Ukraine: Helfer wollen trotz russischer Angriffe Arbeit fortsetzen

Kiew – Nach den russischen Raketenangriffen auf Kiew und andere ukrainische Großstädte hat eine führende Hilfsorganisation kurzzeitig ihre dortigen Einsätze unterbrochen. Andere Hilfsorganisationen teilten mit, ihre Hilfen sollen ohne Unterbrechung weitergehen.
Der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) habe Mitarbeiter in mehreren der Städte, die gestern angegriffen worden seien, erklärte NRC-Generalsekretär Jan Egeland mit. Man stelle die Hilfseinsätze so lange ein, bis es sicher sei, sie fortzusetzen. Gestern am frühen Abend schrieb Egeland auf Twitter, man hoffe, die humanitäre Arbeit bereits heute wiederaufnehmen zu können. Man befinde sich in einem Wettlauf gegen einen kalten Winter.
Man könne gefährdeten Menschen nicht helfen, „wenn sich unsere Helfer vor einem Bombenhagel verstecken und wiederholte Angriffe fürchten“, hatte Egeland zuvor in einer NRC-Mitteilung erklärt. Zivilisten zu schützen und sie sicher mit humanitären Hilfsgütern erreichen zu können, sei das vorrangige Anliegen des NRC.
Egeland forderte alle Kriegsparteien auf, dies möglich zu machen. „Wieder einmal zahlen gewöhnliche Leute den höchsten Preis für diesen Krieg. Die Konfliktparteien sollten keine Erinnerung daran benötigen, dass Zivilisten und zivile Infrastruktur niemals ein Ziel sein sollten“, so Egeland.
Das Medikamentenhilfswerk Action Medeor hat seine Hilfslieferungen ohne Unterbrechung fortgesetzt. „Nach Rücksprache mit unseren Partnern werden wir Krankenhäuser und Flüchtlingseinrichtungen in der Ukraine wie bisher weiter beliefern. Die humanitäre Arbeit wird fortgeführt“, erklärte Vorstandssprecher Sid Peruvemba in Tönisvorst bei Krefeld.
Die „Notapotheke der Welt“ hat nach eigenen Angaben seit Kriegsbeginn rund 120 Lieferungen mit Arzneimitteln, medizinischem Material und medizintechnischem Gerät in die Ukraine gebracht; auch an Einrichtungen in den jetzt von Raketenangriffen betroffenen Städten Lviv, Ternopil, Kiew und Ivano-Frankivsk. „Wir halten die Lieferungen auch weiterhin für verantwortbar, mögliche Anpassungen werden wir flexibel je nach Sicherheitslage vornehmen“, so Peruvemba.
Die Hilfstransporte würden von Deutschland in der Regel auf Lkw Richtung Ukraine gebracht und dann auf weniger auffällige Kleintransporter umgepackt, die sicherer vor Angriffen seien. Vor Ort kooperiert das 1964 gegründete Hilfswerk mit verschiedenen Partnern wie Logistikern, Krankenhäusern, Apotheken und lokalen Hilfsorganisationen.
„Unter anderem haben wir verschiedene Krankenhäuser mit mobilen Ultraschall- und Röntgengeräten versorgt, die man zur Not auch im Luftschutzkeller einsetzen kann“, sagte Vorstandssprecher Peruvemba. Selbst OP-Tische, Betten und sogar ganze Krankenwagen habe Action Medeor schon auf die Reise gegeben.
Das Hilfswerk habe eine Versorgungslinie über die westukrainische Stadt Ternopil aufgebaut, wo es zusammen mit einer lokalen Partnerorganisation ein Verteilzentrum für medizinische Hilfsgüter errichtete, das Krankenhäuser im ganzen Land beliefert.
Ein zweiter Weg der Hilfe wurde in Moldawien und in der Region Odessa errichtet, wo Action Medeor demnach geflüchtete Familien, eine Sozialapotheke und mehrere regionale Krankenhäuser unterstützt.
Darüber hinaus gebe es zunehmend Einzeltransporte, weil sich immer mehr Krankenhäuser aus allen Landesteilen der Ukraine direkt an Action Medeor wendeten, um mit Medikamenten, Verbandsstoffen, medizinischer Ausrüstung und technischen Geräten versorgt zu werden, so das Hilfswerk.
Auch die Malteser arbeiten weiter, wie die Organisation heute erklärte. In der Stadt Lviv, in der die Zentrale der ukrainischen Malteser ist, war zeitweise die Wasser- und Stromversorgung ausgefallen sowie die Telekommunikation unterbrochen, nachdem ein Wärmekraftwerk bombardiert wurde.
„Trotz der Angriffe muss unsere Hilfe weitergehen. Die Luftangriffe sind eine schwere Belastung für unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort, weil sie die Sicherheitslage, die in der Westukraine in den letzten Monaten relativ stabil war, massiv verschlechtern“, sagte Janine Lietmeyer, Programmdirektorin von Malteser International.
Die Koordinierung der Hilfslieferungen für die Winterhilfe erfolgt von Lviv aus. Lietmeyer betonte, man habe zum Beispiel Generatoren beschafft, die in den Osten des Landes gebracht würden, damit die Menschen auch ohne reguläre Stromversorgung Heizstrahler oder Öfen betreiben könnten, wenn die Temperaturen immer weiter fallen würden.
Neben Generatoren werden Öfen, solarbetriebene Powerbanks, LED-Lampen, Isoliermaterial, Schlafsäcke, Decken, haltbare Lebensmittel und warme Kleidung in den Osten des Landes geliefert. Die erneuten landesweiten Angriffe erschweren die Arbeit der vielen zum Teil ehrenamtlichen Helfer enorm.
„Ich bin zutiefst beeindruckt von der Kraft und der Motivation unserer Kolleginnen und Kollegen in Lviv, die sich auch jetzt nicht bremsen lassen, um den Menschen zur Seite zu stehen, die unserer Hilfe bedürfen. Sie haben bald acht Monate Krieg hinter sich, leben seitdem in ständiger Angst und doch lassen sie sich nicht davon abbringen, den betroffenen Menschen zu helfen“, sagte Lietmeyer.
Ukrainischen Angaben zufolge hat das russische Militär Dutzende Raketen, darunter auch strategische Lenkwaffen vom Typ Kalibr, auf Ziele im ganzen Land abgeschossen. Vor allem Objekte der Energieinfrastruktur seien getroffen worden, hieß es. Doch auch im Zentrum der Hauptstadt Kiew schlugen Geschosse ein. NRC-Mitarbeiter vor Ort berichteten auch von Angriffen unter anderem in Lwiw, Ternopil und Dnipro.
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