Telefonseelsorge wirbt für sensiblen Umgang mit Suizidgefahr

Bonn – Die Telefonseelsorge dringt auf einen sensiblen Umgang mit dem Thema Suizidgefahr. Auf der Homepage www.telefonseelsorge.de soll anlässlich des Welttags der Suizidprävention am 10. September eine Blogparade zum Thema „Suizidprävention“ stattfinden, wie die Telefonseelsorge heute in Bonn mitteilte. Bis 17. September können Blogger einen thematisch passenden Beitrag einreichen „und auf diese Weise zur Sensibilisierung beitragen“.
Eine Blogparade ist eine Aktion, bei der Blogger Beiträge zu einem vorgegeben Thema verfassen. Die vielfältigen Ansätze von Bloggern könnten „am besten spiegeln, wie unterschiedlich Präventivmaßnahmen gestaltet sein können, um für eine suizidale Person richtig zu sein“, sagte die Vorsitzende der Evangelischen Konferenz für Telefonseelsorge und Offene Tür, Ruth Belzner. Blogger genössen ein hohes Vertrauen bei ihrer Leserschaft und könnten Betroffene sehr gezielt erreichen. Zugleich solle die Aktion eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen, hieß es. „Wir erhoffen uns, auf diese Weise Verständnis und zugleich Hilfestellung für Betroffene und ihre Angehörigen zu erzeugen“, so Belzner.
Präsentes mediales Thema
Das Tabuthema Suizid war zuletzt in der Öffentlichkeit stärker präsent. Für eine breite Debatte sorgte der Serienstart von „Tote Mädchen lügen nicht“ bei Netflix. Die Hauptfigur Hannah hat sich das Leben genommen und erzählt in Rückblicken, wie es dazu kam. Auf Kritik stieß besonders eine dreiminütige Sequenz, in der die 17-Jährige ihr Leben beendet. Die Serienmacher erklärten nach Kritik, sie hätten die Schonungslosigkeit dieses finalen Schritts bewusst zeigen wollen – um abzuschrecken.
Ein „unsinniges Argument“, meinte Armin Schmidtke. Der Psychologe leitet die AG Primärprävention beim Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro). Je mehr Details geschildert würden und je sympathischer das Modell sei, desto mehr würden dadurch weitere Suizide gefördert, sagt er. Kürzlich wurde jedenfalls bekannt, dass die Google-Suchanfragen zum Thema Suizid vor und nach der Veröffentlichung der Serie anstiegen.
Problemfeld „soziale Medien“
Probleme sehen die Experten weniger im Bereich der klassischen Medien. Vielmehr werde Suizid in sozialen Medien romantisiert, sagt Schmidtke, Suizidarten und -methoden würden dort detailliert beschrieben. Unter jungen Menschen verbreite sich die Ansicht, der Tod sei etwas Schönes. Auch häuften sich Fälle von Jugendlichen, die auf Schienen spazieren gingen und dort teils Selfies aufnähmen. „Ob es sich um Unfälle oder um Suizide handelt, wenn sie um Leben kommen, wurde noch nicht untersucht“, so der Experte.
Jugendschützer bestätigen, dass in Blogs, Foren und sozialen Medien häufig Inhalte zu finden seien, die Suizide „verharmlosen oder idealisieren“. Laut jugendschutz.net, dem gemeinsamen Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet, ist beim Fotodienst Instagram das Risiko besonders hoch, mit solchen Inhalten konfrontiert zu werden. Viele Kinder und Jugendliche haderten mit ihrem Selbstbild, so die Jugendschützer. In solch heiklen Phasen könnten „verharmlosende, beschönigende oder idealisierende Darstellungen die Hemmschwelle senken“.
38 Prozent der rund 450 Angebote, die jugendschutz.net zuletzt untersuchte, verharmlosten oder propagierten den Angaben zufolge den Suizid. Online äußern demnach schon Zehnjährige Suizidgedanken oder berichteten über versuchte Selbsttötungen. Die Betreiber der betreffenden Plattformen reagierten zögerlich, hieß es. Beiträge mit Suizidbezügen seien nach Hinweisen nur zu 30 Prozent gelöscht worden. Zugleich wandelten Nutzer die Schreibweise häufig genutzter Szenebegriffe immer wieder ab, um Sperrungen zu umgehen – so werde aus dem Schlagwort #selfharm (deutsch: Selbstverletzung) beispielsweise #selfharmm. Seit dem Frühjahr gibt es bei Facebook Live-Beratung per Chat und Hilfsangebote für betroffene Freunde und Familienangehörige.
Der Versuch, einen Suizid in einem Film oder einer Serie künstlerisch darzustellen, ist aus Schmidtkes Sicht ähnlich problematisch. Neben der expliziten Suizidszene in „Tote Mädchen lügen nicht“ stört ihn vor allem, dass die Hauptfigur ihre Geschichte mittels Kassetten selbst erzählt – und die anderen Figuren aufrütteln möchte. „Die Motivation ,das geschieht ihnen recht’ ist unter Jugendlichen verbreitet“, so der Experte. Der Eindruck, dass das funktioniere, sei fatal. Und falsch. „Tot ist tot“, sagte Schmidtke. Dieser Schritt sei niemals rückgängig zu machen.
Papageno-Effekt
Daher empfehlen NaSPro, jugendschutz.net und die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention, Suizide niemals zu bewerten. Dies könne schon durch Mitleid schneller geschehen als gedacht, etwa durch eine Formulierung wie „Sie sind nun ewig vereint“. Wenn sich Schüler das Leben nehmen, raten die Experten neuerdings eher zu „kleinen“ Gedenkfeiern. „Sonst kann einem anderen Schüler schnell der Gedanke kommen, oh, so eine schöne Feier soll es auch für mich geben“, erklärte Schmidtke.
Einen positiven Tipp hat der Mannheimer Alternsforscher Uwe Sperling. Analog zum Werther-Effekt, nach dem Berichte über Suizide Nachahmer provozieren können, gebe es den Papageno-Effekt. Wenn Medien etwa darüber berichten, wie jemand in einer schwierigen Situation wieder ins Leben finden konnte, „dann kann das andere ermutigen“.
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