwangerschaftsab­brü­chen; sogar ohne Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest. Noch einmal so viele Staaten bewegen sich in diese Richtung. Hingegen ist in 16 demokratisch regierten Bundesstaaten der legale Zugang zu Schwanger­schaftsabbrüchen gesetzlich verankert.

Zulassung und Vertriebswege von Medikamenten für Abbrüche werden dagegen von der US-Regierung kon­trolliert. Weshalb das Weiße Haus Druck auf die FDA ausübte, die Abgabe der Pillen zu erleichtern. Das Justiz­ministerium verschickte im Dezember des vergangenen Jahres ein Memorandum, in dem es klarstellt, dass der Versand von Medikamenten durch die Post landesweit möglich sei, solange diese das Gütesiegel der FDA haben.

Während der Pandemie ließ die Behörde bereits die Vorschrift fallen, dass die Pillen unter telemedizinischer Aufsicht eingenommen werden müssen. Laut Guttmacher Institute stieg der Anteil der medikamentös einge­leiteten Abbrüche 2020 auf 54 Prozent. Die US-Regierung machte den Weg frei, dass die Medikamente nun auch direkt in den Apotheken abgegeben werden dürfen.

Die fanden sich plötzlich zwischen allen Stühlen wieder. Während das Weiße Hauses versucht, den Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen in den USA nach dem Ende von „Roe vs. Wade“ landesweit zu garantie­ren, drohten 20 Justizminister aus republikanisch geführten Staaten mit Konsequenzen bei Verstößen gegen die örtlichen Gesetze.

In den USA gibt es bei den Apotheken nur noch wenige Familienbetriebe. Kontrolliert wird der Markt von großen Ketten wie Costco, CVS, RiteAide, Walmart, und Walgreens. Die Lage ist rechtlich so verworren, dass die Ketten Risiken eingehen, egal, wie sie sich positionieren.

Die Medikamente bleiben in jedem Fall verschreibungspflichtig. Nach den neuen Regeln der FDA können Frauen den Abbruch zu Hause vornehmen. Zunächst nehmen sie dafür das Medikament „Mifepristone“ ein. 24 bis 48 Stunden später muss dann zur sicheren Beendigung der Schwangerschaft das Präparat „Misoprostol“ eingenommen werden. Beide Pillen sind von der FDA vor 23 Jahren als „sicher“ eingestuft worden.

In absehbarer Zeit könnte sich die Rechtslage aber wieder ändern. Der Bundesrichter in Texas, Matthew Kacsmaryk, der seine Berufung Donald Trump verdankt, muss darüber entscheiden, ob die Zulassung der Medikamente durch die FDA vor zwei Jahrzehnten rechtens war.

Sollte er dies verneinen, hat sich der Streit vorläufig erledigt. Dann wären die Pillen nicht nur in den repu­blikanisch geführten Bundesstaaten nicht verfügbar, sondern auch überall sonst verboten. Mindestens, solange keine andere Gerichtsinstanz einschreitet.

kna

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