Ärzteschaft

„Die Ankündigung des Tarifeinheits­gesetzes erschwert die Verhandlungen der Lokführer und der Piloten massiv“

  • Montag, 20. Oktober 2014

Berlin – Laut Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD will die Bundesregierung den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem „betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip“ gesetzlich festschreiben, um den „Koalitions- und Tarifpluralismus“ in Deutschland in geordnete Bahnen zu lenken. Anfang November soll ein erster Gesetzentwurf vorliegen. Der Marburger Bund, die Gewerkschaft der Ärztinnen und Ärzte, fürchtet um sein eigenständiges Streikrecht.

Uploaded: 07.03.2014 17:37:44 by mis
Rudolf-Henke

5 Fragen an… Rudolf Henke, Erster Vorsitzender des Marburger Bundes

DÄ: Die Republik steht still, weil Piloten und Lokomo­tivführer fast zeitgleich streiken. Haben Sie Verständnis für diese Arbeitskampfmaßnahmen?
Rudolf Henke: Natürlich haben die Streiks Auswir­kungen auf den laufenden Betrieb. Das ist unver­meidlich, wenn Tarifverhandlungen zu keinem Ergebnis führen. Aber von Stillstand der Republik kann keine Rede sein. Und natürlich wäre die Bahn viel beweg­licher, wenn sie nicht ständig auf die befohlene Tarifeinheit hoffen würde. Die Ankündigung des Tarifeinheitsgesetzes erschwert die Verhandlungen der Lokführer und der Piloten massiv.

DÄ: Inwiefern spielen Ihrer Ansicht nach die Streiks der beiden Berufsgewerkschaften Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles in die Hände, die ja bekanntlich den Grundsatz „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ gesetzlichen fixieren will?
Henke: Es stimmt schon, dass die Streiks manchen Befürwortern einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit gerade recht kamen. So hat ja die Bundesarbeitsministerin vor dem Bundestag davon gesprochen, dass Spartengewerkschaften die Axt an die Wurzeln der Tarifautonomie legen würden. Damit hat Frau Nahles ein sehr eigenwilliges Verständ­nis von Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit offenbart. Tariffähige Berufsgewerkschaften haben das gleiche Recht, eigenständig Tarifverträge zu schließen und notfalls auch zu streiken, wie die Branchengewerkschaften im DGB. Da ist unsere Verfassung glasklar.

DÄ: Anfang November soll ein erster Referentenentwurf für das Tarifeinheitsgesetz vorliegen. Wie man hört, enthält dieser nicht den besonders umstrittenen Passus, wonach während der Laufzeit des Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft keine Gewerkschaft im Betrieb zum Streik aufrufen darf. Hieße das, dass der Marburger Bund künftig doch in den Krankenhäusern Arbeitskampfmaßnahmen einleiten dürfte, während Verdi in der Friedenspflicht ist?
Henke: Nein. Wenn nur der Mehrheitstarif gültig ist, dann ist es egal, was über Streiks im Gesetz steht. Ein Arbeitskampf darf sich nach oberster Rechtsprechung immer nur auf die Durchsetzung eines tariflich regelbaren Ziels richten, also den Abschluss eines Tarifvertrages. Wenn wir das Tarifdiktat nach dem Mehrheitsprinzip bekommen, dann kann der Tarifvertrag der stärker spezialisierten Minderheit nicht mehr wirksam werden. Ein Aufruf zu Arbeitskampfmaßnahmen wäre dann grob rechtswidrig.

DÄ: Der Marburger Bund will gegen das Tarifeinheitsgesetz Verfassungsklage einlegen, sobald es in Kraft getreten ist. Wie ist die Rechtslage zwischen Inkrafttreten des Gesetzes und Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts: Dürfte der Marburger Bund in dieser Übergangszeit die Klinikärzte zu Streiks aufrufen?
Henke: Das wissen wir nicht und darauf kommt es auch nicht an. Es geht uns als Marburger Bund ja nicht primär ums Streiken, sondern um arztspezifische Tarifpolitik. Streik ist dabei immer nur das letzte Mittel, von dem wir im Übrigen bislang recht sparsam Gebrauch gemacht haben. Klar ist aber auch, dass Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik auf kollektives Betteln hinauslaufen. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass der MB auch unter den Rahmenbedingungen eines Gesetzes in der Lage bleibt, effektiv arztspezifische Tarifpolitik zu betreiben. Es kann gut sein, dass die Befürworter des Tarifdiktats hier noch böse Überraschungen erleben. Für alles Weitere muss man den Wortlaut des Gesetzes kennen.

DÄ: Angenommen, der Marburger Bund verliert tatsächlich sein eigenständiges Streik­recht. Gibt es für dieses Worst-Case-Szenario Pläne, aus der Ärztegewerkschaft Marburger Bund eine Krankenhausgewerkschaft zu formen und so in den Kranken­häusern zur „Mehrheitsgewerkschaft“ zu werden?
Henke: Wir prüfen sehr sorgfältig alle denkbaren Handlungsoptionen. Eines kann ich aber schon jetzt ausschließen: Wir werden uns nicht unter das Tarifkommando einer anderen Gewerkschaft begeben. Das hatten wir bis 2005, damit ist es vorbei. Warten wir mal, wieviel dem Gesetzgeber die Verfassung wert ist. Ein Gesetz ohne Ausweg wäre nicht nur ein Angriff auf uns Ärzte, sondern auf alle Berufe, auch auf die Pflege.

JF

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