Ärzteschaft

Tarifeinheit: Verfassungsrechtler hält Koalitionspläne für grundgesetzwidrig

  • Freitag, 5. September 2014
Uploaded: 05.09.2014 14:56:46 by mis
Udo Di Fabio dpa

Berlin – Eine Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip, wie sie die schwarz-rote Koalition anstrebt, ist verfassungswidrig. Diese Auffassung vertritt der Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Bonn und ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Udo Di Fabio in einem vom Marburger Bund (MB) in Auftrag gegebenen Gutachten.

In Deutschland gebe es kein Gesetz, das den Arbeitskampf und die Tarifordnung regelt, sagte Di Fabio heute bei der Präsentation des Gutachtens in Berlin. Dies sei deshalb nicht ungewöhnlich, weil das Grundgesetz im Artikel 9, Absatz 3 den Tarifvertrags­parteien genau diese Aufgabe gegeben habe – eine von den Verfassungsgebern gewollte Selbstregulation staatsfreier Art. Weil die Koalitionspartner stets eine große Verantwortung bei Tarifauseinandersetzungen an den Tag gelegt hätten, sei man in Deutschland mit dieser Regelung auch immer gut gefahren.

„Selbst in Notlagen darf der Staat nicht gegen Arbeitskämpfe vorgehen“
Die Verfassung gehe schon im Wortlaut „selbstverständlich“ davon aus, dass es nicht nur Branchen-, sondern auch Berufsgewerkschaften geben könne, sagte Di Fabio. Wenn nun diese Berufsgewerkschaften in der Wirklichkeit ihre Tarifmächtigkeit erstritten hätten, wie der Marburger Bund in den Jahren 2005 und 2006, dann stehe es dem Staat gemäß Verfassung nicht zu, ihnen diese wieder zu nehmen. Selbst in Notlagen, und hier sei der Verfassungstext ungewöhnlich präzise, dürfe der Staat nicht gegen Arbeitskampf­maßnahmen vorgehen.

„Wenn nun der Arbeitskampf als Herzstück der Koalitionsfreiheit so geschützt ist, darf man die kleineren Gewerkschaften durch eine gesetzlich auferlegte Tarifeinheit nicht um ihre Tariffähigkeit bringen“, betonte Di Fabio. Denn dies wäre ein „Eingriff in den Kernbereich des Grundrechts“. Um einen solchen vorzunehmen, bräuchte der Staat „schwerwiegende Gründe“. Diese lägen jedoch nicht vor, da den Erfahrungen in Deutschland zufolge Arbeitskampfmaßnahmen lästig sein könnten, wie im Falle von Bahn- oder Pilotenstreiks, jedoch nicht schwerwiegend.

Ein Stückweit seien Arbeitskampfmaßnahmen „ein Preis der Freiheit“, so Di Fabio. „Aber ich kann nicht erkennen, dass ein Missbrauch dieser Freiheit vorliegt.“ Wenn aber noch nicht einmal ein Missbrauch zu erkennen sei, sei ein so tiefer Eingriff in das Grundgesetz verfassungsrechtlich nicht gestattet. Im Übrigen sei der Koalitionsvertrag kein sakrales Werk, das bedeutsamer sei als die Verfassung.

Henke: Angestellte Ärzte werden Einschränkung ihrer Rechte nicht hinnehmen
Der 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, bezeichnete eine Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip als „einen Frontalangriff auf die gewerk­schaftliche Existenz“. Der MB mache als Gewerkschaft von seinem Recht Gebrauch, das ihm die Verfassung garantiere. Wenn man das nicht mehr dürfte, wäre es so ähnlich, als schaffe man die Pluralität der Medien ab und erlaube nur noch die Publikation einer Zeitung. „Die anderen dürften dann zwar noch schreiben, aber nicht mehr publizieren“, sagte Henke.   

Es gehöre zum Wesen der Koalitionsfreiheit, dass Menschen zwischen verschiedenen Gewerkschaften wählen könnten, so der MB-Vorsitzende. Der Staat habe nicht das geringste Recht, den Arbeitnehmern eine Gewerkschaft vorzugeben. So etwas sei mit einer freiheitlichen Ordnung nicht vereinbar.

„Die angestellten Ärzte werden eine Einschränkung ihrer Rechte nicht hinnehmen“, stellte Henke klar. „Durch das Gutachten fühlen wir uns ermuntert, uns gegebenenfalls verfassungsrechtlich gegen eine solche Einschränkung zu wehren.“ Er sei jedoch zuver­sichtlich, dass die Koalition ihre Aussage aus dem Koalitionsvertrag ernst nehme und verfassungsrechtliche Belange berücksichtige. Da dies mit dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip nicht vereinbar sei, werde es kein entsprechendes Gesetz geben.

fos

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